Kapitalismuskritik: Ein Leben ohne Tauschen

Nr. 15 –

Bücher gegen Äpfel? Lohn für Hausarbeit – wozu soll das gut sein? Die Ökonomin Friederike Habermann plädiert gegen die Marktlogik.

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Symbolbild: zwei Hände überreichen einander einen Apfel und eine Packung Eier
Sobald man tauscht, entsteht ein Markt – und damit beginnt das Problem. Foto: Florian Bachmann

Problematisch sind nicht erst Grosskonzerne und Superreiche, es beginnt viel früher: wenn Menschen anfangen, nach «Tauschlogik» den Wert von Gegenständen und Dienstleistungen festzulegen – wenn der «Markt» entsteht. So argumentiert die deutsche Ökonomin und Historikerin Friederike Habermann. Sie bezieht sich auf Karl Marx und Rosa Luxemburg, aber auch auf viele zeitgenössische Denker:innen und Bewegungen.

WOZ: Friederike Habermann, ich habe kürzlich einem befreundeten Bauern eins meiner Bücher verkauft und danach gedacht, ich hätte es ja auch gegen Naturalien tauschen können. Buch gegen Äpfel – ist das schon Tauschlogik?

Friederike Habermann: Ja. Sobald die Transaktion an einen Tausch gekoppelt ist, ist es Tauschlogik. Haben Sie kein Buch, bleiben Sie hungrig. Hat er keinen Apfel, wird er nie erfahren, was Sie mitteilen möchten. Wozu soll das gut sein? Zumal das weltweit nicht nur ständig passiert, sondern auch passieren muss, sonst könnte sich gar kein Preis, gar kein Markt bilden.

WOZ: Wenn ich tauschlogikfrei vorgehen möchte: Gebe ich dann einfach das Buch und erwarte nichts dafür?

Friederike Habermann: Im Prinzip ja. Aber in dieser Gesellschaft sind wir ja gezwungen, Geld auszugeben, darum können wir nicht immer alles herschenken. Das ist auch eine Erfahrung von Bewegungen, die das versucht haben. Als Leute von einem Bauernhof bei Berlin in die Stadt gingen und Kartoffeln verschenkten, war es vielen Leuten unangenehm, etwas ohne Gegenleistung anzunehmen. Manche werden auch gierig, weil etwas gratis ist. Das erlebte eine Heilpraktikerin in meiner Bekanntschaft, die ihr Tun ohne Preis zur Verfügung stellte. In einer Gesellschaft, in der die Marktlogik so präsent ist, braucht es die Möglichkeit einer gewissen Gegenseitigkeit.

Portraitfoto von Friederike Habermann
Friederike Habermann, Ökonomin

WOZ: In Ihrem Buch «Ausgetauscht!» schreiben Sie, man könne den Markt nicht demokratisch gestalten. Aber jede Reform, «die uns dem guten Leben für alle näher bringt», sei sinnvoll. Ist das nicht ein Widerspruch?

Friederike Habermann: Ansätze, die Marktkonkurrenz zurückzudrängen, sind auf jeden Fall sinnvoll. Etwa in der solidarischen Landwirtschaft: Da ermöglichen die Konsumierenden den Produzierenden, biologisch wirtschaften zu können. Und sie ermöglichen auch Menschen mit wenig Geld, an gute Nahrungsmittel zu kommen. Mit anonymen Biete-Runden: Alle geben so viel, wie sie sich leisten können – die einen mehr, die anderen weniger. Mit dem Netzwerk Oekonomischer Wandel versuchen wir, solche Ansätze zu fördern.

WOZ: Was macht das Netzwerk?

Friederike Habermann: Wir haben drei Grundsätze: Markt abbauen, Demokratie ausbauen und Commons aufbauen. Commons bedeutet für uns schlicht, dass Menschen gleichberechtigt miteinander etwas produzieren oder organisieren.

WOZ: Sie schreiben, Tauschlogik führe zu strukturellem Hass. Können Sie das ausführen?

Friederike Habermann: Wir sind ja immer angehalten, besser zu sein als alle anderen, um zum Beispiel einen Job zu bekommen. Unser Erfolg bedeutet, dass ihn die anderen nicht bekommen. Und das heisst implizit eben auch, dass wir den anderen Schlechtes wünschen müssen. Das kann Mobbing und Leistungsangst auslösen, auch Depressionen und Süchte. Wir können nie auf uns selbst vertrauen und einfach beitragen, was uns entspricht, sondern haben immer diesen Konkurrenzdruck.

WOZ: Kein Wunder, dass da Sehnsucht nach Beziehungen jenseits der Tauschlogik entsteht. Das kann aber auch dazu führen, dass man die Kleinfamilie idealisiert: als heile Gegenwelt der Wirtschaft.

Friederike Habermann: Ja, auch der Begriff Gemeinwohl ist zum Teil von Rechten gekapert worden – zumindest in Ostdeutschland. Dort gibt es klar rechts ausgerichtete sogenannte Gemeinwohldörfer. Was rechts und links unterscheidet, ist eben nicht die Frage: Wie solidarisch bin ich mit denen, die zu meiner Gruppe gehören? Sondern: Wie sehr grenze ich mich von denen ab, die es nicht tun? Und es fällt auf, dass in vielen dieser scheinsolidarischen rechten Zusammenhänge dann doch viel Geld an irgendeinen Anführer fliesst. Und dass die Marktlogik eben nicht aufgebrochen wird, sondern man am Gegensatz vom «schaffenden» zum «raffenden» Kapital festhält: am Glauben, man könne eine kleine, gute Marktwirtschaft haben, die sich von der globalen Vernetzung abgrenzt. Man verkennt dabei, dass das eine zum anderen führt. Zwangsläufig.

Manche Feminist:innen fordern «Lohn für Hausarbeit». Also bringen sie die Tauschlogik in einen Bereich, in dem diese tabuisiert ist. Finden Sie das gut?

Friederike Habermann: Diese Forderung stammt aus den siebziger Jahren. Damals wurde schnell klar, dass es nicht darum gehen kann, für das Lächeln, mit dem ein Kind ins Bett gebracht wird, Lohn zu verlangen. Sondern umgekehrt: Wir sollten diesen Bereich, in dem Menschen aus innerer Überzeugung etwas beitragen, ausweiten auf die ganze Gesellschaft. Das ist auch gemeint mit dem Titel meiner Veranstaltung in Zürich: Diese Vorstellung, es gebe einen Bereich, die «Wirtschaft», der getrennt ist vom Rest des Lebens und der völlig jenseits politischer Entscheidungen stattfindet, ist falsch. Die Soziologin Maria Mies hat dafür das Bild des Eisbergs gebraucht: Das, was wir als Wirtschaft sehen lernen – Bruttosozialprodukt und bezahlte Arbeiten –, ist nur die Spitze des Eisbergs. Alles andere wurde unsichtbar gemacht: die Arbeit von Menschen im Haushalt, Subsistenzlandwirtschaft, die Natur. Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass es das heutige Verständnis von Wirtschaft noch nicht lange gibt und dass es zumeist sehr gewaltvoll durchgesetzt wurde.

WOZ: Sie betonen, dass es nicht sinnvoll sei, auf «die Kapitalisten» oder «das eine Prozent» zu schimpfen. Es ist aber doch sehr beliebt.

Friederike Habermann: Ja, und ich verstehs immer besser: Derzeit ist es ja fast unmöglich, es nicht zu tun. Aber letztlich muss man verstehen, dass diese Menschen Ausdruck des Systems sind. Sie haben es nicht in die Welt gebracht.

WOZ: Finden Sie es in Ordnung, wenn man als Strategie für eine Kampagne so argumentiert?

Friederike Habermann: Ich hatte gerade eine solche Diskussion … Ich finde es okay, solange immer die Strukturen dahinter mitbenannt werden – und die Versuchung von uns allen, unsere Privilegien zu verteidigen.

WOZ: Ich fand es auch deshalb interessant, «Ausgetauscht!» zu lesen, weil das Buch sieben Jahre alt ist. Sie bezogen sich darin auf die Klimagerechtigkeitsbewegung und die Queerbewegung, die danach noch viel grösser wurden. Doch dann kam der rechte Backlash. Auf welche Bewegungen beziehen Sie sich heute?

Friederike Habermann: Schwierige Frage. Viele schauen gerade sehr fragend in die Welt – und warten darauf, dass sich irgendetwas formiert. In Deutschland fällt auf, dass viele Leute aus Bewegungen in Parteien gehen, auch weil die Bewegungen so viel Repression abbekommen haben. Auf jeden Fall sind die Leute politisiert – vielleicht sogar noch umfassender als 1968. Darum gibt es auch ein sehr grosses Potenzial.

Friederike Habermann (57) ist Ökonomin und Historikerin. Zuletzt erschien von ihr das Buch «Overcoming Exploitation and Externalisation. An Intersectional Theory of Hegemony and Transformation» im Verlag Routledge.

Die Veranstaltung «Adiö Wirtschaft!» findet am Dienstag, 15. April 2025, um 20 Uhr in der Zentralwäscherei Zürich statt. www.neustartschweiz.ch