Psychedelika in der Therapie: Blick in die Sonne

Nr. 13 –

Ketamin, ein altgedientes Narkosemittel, erzielt erstaunliche Resultate bei der Behandlung von schweren Depressionen. Können psychoaktive Substanzen wie diese die Psychiatrie revolutionieren?

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Illustration von Ibrahim Rayintakath: eine Person welche sich zwischen Farbflächen spiegelt

«Manchmal war es wie ein Horrortrip. Von Bekannten wurde ich gefragt, wieso ich mir das antue – weil ich endlich die Wahrheit über meine Vergangenheit wissen wollte. Auf Ketamin habe ich gesehen, dass alles real war. Ich konnte mich an bestimmte Daten und Orte oder an mein damaliges Alter erinnern. Die Namen der Männer, die mich missbraucht haben, habe ich vergessen, aber ich sehe dann ihre Gesichter klar vor mir. All das war während vierzig Jahren in einem Kasten in mir drin gespeichert, den ich mit ganz vielen Türen verschlossen habe.»

René Byland (53), der lieber nur René genannt werden will, sitzt in einer Starbucks-Filiale in der Zürcher Innenstadt und erzählt, wie er nach dem Tod seines Vaters vor zwei Jahren in eine schwere Krise geriet. Und wie er dann mit Ketamin – einem altgedienten Narkosemittel und einer beliebten psychoaktiven Droge mit lange unentdeckter antidepressiver Wirkung – behandelt wurde.

Kurz vor Mittag ist im Lokal wenig Betrieb, es laufen energetische Popsongs. René spricht ruhig und gefasst. «Normalerweise bin ich nach der Behandlung noch ziemlich plemplem, aber heute habe ich mich darauf eingestellt, dass ich noch sprechen muss.» An diesem Morgen erhielt er in einer Klinik in Fussdistanz von hier seine zweiwöchentliche Infusion Ketamin. «Diese Therapie ist mir wirklich zu einem guten Begleiter geworden», sagt René.

Der Tod des Vaters, die Konfrontation mit dem belasteten Leben der Eltern, der er lange aus dem Weg gegangen war – beides wirbelte traumatische Erlebnisse aus der Kindheit in einem Dorf auf und stürzte René in eine schwere Depression, hinzu kamen weitere psychiatrische Diagnosen. Täglich schluckt er zehn Tabletten Xanax, ein starkes Beruhigungsmittel. Ohne einen Kopfhörer, der ihn vor Umgebungsgeräuschen schützt, kann er seine Wohnung nicht verlassen. Im Bus sitzt er ganz hinten, weil ihn schon die Regung einer Person in seinem Rücken in Panik versetzen kann. Das Ketamin wirke wie eine kurzzeitige Befreiung: «Nach der Infusion funktioniere ich für zwei bis vier Tage, kann wichtige Dinge erledigen. Dann habe ich das Gefühl: Hey, du bist normal, du musst keine Angst vor den Leuten haben.»

Jedes zweite Mal ist sein Psychiater dabei, wenn er das Ketamin erhält. «Zusammen gehen wir richtig tief runter, bis kurz vor die Hölle, wenn ich schon das Feuer unterm Hintern spüre.» Gezielt blicken sie auf bestimmte Themen in seiner Vergangenheit. Oder aber René macht, was er eine Bilderreise nennt. Er schildert eine traumartige Szene, die er immer wieder durchlebt, eine Fantasie von einem erlösenden Tod. «Im Moment bin ich nicht suizidal, aber, wie soll ich sagen … Ich hänge nicht am Leben.» Die Hoffnung, dereinst ohne Medikamente leben zu können, hat er nicht mehr. Aber Ketamin hat ihm dabei geholfen, bestimmte Tatsachen aus seinem Leben zu akzeptieren: das Unrecht, das ihm in seiner Kindheit angetan wurde, aber auch sein neues Körperbild, seit er durch eine Bypassoperation am Magen vor ein paar Jahren sechzig Kilo abgenommen hat.

Illustration von Ibrahim Rayintakath: eine Person welche zwischen Schattenfiguren an einem Weiher steht

Unterm Lasersternenhimmel

Für diese Recherche hat die WOZ mit Patient:innen gesprochen, die unter schweren Depressionen leiden und mit Ketamin behandelt werden. Dazu mit Psychiatern, die aus ihrer Praxis und Forschung mit den faszinierenden Wirkungen der Substanz vertraut sind. Während die Ketamintherapie zeitintensiv und teuer ist und darum kaum in absehbarer Zeit flächendeckend zum Einsatz kommen wird, hat die pharmakologische Forschung mit der Substanz auch zu einem besseren Verständnis dafür geführt, was eine Depression überhaupt ist. Ausserdem provoziert Ketamin eine enge Verbindung zwischen medikamentöser und psychotherapeutischer Therapie. Denn die Substanz wirkt nicht nur direkt im Gehirn, ihre bewusstseinsverändernden Effekte eröffnen auch – ähnlich wie bei LSD, Psilocybin oder MDMA – neue Möglichkeiten für die Gesprächstherapie.

Die wissenschaftliche Entdeckung der antidepressiven Wirkung von Ketamin war rein zufällig. Eigentlich sollte die Substanz in einer Studie Anfang der neunziger Jahre Zustände einer Schizophrenie simulieren, als manche Proband:innen plötzlich von einer Aufhellung ihrer Stimmung berichteten. Ketamin ist seit 1970 als Narkose- und Schmerzmittel zugelassen, und als solches wird es auch heute noch weltweit eingesetzt. Weil es die Atmung nicht lähmt und so eine Narkose ohne Beatmungsmaschinen ermöglicht, kam es bereits auf den Schlachtfeldern des Vietnamkriegs zum Einsatz, und heute findet es etwa in der Kinderchirurgie Verwendung.

Als Droge erlebt Ketamin gerade eine Hochblüte, wie Studien aus verschiedenen Ländern zeigen. Spätestens im Oktober 2023 hörte die ganze Welt von der Substanz, als Matthew Perry, Darsteller in der TV-Serie «Friends», mit 54 in seinem Whirlpool ertrank, in seinem Blut eine hohe Dosis Ketamin. Dieses war wohl die indirekte Todesursache – die tödliche Dosis ist extrem hoch. Doch bei regelmässigem Konsum kann Ketamin abhängig machen, wenn auch weniger stark als Opiate oder Benzodiazepine wie Xanax. Bei mehrjährigem Konsum drohen schwere Schäden etwa an den Nieren und der Blase.

Mittlerweile haben grosse Studien gezeigt: Die antidepressive Wirkung von Ketamin setzt nicht nur deutlich schneller ein, sie ist auch nachhaltiger als diejenige der weitverbreiteten klassischen Antidepressiva. Diese wurden über die Jahre zwar besser und verträglicher, aber ihre Wirkungsweise hat sich nicht wesentlich verändert. Mindestens dreissig Prozent der Patient:innen sprechen auf diese Medikamente nicht an. Und viele leiden unter Nebenwirkungen wie Libidoverlust oder einer generellen Dämpfung der Wahrnehmung. Ketamin wirkt dagegen eher anregend.

Johannes Jungwirth steht in einem schlicht eingerichteten Raum in der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK), neben ihm eine gepolsterte, blau bezogene Liege. Der Psychiater erklärt, wie die Behandlungen mit Ketamin ablaufen. In einem kurzen Vorgespräch werden die Symptome der Depression abgefragt, dann erhalten die Patient:innen die Substanz in Form eines Nasensprays verabreicht. Das Licht wird gedimmt, kleine Laser projizieren einen Sternenhimmel an die Decke über der Liege, es läuft Musik, die den Fokus auf die eigenen Gedanken und Gefühle unterstützt. «Eine angenehme Atmosphäre ist wichtig», erklärt Jungwirth. «Studien zeigen, dass das Wohlbefinden auch die Wirkung begünstigt.» Während des Trips werden die Patient:innen begleitet, aber es wird nicht gesprochen. Nach eineinhalb Stunden sind die meisten wieder nüchtern.

Jungwirth leitet an der PUK gemeinsam mit Kolleg:innen die Sprechstunde für Patient:innen mit einer schwer zu behandelnden Depression. Das heisst, bei ihnen sind bereits mindestens zwei – bei den meisten sind es deutlich mehr – Behandlungen mit klassischen Antidepressiva gescheitert. Das ist auch die Bedingung dafür, dass die Behandlung mit dem Ketaminnasenspray zugelassen wird. Unter dem Namen Spravato wird der Spray von einem Tochterunternehmen des US-Pharmariesen Johnson & Johnson vertrieben. Seit 2020 ist es in der Schweiz als Medikament gegen Depression zugelassen. Aktuell haben 52 Schweizer Kliniken eine Bewilligung, Spravato einzusetzen.

Die Pharmaindustrie bestimmt die Rolle von Ketamin in der Praxis mit. Tatsächlich enthält Spravato das sogenannte S-Ketamin, eine von zwei chemischen Varianten desselben Moleküls (die andere ist R-Ketamin), aus denen Ketamin zusammengesetzt ist. Studien legen nahe, dass S-Ketamin potenter in der Wirkung ist als normales Ketamin, das aus beiden zusammengesetzt ist. Die chemische Variation ist aber vermutlich auch ein Trick, um Geld zu verdienen. Während eine Dosis Ketamin auf dem Schwarzmarkt für ein paar Franken zu haben ist, kostet eine einzige Behandlung mit Spravato zwischen 420 und 620 Franken – die aufwendige Betreuung nicht eingerechnet. Doch es ist zugelassen und wird unter gewissen Bedingungen von der Krankenkasse übernommen. Ausserdem sind die genaue Anwendung, die Sicherheit und die Wirksamkeit in Studien erprobt.

Eine Behandlung über viele Monate wie bei René ist selten. An der PUK dauert sie meistens nur zwölf Wochen. «In Studien zeigt sich, dass bis zu sechzig Prozent der Patient:innen mit schwer zu behandelnden Depressionen auf S-Ketamin ansprechen – das bedeutet, dass sich die depressiven Symptome auf unserer Punkteskala mindestens halbieren», sagt Jungwirth. In der Realität liege der Wert immer tiefer, an der PUK schätzt er ihn auf 35 bis 40 Prozent. «Wenn man bedenkt, dass diese Patient:innen oft lange depressiv waren und nicht nur zwei, sondern eher vier bis acht Antidepressiva vergeblich probiert haben, ist das ein sehr guter Wert.»

Raus aus dem Gedankenkarussell

In den letzten Jahren hat sich in der Bevölkerung ein starkes Interesse an psychoaktiven Substanzen entwickelt. «Wenn auf SRF ein Beitrag über eine solche Therapie läuft, haben wir in der Woche darauf zehn bis zwanzig neue Anmeldungen», sagt Jungwirth. Er begrüsst das Interesse, manchmal muss er aber auch allzu hohe Erwartungen dämpfen. «Spätestens wenn jemand zu uns kommt und sagt: ‹Psilocybin ist meine letzte Hoffnung, sonst gehe ich zu Exit›, müssen wir betonen, dass diese Substanzen keine Wundermittel sind.» Seit knapp zwei Jahren wird an der PUK vereinzelt auch mit Psilocybin, dem Wirkstoff in Magic Mushrooms, behandelt. Mit Ketamin sind es aktuell fünfzehn Patient:innen pro Woche, im April wird die Kapazität auf über dreissig ausgebaut.

Sabrina, die hier nur mit Vornamen genannt werden möchte, ist eine von ihnen. In einem Podcast hatte sie zufällig von Ketamin erfahren. «Das hat mich sofort interessiert, weil ich schon jahrelang depressiv bin», sagt sie. «Am Anfang war ich skeptisch gegenüber Antidepressiva und habe es drei Jahre lang mit alternativen Methoden probiert.» Das erste Antidepressivum nahm sie ein knappes Jahr lang, nach den ersten Monaten hat die Wirkung nachgelassen. Zeitweise ging es ihr so schlecht, dass sie sich in eine Klinik einweisen musste. «Dort habe ich einen ganzen Cocktail von Medikamenten bekommen.» Neun verschiedene Antidepressiva hat die 39-Jährige bis heute probiert, keines hat ihr wirklich geholfen.

«Mein erster Trip mit Ketamin hat mein Leben verändert», sagt Sabrina. Vor der Therapie hatte sie keine Erfahrungen mit psychoaktiven Substanzen. «Ich konnte mich plötzlich lösen vom Gedankenkarussell in meinem Kopf, ich habe die Musik in bunten Farben gesehen, habe es einfach genossen, es war wunderschön. Ich bin schon so lange depressiv, es war ein Gefühl, als würde die Sonne wieder einmal durchscheinen. Es klingt absurd, aber die Erfahrung hat mich ans Menschsein erinnert. Ich habe Gefühle erlebt, von denen ich dachte, dass ich sie gar nicht mehr in mir habe.»

Von den zwölf Sitzungen an der PUK seien drei auch ziemlich anspruchsvoll und düster gewesen, erzählt Sabrina. «Einmal habe ich während des ganzen Trips nur geweint, ich dachte, jetzt geht die Welt unter. Seit ich so depressiv bin, ist der Zugang zu meinen verschiedenen Emotionen sehr schwierig, und da hat sich plötzlich etwas entladen. Das war schon befreiend, aber auch total überfordernd, als würde ich gleich alles auf einmal spüren.» Es habe ihr sehr geholfen, mit ihrem Psychiater über solche Erlebnisse reden zu können. Eine begleitende Psychotherapie sei eine Bedingung für die Ketamintherapie an der PUK gewesen.

Teilweise war Sabrina auch enttäuscht, weil sie sich mehr Erkenntnisse gewünscht hätte – und dass ihre Depression nach der Therapie vorbei wäre. «Das ist nicht passiert, aber ich bin auf einem guten Weg und habe viele neue Perspektiven gewonnen.» Etwa auf ihre Mutter, mit der sie eine schwierige Kindheit verbindet und die sie nach jahrelanger Kontaktpause wieder einmal getroffen hat. «An der PUK haben sie mir auch geraten, während der Therapie Neues auszuprobieren, also habe ich das gemacht: neue Yogastudios und Meditationstechniken, Tanzen, ein Musikinstrument, Restaurants, eine schamanische Zeremonie.»

Im inneren Getriebe

Hinter der Empfehlung der PUK steht eine wissenschaftliche Theorie, die heute als die beste Erklärung dafür gilt, was eine Depression ist und wie sie sich behandeln lässt: die Neuroplastizitätshypothese. Neuroplastizität beschreibt die Fähigkeit des Gehirns, neue Verbindungen herzustellen, sich anzupassen, zu lernen, sich zu erholen. Der Theorie nach ist diese Fähigkeit bei einer Depression verkümmert. Psychoaktive Substanzen wie Ketamin können die Neuroplastizität für eine gewisse Zeit wieder erhöhen – und damit auch die Sensibilität für neue Erfahrungen und therapeutische Prozesse.

Eine gute Adresse, um die wissenschaftlichen Hintergründe besser zu verstehen, ist der Psychiater, Psychotherapeut und Neurowissenschaftler Gregor Hasler. An der Universität Fribourg forscht er zur Neurologie der Depression und der Wirkungsweise von Psychedelika. Gerade sucht er mit seinem Team nach Methoden, um die Neuroplastizität und ihre Beeinflussung durch Ketamin im menschlichen Gehirn zu messen. Geplant ist auch eine Studie zu DMT, dem stark halluzinogenen Wirkstoff im Ayahuascatrank, der in indigenen Ritualen in Südamerika eine wichtige Rolle spielt.

Anfang der nuller Jahre kam Hasler zufällig mit der in den USA aufkeimenden Forschung zu Depression und Ketamin in Berührung. Am renommierten National Institute of Mental Health bei Washington D. C. wollte er sich in Methoden der biomedizinischen Grundlagenforschung weiterbilden. Als eine späte Folge der 1990 von George Bush ausgerufenen «Dekade des Gehirns», einer Grossoffensive in der Gehirnforschung, verfügte sein Institut plötzlich über doppelt so viele Stellen. Hasler erhielt eine davon. Etwa zehn Jahre später, Hasler war mittlerweile Professor an der Uni Bern, richtete er dort die erste Ketaminsprechstunde der Schweiz ein.

«Ketamin stellt eine grosse Erneuerung in der Behandlung und im Verständnis der Depression dar», sagt Hasler. Dies nach einem jahrzehntelangen Stillstand. Die klassischen Antidepressiva, von denen die ersten in den fünfziger Jahren entdeckt wurden, erhöhen den Spiegel des Botenstoffs Serotonin im Gehirn. Darum glaubte man jahrzehntelang, eine Depression lasse sich durch einen Mangel an Serotonin erklären. «Wir wissen zwar bis heute nicht genau, wie diese bewährten Medikamente wirken, aber wir wissen, dass das Serotonin nicht das Problem ist», sagt Hasler.

Ketamin wirkt auf völlig andere Weise, nämlich im sogenannten Glutamatsystem, zusammen mit dem GABA-System ist dieses an neunzig Prozent der Prozesse im Gehirn beteiligt. Die vieldiskutierten und erforschten Botenstoffe Serotonin, Dopamin und Noradrenalin seien im Vergleich dazu marginal, sagt Hasler. «Die Wirkung auf ein derart zentrales System ist durchaus erstaunlich, da kommen wir wirklich ins innere Getriebe des Gehirns.» Darum trete die anregende, antidepressive Wirkung auch so schnell ein und könne bis zu vierzehn Tage anhalten. «Um diese anhaltenden Effekte und die damit verbundene erhöhte Flexibilität des Gehirns zu erklären, kam man auf die Hypothese der Neuroplastizität.»

Während die Nachwirkungen im Gehirn also tagelang messbar sind und viele Patient:innen in dieser Zeit von einer Linderung ihrer depressiven Symptome berichten, wirkt Ketamin wenige Minuten nach der Einnahme und für etwa eineinhalb Stunden sehr direkt auf das Bewusstsein. Es verändert die Wahrnehmung von Zeit und Raum, kann sie dehnen, verwirren, intensivieren. Im Vergleich etwa zu hohen LSD-Dosen tritt keine radikale Verwandlung der visuellen Umgebung ein, doch durch einen nach innen gerichteten Fokus, den therapeutische Settings begünstigen, können sich vor dem inneren Auge intensive traumartige Bilder oder ganze Geschichten entwickeln.

«In der Packungsbeilage zum Nasenspray Spravato werden diese Effekte bloss als Nebenwirkungen aufgelistet», sagt Hasler und lächelt. Er, der auch eine psychoanalytische Ausbildung hat, ist überzeugt: «Gerade die bewusstseinsverändernden Effekte bergen ein riesiges Potenzial für die Psychotherapie, bei der wir das Material aus diesen Erfahrungen nutzen können.» Hasler therapiert selber mit psychoaktiven Substanzen, mittlerweile eher mit den im Vergleich noch weniger erforschten LSD und Psilocybin als mit Ketamin, und unterrichtet andere Psychiater:innen in der Anwendung. Er habe immer wieder beobachtet, wie eine psychedelische Erfahrung einer festgefahrenen Gesprächstherapie neue Impulse oder gar eine neue Richtung geben konnte.

Das ist durchaus interessant, weil es eine direkte Kopplung psychiatrischer und psychotherapeutischer Methoden nahelegt. Hasler erzählt eine Anekdote, die veranschaulicht, wie das für die westliche Medizin auch eine Herausforderung darstellen kann. Im letzten Sommer beantragte das kleine Pharmaunternehmen Lykos die Zulassung von MDMA, dem zentralen Wirkstoff der Partydroge Ecstasy, als Medikament gegen die posttraumatische Belastungsstörung bei der Food and Drug Administration (FDA), der Zulassungsstelle im US-Gesundheitsministerium. Das Dossier der Firma habe einige Mängel gehabt, sagt Hasler. Aber es habe noch ein anderes Problem gegeben: Weil in Studien MDMA im Rahmen einer Psychotherapie verabreicht worden sei, sei die FDA als für Medikamente zuständige Behörde überfordert gewesen.

Hasler hat ein sehr lesenswertes Buch über Psychedelika in der Psychotherapie mit dem Titel «Higher Self» geschrieben. Er richtet sich auch an Therapeut:innen, wenn er an Fallbeispielen aufzeigt, wie die bewusstseinsverändernden Effekte von LSD, Psilocybin, MDMA und Ketamin genutzt werden können. Für Hasler sind diese Effekte letztlich immer Veränderungen der Wahrnehmung von Zeit und Raum sowie des eigenen Selbst, woraus sich Perspektiven eröffnen können, die zuvor nicht zugänglich waren.

Anschaulich ist das, was Hasler den Helioskopeffekt nennt, der sich auch in den Berichten von René und Sabrina eindrücklich zeigt: die Möglichkeit von psychedelischen Erfahrungen, «durch andere Filterungen etwas zu sehen, das man unter normalen Umständen nicht einmal anschauen könnte». Meistens sind das traumatische Erfahrungen, deren Konfrontation sonst zu schmerzvoll wäre. Es ist gut untersucht, dass es während Trips in therapeutischen Settings fast nie zu Retraumatisierungen kommt. Diese Substanzen gewähren also einen starken Schutz – wie das Helioskop einen ungefährlichen Blick in die Sonne erlaubt.

Illustration von Ibrahim Rayintakath: eine Person schaut in zwei Farbkreise