Arbeiterpartei Kurdistans: Ein historischer Schritt

Nr. 20 –

Nach vierzig Jahren hat die PKK angekündigt, sich aufzulösen. Noch gibt es viele offene Fragen – und Präsident Erdoğan hat schon ein neues Feindbild.

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Personen mit Fahnen bei einem Kurdischen Protest Anfang 2014 in Istanbul
Wie profitieren die Kurd:innen von der Auflösung der PKK? Kommt jetzt Parteigründer Abdullah Öcalan frei? Kurdischer Protest Anfang 2014 in Istanbul. Foto: Sedat Suna, Keystone

Der Montag könnte als Wendepunkt in die Geschichte der Türkischen Republik eingehen: Die als Terrororganisation verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) hat nach ihrem Parteitag angekündigt, sich aufzulösen und ihre Waffen abzugeben. «Alle unter dem Namen der PKK stattfindenden Aktivitäten sind beendet», wurde in einer Erklärung verkündet, die von der prokurdischen Nachrichtenagentur ANF verbreitet wurde. Damit folgt die Guerillaorganisation der Weisung ihres seit 26 Jahren inhaftierten Mitgründers Abdullah Öcalan, der vor drei Monaten zu einem Friedensprozess und zur Auflösung der PKK aufgerufen hatte.

Die Entscheidung folgte auf monatelange Bemühungen des rechtsextremen MHP-Chefs Devlet Bahçeli, dessen Partei Koalitionspartner von Präsident Recep Tayyip Erdoğans AKP ist. Bahçeli und Erdoğan suchen nach einem Weg, dem Präsidenten eine dritte Amtszeit zu ermöglichen. Aus diesem Grund wurde Erdoğans stärkster Kontrahent, der CHP-Politiker Ekrem İmamoğlu, im März festgenommen. Noch vergangene Woche drohte der Präsident damit, die Opposition werde «verenden». Er sucht nun den Schulterschluss mit der prokurdischen Partei DEM, deren Stimmen er für eine weitere Amtszeit braucht.

Krieg, Tauwetter, Terror

Die PKK wurde 1978 bei Diyarbakır im Südosten des Landes gegründet. Ziel waren ein kurdischer Staat sowie der Kampf gegen die Armut in den kurdischen Regionen. Während des offenen Krieges zwischen der Guerilla und dem türkischen Militär kamen zwischen 1984 und 1999 mindestens 37 000 Personen ums Leben. Heute fordert die PKK keinen eigenen Staat mehr, doch selbst der kurdische Wunsch nach mehr Autonomie findet kaum Gehör. Der Konflikt hat die Gesellschaft vergiftet, traumatisiert und tief gespalten. Ein 2013 initiierter Friedensprozess wurde 2015 wieder beendet.

Offene Fragen gibt es nun viele: Werden die Mitglieder der PKK-Führung im Nordirak bleiben oder in irgendein Exil übersiedeln? Könnten sie nun gar in die Türkei zurückkehren? Die DEM-Partei erwartet von der Regierung, dass sie Tausende politische Gefangene freilässt, die wegen angeblicher Nähe zur PKK inhaftiert wurden. Eine zentrale Forderung ist die Freilassung des seit 2016 inhaftierten kurdisch-türkischen Politikers Selahattin Demirtaş und der Dutzenden abgesetzten prokurdischen Bürgermeister:innen. Und darf auch PKK-Gründer Öcalan das Gefängnis verlassen?

Was Erdoğan den Kurd:innen für diesen Deal angeboten hat, ist unklar – aber was geschieht, wenn sie ihm wie schon im Jahr 2015 politisch gefährlich werden? Damals schaffte es die prokurdische HDP, Erdoğans präsidialen Ambitionen in die Quere zu kommen – die Partei wurde daraufhin kriminalisiert.

Und wie geht es jetzt weiter für die kurdischen Syrischen Demokratischen Kräfte? Diese stehen nach dem Zusammenbruch des Regimes von Baschar al-Assad und dem Abzug unterstützender US-Soldat:innen aus den von ihnen kontrollierten Gebieten im Nordosten Syriens immer isolierter da. Werden die türkischen Militäraktionen gegen die kurdische Selbstverwaltung in Rojava beendet?

Zu all dem gibt es von Erdoğan noch keine Antworten, aber es ist ausgeschlossen, dass der Präsident nun zur Friedenstaube wird.

Ende der kurdischen Kriminalisierung

Das Ende der PKK heisst nicht, dass ihre Ideologie verschwindet. Beobachter:innen spekulieren, dass sich neue militante Gruppen bilden könnten, die den Kampf der Genoss:innen weiterführen. Um dies zu verhindern, ist nun auch die Regierung in Ankara am Zug. Die politischen, sprachlichen und kulturellen Rechte der rund fünfzehn Millionen Kurd:innen in der Türkei müssen endlich gewährleistet werden. Eine volle Anerkennung als gleichberechtigte Minderheit ist geboten – kurdische Identitäten müssen akzeptiert, respektiert und sichtbar gemacht werden.

Skepsis ist angesichts der Geschichte angebracht – aber für eine dritte Amtszeit ist der Präsident wohl durchaus bereit, zähneknirschend Zugeständnisse zu machen.