Rumänien: Die Banalität des Schmierens

Nr. 27 –

Die Korruption in Rumänien, aber auch in anderen Staaten Südosteuropas hat ein Ausmass angenommen, das die BürgerInnen resignieren lässt. PolitikerInnen abzusetzen, bringt alleine nichts.

In der rumänischen Öffentlichkeit wird seit einem Monat nur noch über das Schicksal von Ministerpräsident Victor Ponta diskutiert. In den Biergärten und den schicken Cafés der Innenstadt von Bukarest fragen sich viele: «Wie lange darf er noch bleiben?» Anfang Juni hatte auf allen Kanälen nur eine Meldung die Runde gemacht, und der öffentliche Fernsehsender TVR hatte sein übliches Programm gar mit einer Sondernachrichtensendung unterbrochen: Die Staatsanwaltschaft hatte Ermittlungen gegen Ponta aufgenommen – wegen Geldwäsche, Fälschung und Steuerhinterziehung. Der Sozialdemokrat, der das Land seit 2012 regiert, steht unter Korruptionsverdacht. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes geht die Justiz gegen einen amtierenden Ministerpräsidenten vor.

Am gleichen Abend forderte der wirtschaftsliberale Präsident Klaus Johannis den sofortigen Rücktritt Pontas. «Ihr Verbleib im Amt wäre ein massives Imageproblem für Rumänien», teilte das Staatsoberhaupt seinem früheren Wahlkampfgegner öffentlich mit. Doch Ponta lehnte die Forderung ab. Und erstaunlicherweise demonstrieren bislang auf den Strassen der Hauptstadt nur einige Hundert gegen Ponta.

«Es sind die letzten Tage eines alten Politikstils, der auf Selbstbereicherung und Amtsmissbrauch basierte», verkündete zuerst der liberale Leitartikler Dan Tapalaga. Doch als ein Rücktritt immer unwahrscheinlicher wurde und Pontas Parlamentsmehrheit gegen die Aufhebung seiner Immunität stimmte, mussten selbst Tapalaga und andere VerfechterInnen einer radikalen Korruptionsbekämpfung zugeben, dass die BürgerInnen die Aufregung der Medien nur begrenzt teilen. Sie wissen: Alle PolitikerInnen sind in Rumänien korrupt. Pontas Rücktritt alleine würde gar nichts ändern.

Proteste in Mazedonien grösser

Auch Mazedonien wird derzeit von einem grossen Korruptionsskandal erschüttert. Dort steht das konservative Kabinett von Nikola Gruevski unter Verdacht, in zahlreichen Fällen Schmiergelder eingesackt, Wahlen manipuliert und BürgerInnen illegal abgehört zu haben. Die sozialdemokratische Opposition, die das Parlament seit mehr als einem Jahr boykottiert, veröffentlicht im Wochentakt Mitschnitte von Gesprächen zwischen MinisterInnen und dem Premier. Sie zeigen, wie die Regierung versucht, Medien und Justiz unter Kontrolle zu bringen und die Skandale zu vertuschen (siehe WOZ Nr. 20/15 ). Auch Gruevski gedenkt nicht zurückzutreten. Doch immerhin sind in Mazedonien die Proteste auf der Strasse um einiges grösser als in Rumänien.

Der rumänische Publizist und Blogger Costi Rogozanu betrachtet die Lage in der Region mit Skepsis: «Dass die politische Klasse extrem korrupt ist, weiss jeder und jede auf dem Balkan. Doch ob die Justiz eine Reform durchsetzen kann und soll, indem sie einfach alle Politiker verhaften lässt, darf man bezweifeln.» Denn es handle sich bei weitem nicht nur um einige «faule Äpfel» – vielmehr basiere die ganze Gesellschaft auf Korruption, so Rogozanu. In einer Region, in der die Staaten nie besonders stark und effizient waren, hätten die neoliberalen Reformen der neunziger Jahre dazu geführt, dass wesentliche Aufgaben der öffentlichen Hand nur noch schlecht oder gar nicht mehr erfüllt würden. An die Stelle des Staates sei dann der Mechanismus der Korruption getreten. Wenn das Gehalt eines Arztes wie in Rumänien umgerechnet 200 Franken im Monat betrage, habe dieser neben der Auswanderung nach Westeuropa in der Regel nur noch eine Option – von den informellen Zahlungen durch seine PatientInnen zu leben.

Systemwechsel bedeutet mehr Armut

Das Gleiche gelte für Beamte, die ein komplexes Netzwerk bildeten, verbunden durch Korruption. Ohne Korruption sei es in den meisten Fällen irrational, Beamter werden zu wollen, sagt Rogozanu. Dabei gehe es nicht zwangsläufig um eine Umverteilung von unten nach oben. Auch die privaten Unternehmen würden häufig Schmiergelder zahlen, um an Aufträge zu kommen. Internationale Konzerne sind keine Ausnahme, und für einheimische Firmen war und bleibt Korruption oft die einzige Möglichkeit, ihre Projekte zu finanzieren und ihre MitarbeiterInnen zu bezahlen. Viele BürgerInnen der Balkanländer hängen also selber auf die eine oder andere Art von Bestechung und Gefälligkeiten ab. Wenn die Korruption über Nacht ausgeschaltet werden könnte – würden sie zurück in die Armut der Nachwendejahre rutschen. Dorthin, wo schon viele von denen sind, die an der Korruption nicht teilhaben können oder wollen. Um den tiefen Korruptionssumpf trockenzulegen, wäre zuerst der Aufbau eines sozialen Sicherheitsnetzes vonnöten. Doch das gehörte in den letzten 25 Jahren nicht zu den Prioritäten der liberalen proeuropäischen Politik in den Staaten der Region.