Nicușor Dan: Der Rechte, den die Linke wählt
Als Bürgermeister von Bukarest kämpfte er bislang für schützenswerte Bauten. Nun ist Nicușor Dan der Einzige, der der Wahl eines Rechtsradikalen zum Präsidenten Rumäniens noch im Weg steht.

Nur er kann laut vielen Medienberichten die Demokratie noch retten: Nicușor Dan, Mathematiker, früher aktiv in der Zivilgesellschaft, dann Politiker, heute Bürgermeister der Hauptstadt Bukarest und parteiloser Präsidentschaftskandidat. Dan vertritt die Mittelschicht und viele, die gerne zu dieser gehören möchten. Seine Wähler:innen sind in der Tendenz jung, gebildet und wohnen in Städten. Für sie steht der 55-Jährige für Velowege, Pärke und schöne Architektur, aber auch für saubere Luft, funktionierende Wasserversorgung – und den Kampf gegen die Korruption.
In der Stichwahl vom 18. Mai tritt Dan gegen den rechtsradikalen George Simion an. Dann werden auch Leute für ihn stimmen, die ihn für das kleinere Übel halten; die ihn wählen, um Rumänien auf seinem bisherigen proeuropäischen Kurs zu halten und um liberale Rechte zu verteidigen. George Simion hat im ersten Wahlgang mit vierzig Prozent fast doppelt so viele Stimmen geholt wie Dan. Er profitierte vom Ausschluss von Călin Georgescu, der bei den Wahlen Ende 2024 nach dem ersten Durchgang vorne gelegen hatte. Wegen «aggressiver russischer Angriffe» auf den Wahlprozess zu Georgescus Gunsten erklärte das Verfassungsgericht die Wahl aber für ungültig, weshalb sie nun wiederholt wird.
Ein Weder-noch-Rechter
Obwohl Nicușor Dan nun die einzige Alternative zur Übernahme Rumäniens durch Rechtsaussen ist, verbinden ihn einige Gemeinsamkeiten mit Simion: Beide gelten als Antisystemkandidaten, beide haben eine Vergangenheit in wirtschaftsliberalen Parteien. Sie nutzten die herrschende Antikorruptionsstimmung und den Hass auf alles, was als «sozialistisch» gedeutet werden kann, geschickt aus. Beide Kandidaten vertreten reaktionäre, konservative und antiprogressive Einstellungen – wenn auch in unterschiedlichem Ausmass.
Dan bezeichnet sich selbst aber als «weder konservativ noch progressiv». Wenn es unbequem wird, vermeidet er gern mal eine Positionierung, so etwa 2018 beim international vielbeachteten «Referendum für die Familie». Dieses verlangte, ein Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe in der Verfassung zu verankern. Die Liberalen und die Progressiven boykottierten die Abstimmung. Diese Strategie ging auf – das Referendum scheiterte an der benötigten Wahlbeteiligung von dreissig Prozent. Dan nahm zwar am Urnengang teil, weigerte sich aber zu sagen, wie er abgestimmt hatte, weil er sich in dieser «ideologischen Auseinandersetzung» nicht positionieren wolle.
Dass das Referendum scheiterte, dürfte auch an der Unbeliebtheit der damals regierenden, wenig sozialen Sozialdemokratischen Partei (PSD) gelegen haben. Sie unterstützte das Anliegen von ultrakonservativen, orthodoxen und anderen rechten Vereinigungen. Nun trat die Partei – zuletzt wieder an der Regierung beteiligt – nach dem Ausscheiden ihres Kandidaten in der ersten Runde der wiederholten Präsidentschaftswahl aus der Koalition aus.
Alles Mögliche retten
Seine politische Karriere begann Dan in Bürger:inneninitiativen, die sich unter anderem gegen den Abriss schützenswerter Häuser richteten. 2008 gründete er die Asociația Salvați Bucureștiul (Verein Rettet Bukarest), eine NGO, die mehrere Bauvorhaben verhinderte, um Grünflächen und denkmalgeschützte Gebäude zu erhalten. Um bei den Kommunalwahlen 2015 anzutreten, gründete er eine Partei mit dem gleichen Namen, die er 2016 im Hinblick auf die nationalen Parlamentswahlen in die Uniunea Salvați România (Union Rettet Rumänien, USR) umwandelte – mit Erfolg: Dan zog ins Parlament ein. 2020 wurde er ausserdem Bürgermeister der Hauptstadt – allerdings nicht mehr als Mitglied der USR.
Das «Referendum für die Familie» hatte zur Spaltung der Partei geführt. Der progressive Flügel wollte sich gegen das Referendum positionieren, der konservative befürwortete es. Ersterer gewann die interne Abstimmung, woraufhin Dan die Partei verliess. Im Nachgang des Konflikts wurden die Progressiven nach und nach aus der USR gedrängt, heute vereint diese hartgesottene Libertäre und Neoliberale mit konservativen Werten.
Nicușor Dan spricht eine liberal gesinnte, urbane Öffentlichkeit an, auch wegen seines Engagements für die Bürger:inneninitiativen, die in der Linken jedoch umstritten sind. Der Journalist Costi Rogozanu etwa kritisierte die Arbeit von Dan und seiner NGO, weil sie sich nur mit den Zentren befasse und die Stadtentwicklung in den Randgebieten ignoriere, um «Investitionen nicht zu erschweren». Ein Vorwurf, den Dan mit Verweis auf einige Projekte gegen Immobilienspekulation am Stadtrand zurückweist. Und auch wenn er in den Augen vieler zu wenig radikal vorgeht, ist er doch einer von wenigen, die überhaupt einen Kampf gegen die Immobilienhaie führen.
Die Debatte ist exemplarisch für das Gefühl vieler Linker im Vorfeld der Stichwahl, die in ihrer Verzweiflung rechts wählen dürften, um Rechtsaussen zu verhindern. Doch um auch den weniger gebildeten Teil der Bevölkerung in kleineren Städten zu überzeugen, hat Dan nicht das richtige Profil. Dass es keine nennenswerte politische Kraft gibt, die Antworten auf die sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen dieser Menschen bietet, treibt sie in die Arme von George Simion.
Adina Marincea ist Kommunikationswissenschaftlerin und arbeitet am Nationalen Institut Elie Wiesel zur Erforschung des Holocaust in Rumänien. Sie ist spezialisiert auf die extreme Rechte und deren Verhältnis zum Holocaust.
Aus dem Englischen von Ayse Turcan.