Leser:innenbriefe

Nr. 14 –

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Nur dank Ketamin?

«Psychedelika in der Therapie: Blick in die Sonne», WOZ Nr. 13/25

Bei Depressionen geht es auch um soziales Leiden, Sinnlosigkeit und Entwürdigung am Arbeitsplatz, existenzielle Fragen, Kränkung, Schuld oder Einsamkeit zum Beispiel in einer Gesellschaft, die lieber die Zukunft der Jungen aufs Spiel setzt als über die Veränderung des Lebensstils und der Wirtschaft nachdenkt. Mir scheint, dass Psychiater:innen, die sich auf solche Fragen in einer gewissen Tiefe und Breite einlassen wollen und können, nicht extrem dicht gesät sind. Sie sind zudem eingebunden in ein tendenziell materialistisch und pharmakologisch ausgerichtetes Gesundheitssystem, in dem überdies die möglichst schnelle Wiederherstellung von Arbeitsfähigkeit sehr zentral ist. Die Darstellung, dass Patient:innen sich nur mithilfe der Droge Ketamin auf genannte Fragen einlassen könnten, scheint mir deshalb einseitig. Eindrücklich dagegen die Bemerkungen, wie oft ganze Cocktails an Psychopharmaka verabreicht werden, verbunden mit dem Eingeständnis, dass das oft wenig bringt und allermeistens nicht nachhaltig wirkt.

Peter Spörri, Richterswil

Wegwünschen hilft nicht

«Digitalisierung: ‹KI? Erst mal ein super Werbebegriff›», WOZ Nr. 13/25

Generative Sprachmodelle (oft auch KI genannt) werden trainiert, um Sprache zu generieren. Das Erstaunliche ist, dass diese Modelle – wenn sie mit gewaltigen Datenmengen gefüttert und feinjustiert werden – eine grosse Bandbreite von Aufgaben besser lösen als die meisten Menschen, oft sogar besser als Expert:innen. Sie schreiben Policy-Papiere, planen Reisen, entwickeln komplexe Programme, erkennen Objekte in Bildern, kaufen Aktien – und kommunizieren miteinander. Jede Woche gibt es neue Durchbrüche.

Diese Technologie wird die Wirtschaft fundamental verändern. Kein Ausmass an Wegwünschen wird das verhindern. Wenn massenhaft menschliche Arbeit durch Modellanfragen für wenige Rappen ersetzt wird, stehen wir vor der grössten ökonomischen Transformation seit der Erfindung der Dampfmaschine. Am Ende dieses Umbruchs können Utopie oder Dystopie stehen. Welchen Weg wir gehen, hängt von unseren politischen Entscheidungen ab.

Die transformative Gewalt dieser Technologie zu verkennen, verspielt die Möglichkeit, angemessen darauf zu reagieren und ihr etwas entgegenzusetzen. Stattdessen brauchen wir eine progressive Debatte darüber, welche Gesellschaft wir haben wollen und wie wir dort hinkommen. Wie können die Erträge dieser Technologie allen zugänglich gemacht werden? Wie können wir diejenigen absichern, die ihr Einkommen durch Automatisierung verlieren? Wie kann der Staat noch Einkommen generieren, wenn Arbeit verschwindet und Kapital mobil ist? Welche Macht haben wir noch, wenn die Wirtschaft nicht mehr auf uns angewiesen ist?

Wer diese Debatte nicht führt, ignoriert die grösste Aufgabe progressiver Politik im 21. Jahrhundert.

Nicolai Berk, per E-Mail

Gegen die Ohnmacht

«Kost und Logis: Was tun? Ruth Wysseier über sechs vergessene Jungs», WOZ Nr. 12/25

Ganz herzlich möchte ich zu dieser Kolumne gratulieren. Ich bin begeistert. Die Autorin hat mir aus der Seele geschrieben. Von den sechs Jungs, die fünfzehn Monate auf einer unbewohnten Insel ausharren mussten, habe ich bisher nie etwas gehört. Die Geschichte beeindruckt mich. Davon möchte ich mehr erfahren.

Den Vorschlag, in der WOZ mehr positive Berichte zu veröffentlichen, kann ich nur begrüssen. Es macht mich so ungeheuer ohnmächtig und wütend, wenn ich von all dem Unrecht, Elend, den Missständen und Ungeheuerlichkeiten, miesen Praktiken lese und nichts dagegen unternehmen oder ausrichten kann. Ich ertrage es kaum noch, von der ungeheuren humanitären Katastrophe im Gazastreifen zu lesen oder vom Wahnsinn, den wir täglich aus Washington vorgesetzt bekommen. Was hilft uns also gegen all die Misere? Mich hat gefreut, dass der Ständerat die Weiterführung der finanziellen Unterstützung der UNRWA angenommen hat und dass das Referendum gegen den Steuerdeal im Kanton Basel-Stadt zustande gekommen ist. Solche Nachrichten helfen schon ein wenig gegen das Ohnmachtsgefühl.

Suzanne Kunz, per E-Mail

In seinem Buch «Im Grunde gut» schreibe Rutger Bregman «sehr überzeugend gegen die pessimistische Sicht auf die menschliche Natur an», so die Autorin in ihrer Kolumne. Überzeugend finde ich ihn insbesondere dort, wo er akribisch berühmte psychologische Experimente kritisiert und neu bewertet.

Aber Bregman geht noch sehr viel weiter: Er kritisiert auch die Aufklärung und kommt zu Schlüssen, die nicht unwidersprochen bleiben dürfen. Im Kapitel zum Holocaust – also jenem Kapitel, wo es wohl am schwierigsten zu argumentieren ist, dass der Mensch im Grunde gut sei – schreibt er: «Die Täter waren davon überzeugt, dass sie auf der richtigen Seite der Geschichte standen. Auschwitz war der Endpunkt eines langen historischen Prozesses, in dem sich das Böse immer besser als das Gute tarnte. Viele Jahre lang hatten Schriftsteller und Dichter, Philosophen und Politiker die Psyche des deutschen Volkes abgestumpft und vergiftet. Der Homo puppy wurde belogen und indoktriniert, einer Gehirnwäsche unterzogen und manipuliert. Erst dann geschah das Undenkbare.» Für mich ist diese Argumentation undenkbar.

Michael Achermann, per E-Mail