Literatur: Erschrieben, erkämpft

Nr. 15 –

«Achtung: Klischee!» Nadia Brügger und Valerie-Katharina Meyer rücken die Geschichte der Literatur von Frauen in der Schweiz der siebziger Jahre zurecht.

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Portraitfoto von Verena Stefan
Verena Stefan (1947–2017): Die Autorin von «Häutungen» wird in «Widerstand und Übermut» gewürdigt. Foto: Otfried Schmidt, SZ Photo

«Was habe ich mir doch alles vorgemacht. Ich habe mich viergeteilt, um immer pünktlich zu Hause zu sein, wenn sie aus der Schule kamen, ich habe mir nie erlaubt zu schreiben, wenn sie da waren … Verstehst du? Ich habe auf alles verzichtet für die Kinder.» So lautet die Klage in «Unsinniges Gespräch mit der Vernunft» der Schriftstellerin Maja Beutler. Trocken und nüchtern quittiert die Dialogpartnerin den Protest mit den Worten: «Achtung: Klischee!»

Beutlers Text reflektiert die damalige Lage von Autorinnen mit Witz und Verve. Er findet sich in der Anthologie «Bewegte Frauen», die 1977 in der Edition R + F erschienen ist. 63 Texte von 40 Autorinnen versammelte der Band mit dem roten Cover: eine literarische Bestandsaufnahme. Nadia Brügger und Valerie-Katharina Meyer haben diesem verlegerischen Projekt jetzt ein Denkmal gesetzt. In «Widerstand und Übermut» durchleuchten sie die Literatur von «Schweizer Schriftstellerinnen der 1970er Jahre».

Das Feld dieses Jahrzehnts stecken Brügger und Meyer in drei Teilen ab: Wie sah die literarische Landschaft der Schweiz für Frauen aus? Die Frage steht am Anfang des Buchs. Wie Autorinnen sich wechselseitig unterstützten und kritisierten, lotet ein zweiter Teil aus. Er befasst sich mit Freundschaften und Brieffreundschaften. Mit acht literarischen Miniaturen schliesst das Buch: eine Einladung zum Weiterlesen.

«an der sprache angeeckt»

Wild sollen die siebziger Jahre gewesen sein und auf eine neue Weise politisch. Beklommen stellt man fest, wie gesichert die Eroberungen dieser Jahre lange aussahen. Zugleich erscheint das Jahrzehnt auch in neueren Darstellungen immer noch männlich dominiert. Um den Schritt, den die Autorinnen hier gehen, richtig zu ermessen, lohnt es sich, das literarische Porträt der siebziger Jahre des Literaturkritikers Helmut Böttiger daneben zu halten: «Die Jahre der wahren Empfindung» (2021). Keine einzige Autorin wird in seinem Kapitel zur Schweiz genannt.

Dabei sprudelten in den Siebzigern die literarischen Debüts von Schweizer Autorinnen nur so aus den Druckpressen, wie Brügger und Meyer in ihrem Buch zeigen. Keine dreissig Jahre alt waren zwei Autorinnen, deren sehr unterschiedliche Romandebüts 1975 Furore machten: Gertrud Leutenegger und Verena Stefan. In Stefans radikalem autobiografischem Text «Häutungen» streift nicht nur die Protagonistin ihre alte Haut ab. Auch die Sprache der Autorin musste sich häuten: «wort um wort und begriff um begriff», wie es im Vorwort heisst, sei sie «an der vorhandenen sprache angeeckt». In Gertrud Leuteneggers «Vorabend» bilden elf Strassen, die Route einer für den nächsten Tag geplanten Demonstration, die elf Kapitel des Romans. Er endet, bevor die Versammlung beginnt, mit den Worten «wie habe ich mich verspätet, verspätet».

Verspätet haben sich Schweizer Autorinnen eine Stimme erschrieben und vielfach auch erkämpft. Erica Pedretti war vierzig Jahre alt, als «Harmloses, bitte» 1970 erschien. Hanna Johansen war nur ein Jahr jünger, als ihr erster Roman, «Die stehende Uhr», 1978 herauskam. Auftrieb gab den Autorinnen ein politisches Ereignis im Jahr 1971, so argumentieren Brügger und Meyer: «Die Auswirkungen eines so späten Frauenstimmrechts auch auf das Selbstbewusstsein von Frauen reichen in alle möglichen Lebensbereiche hinein.» Und so sind es auch Emanzipationsgeschichten, die Brügger und Meyer in «Widerstand und Übermut» aus den Archiven hervorholen.

Zählt verheiratet mehr?

So auch das Porträt der Edition R + F, des ersten Frauenverlags der Schweiz, den Ruth Mayer fast ganz allein aufgebaut hat. Zu ihrer Verlagsarbeit gehörte eine rege internationale Korrespondenz. Ursula Krechel, Brigitte Kronauer oder Hilde Spiel konnte sie so für die Textsammlung «Bewegte Frauen» gewinnen. Angefragt wurden weit mehr. Christa Wolf zum Beispiel sagte kurz angebunden ab: «Es liegt nichts Passendes herum» – und wünschte der Edition «alles Gute».

Leben konnte die Verlegerin, die zugleich Autorin war, von der Edition R + F nicht. Ein Brotberuf war das Schreiben hingegen für Laure Wyss, die seit ihrer Scheidung 1945 als Journalistin arbeitete. 1972, in dem Jahr also, in dem Max Frischs «Tagebuch» mit den legendären elf Fragebögen erschien, legte auch Wyss einen Fragebogen vor. Während Frisch vor allem Männer im Blick zu haben schien, adressierte sie gezielt Frauen: «Erziehen Sie Ihre Tochter anders, als Sie erzogen worden sind?», will sie wissen. Oder: «Finden Sie, man zähle in der Schweiz mehr als verheiratete Frau denn als ledige?» Über 500 Antworten gingen in der Redaktion ein. Aus ihnen wurde schliesslich ein Buch: «Frauen erzählen ihr Leben. 14 Protokolle».

Als «Frauenliteratur» werden viele dieser Texte bis heute abgewertet. «Häutungen» kommt in Böttigers Literaturgeschichte zwar am Rande vor, aber in seltsamer Funktion, als eine Art Beihilfe zum Dating nämlich: als das Buch, das junge Männer damals gelesen haben mussten, wenn sie bei Frauen landen wollten. «Achtung: Klischee!», möchte man dieser Vorstellung mit Maja Beutler entgegenhalten. Wer das klug gestaltete Buch von Nadia Brügger und Valerie-Katharina Meyer liest, wird auf solche Ideen so schnell nicht mehr kommen.

Buchcover von «Widerstand und Übermut. Schweizer Schriftstellerinnen der 1970er Jahre»
Nadia Brügger und Valerie-Katharina Meyer: «Widerstand und Übermut. Schweizer Schriftstellerinnen der 1970er Jahre». Hier und Jetzt Verlag. Zürich 2025. 240 Seiten.