Kost und Logis: Spritzen und Schämen
Daniel Hackbarth über die Trendverschiebungen beim Abnehmen

Die Frage, was eine angemessene Diät und generell empfehlenswerte Wege sind, den eigenen Körper funktionsfähig zu halten, wird mitunter mit geradezu scholastischer Inbrunst debattiert. Ist etwa eine fettarme Ernährung grundsätzlich ratsam? Und wie ist das beim Krafttraining – lieber viele Wiederholungen oder doch besser höhere Gewichte, damit der Muskel schön brennt? Von Spezialdiskussionen über wiederkehrende Rückenschmerzen oder Veganismus ganz zu schweigen.
Fest steht zumindest, dass sich neue Trends abzeichnen, was die gesellschaftlich bevorzugten Techniken zur Gewichtsreduktion angeht. Vergangene Woche meldete Weight Watchers Konkurs an. Das US-Abnehmunternehmen, das 1963 als Selbsthilfegruppe in New York begonnen hatte und dann zum weltweit operierenden Konzern wurde, stiess mit seinen Angeboten auf immer weniger Nachfrage – zuletzt soll Weight Watchers 1,4 Milliarden US-Dollar Schulden angehäuft haben.
Die Hauptursache dafür liegt Beobachter:innen zufolge darin, dass Leute, die Pfunde verlieren möchten, heute lieber zu Medikamenten greifen, statt Kurse zu buchen und Kalorien zu zählen. Vor allem die Markteinführung der Abnehmspritze Ozempic dürfte Weight Watchers den Todesstoss versetzt haben, zumal immer mehr plötzlich erschlankte Stars deren Wirkung zur Schau stellen.
Die Nachfrage nach medikamentösen Lösungen lässt nun in der Pharmabranche die Profite sprudeln, was argwöhnisch machen kann. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Forschung nahelegt, dass es in vielen Fällen von Übergewicht nicht einfach mit ein bisschen Selbstdisziplin und etwas Sport getan ist – hier scheint die Abnehmspritze eine wirkungsvolle Option. Andererseits ist noch nicht absehbar, wie nachhaltig diese Methode ist: So wies kürzlich ein Ernährungswissenschaftler gegenüber SRF darauf hin, dass gemäss neueren Studien die allermeisten wieder zulegen, sobald sie das Medikament absetzen.
Vor ein paar Tagen berichtete wiederum der «Guardian» von Leuten, die Ozempic nehmen, um abzunehmen, ohne aber darüber ihr Umfeld zu informieren. Auf Tiktok erzählte eine Frau gar, dass ihr Mann meinte, sie sei wegen ihres rapiden Gewichtsverlusts tödlich erkrankt. Die Betroffenen erklären ihr Verhalten mit Schamgefühlen: Gemeinhin mag Schlankheit erwünscht sein, gleichzeitig scheint aber zu gelten, dass sie nur auf dem Weg der Selbstkasteiung erlangt werden darf, andernfalls wird «Betrug» gewittert. Wer abnehmen will, soll gefälligst leiden.
Offenbar liegt bei den herrschenden Körpernormen noch immer viel im Argen, allen Fortschritten, die die Body-Positivity-Bewegung in den vergangenen Jahren errungen haben mag, zum Trotz. Für das Phänomen, Menschen den Gebrauch von Abnehmspritzen vorzuhalten, gibt es übrigens bereits einen Fachbegriff: Ozempic Shaming.
WOZ-Redaktor Daniel Hackbarth hat leider eine Schwäche für hochverarbeitete Lebensmittel.