Schwarze Geschichte : Der Tag, an dem Philadelphia sich selbst bombardierte

Nr. 21 –

Bei einem Bombenabwurf auf die ökoanarchistische Gruppierung Move brannte die Polizei vor vierzig Jahren ein riesiges Loch in ein Wohnviertel von Philadelphia und tötete elf Menschen. Das Unrecht wühlt die Menschen bis heute auf.

Diesen Artikel hören (19:43)
-15
+15
-15
/
+15
Luftaufnahme von abgebrannten Gebäuden nach der Bombadierung der Osage Avenue in Philadelphia
Das radikale Vorgehen der Polizei hatte fatale Folgen: Bei der Explosion gerieten auf dem Dach gelagerte Benzinkanister in Brand, und das Feuer sprang auf die umliegenden Gebäude über.  Foto: Bettmann, Getty

Vor vier Jahren gab das Museum für Archäologie und Anthropologie der Universität Pennsylvania in Philadelphia bekannt, dass die sterblichen Überreste eines Teenagers in seiner Sammlung lagerten. Damit riss es kaum verheilte Wunden wieder auf. Die Gebeine im Penn Museum gehörten der vierzehnjährigen Katricia Dotson, auch Tree Africa genannt. Sie wurde am 13. Mai 1985 zusammen mit sechs Erwachsenen und vier weiteren Kindern getötet, als die Polizei in einer beispiellosen Belagerungsaktion mit Wasserwerfern, scharfer Munition und Tränengas eine Bombe mit C4-Plastiksprengstoff auf ihr Haus in der Osage Avenue im Westen Philadelphias abwarf. Die elf Getöteten gehörten Move an, einer lokalen Schwarzen Anarcho-Öko-Tierrechts-Organisation, die in der Nachbarschaft vor allem durch ihre lautstarke Unangepasstheit aufgefallen war.

Der Bombenabwurf auf 6221 Osage Avenue, bei dem 61 benachbarte Wohnhäuser in Flammen aufgingen und 250 Menschen ihr Zuhause verloren, ist eine der weniger bekannten Stationen der langen Geschichte von Rassismus und Polizeigewalt in den USA. Doch die Ereignisse um die 1972 gegründete Organisation sind ein Konflikt, der seit der ersten Polizeikonfrontation 1978 und dem Bombenabwurf 1985 die überlebenden Mitglieder (re)traumatisiert und die lokale Bevölkerung bis heute fassungslos zurücklässt.

Der jüngste Vorfall datiert vom 14. November 2024, als das Penn Museum zugab, die sterblichen Überreste eines weiteren Move-Kindes, der damals zwölfjährigen Delisha Orr alias Delisha Africa, im Besitz zu haben. Dies, nachdem eine vom Museum beauftragte Anwaltskanzlei zwei Jahre zuvor noch behauptet hatte, es gebe keine glaubwürdigen Belege, dass das Museum die Überreste von Delisha Africa je besessen habe. Wie die Gebeine der getöteten Kinder aus den Trümmern des abgebrannten Hauses über die Gerichtsmedizin ins Museum und schliesslich in Schulungsvideos der Universität Princeton gelangen konnten, ist kaum nachvollziehbar. Doch ein Blick auf die Geschichte der Organisation zeigt, dass der Umgang von Behörden und Polizei mit Move bis heute von systemischem und systematischem Versagen geprägt ist.

Laute Proteste für Tierrechte

Gegründet wurde Move vom Koreakriegveteranen Vincent Leaphart, der beim Bombenabwurf 1985 ebenfalls ums Leben kam. Ursprünglich aus Westphiladelphia, zog Leaphart in den frühen siebziger Jahren näher zum Stadtzentrum, ins Powelton-Quartier nahe der Universität von Pennsylvania. Damals lebten im Stadtteil mit den viktorianischen Zweifamilienhäusern nicht nur Universitätsangehörige, sondern eine bunte Mischung von Menschen mit unkonventionellen Lebensentwürfen. Durch seine Kriegserfahrung war Leaphart zur Einsicht gelangt, dass alles Leben heilig sei. Er, der nur eine rudimentäre Schulbildung genossen hatte, entwickelte seine eigene zivilisationskritische Philosophie, der die Überzeugung zugrunde lag, dass von Menschenhand geschaffene Artefakte den Menschen von der Natur entfremden. Damit meinte er Technik im umfassendsten Sinn: Drogen, industriell verarbeitete Lebensmittel, Gefängnisse, Bücher.

Leaphart änderte seinen Namen zu John Africa, um auf seine Herkunft zu verweisen, und propagierte – mitten in der Stadt – eine einfache Lebensweise ohne Strom und fliessend Wasser, mit Rohkost und viel körperlicher Bewegung. Zusammen mit dem Sozialarbeiter und Aktivisten Donald Glassey verfasste er ein 300-seitiges Dokument mit dem Titel «The Guidelines». Es wurde zum Leitfaden von Africas 1972 gegründeter Bewegung Christian Movement for Life, kurz: Move. Viele seiner Anhänger:innen übernahmen ebenfalls den Nachnamen Africa, lebten ohne Strom und fliessend Wasser und protestierten für Tierrechte. Um 1976 begannen sie, Waffen und Sprengsätze für ihren revolutionären Kampf zu horten.

Bewaffnete afroamerikanische Revolutionär:innen: Oberflächlich betrachtet liegt der Vergleich zu den Black Panthers nahe, teilten die beiden Organisationen doch Werte wie Selbstbestimmung und die Ablehnung des kapitalistischen Systems. Während die Panthers aber ideologisch aus dem Marxismus kamen, national organisiert waren und auf lokaler Ebene Gesundheitskliniken, alternative Bildungsangebote und Frühstücksprogramme für Schulkinder aufbauten, ist Move eine radikale Ökobewegung mit christlichen Wurzeln, die vor allem in Philadelphia und Umgebung immer noch aktiv ist. Sie hat eher den Charakter einer Kommune und lehnt Bildung im konventionellen Sinn ab.

Bei der lokalen Schwarzen Bevölkerung stiess Move damals nicht auf viel Gegenliebe. Die Mitglieder der Kommune im Powelton-Quartier waren laut und ungepflegt. Über Megafone predigten sie Veganismus, Antikapitalismus und Pazifismus, propagierten gleichzeitig die Zerstörung der Zivilisation und marschierten dazu mit Schusswaffen im Anschlag auf ihrem Gelände auf und ab. Rattenpopulationen machten sich im ganzen Häuserblock breit. Klagen aus der Nachbarschaft häuften sich.

Verschwundene Beweismittel

Das Philadelphia der siebziger Jahre war geprägt durch seinen Bürgermeister Frank Rizzo, der sich vom Polizisten bis ins höchste Exekutivamt emporgearbeitet hatte. Rizzo kam ideologisch aus der Generation von FBI-Chef J. Edgar Hoover und Präsident Richard Nixon: Er war nicht nur ein Law-and-Order-Republikaner, sondern auch ein Rassist, der vor Polizeigewalt nicht zurückschreckte.

In die Zeit von Rizzos Amtsführung fiel auch der vielbeachtete Fall des Journalisten und früheren Black-Panther-Mitglieds Mumia Abu-Jamal, der 1982 schuldig gesprochen wurde, einen Polizisten erschossen zu haben, und bis heute im Gefängnis sitzt. Nach seinem Austritt bei den Panthers begann Abu-Jamal, Move zu unterstützen; vor Gericht wollte er gar von John Africa verteidigt werden. Abu-Jamal ist als inhaftierter Publizist eine zentrale Figur der Prison-Abolition-Bewegung und prominentester Unterstützer von Move. Seine Freilassung ist bis heute ein zentrales Anliegen von Move.

Als die Nachbarschaftsklagen gegen Move nicht abrissen, wurde Rizzo 1977 aktiv: Er wies die Polizei an, das Haus der Kommune in Powelton zu räumen. Eine zermürbende Belagerung begann. Über einen Zeitraum von zehn Monaten versuchte Rizzo, die Bewohner:innen auszuhungern – ohne Erfolg. Sein Vorgehen brachte genügend Sympathisant:innen dazu, die Eingekesselten mit Lebensmitteln zu versorgen. In der Nacht auf den 8. August 1978 gab Rizzo den Befehl, alle Move-Mitglieder festzunehmen. Als sie sich der Verhaftung widersetzten, rückte die Polizei mit Wasserwerfern und einem Bulldozer an, der die Veranda des Hauses einriss. In der Folge kam es zu einer fatalen Schiesserei, die das weitere Schicksal von Move prägen sollte.

Bis heute ist ungeklärt, wer den ersten Schuss abgegeben hatte. Erwiesen ist einzig, dass bei der Konfrontation der Polizist James J. Ramp getötet und sieben weitere Polizeibeamte, fünf Feuerwehrleute, drei Schaulustige und drei Move-Mitglieder verwundet wurden. Das Haus war nach dem Einsatz von Rauchgranaten, Tränengas und Wasserwerfern rasch geräumt, und die Medien wurden durch die Räumlichkeiten geführt, um ihnen das Ausmass der Verwahrlosung zu zeigen. Danach liess Polizeipräsident Joseph O’Neill das Gebäude dem Erdboden gleichmachen – unter dem Schutt verschwanden auch alle Beweismittel rund um die Schiesserei.

Forensische Untersuchungen ergaben damals, dass der tödliche Schuss auf Officer Ramp von einem im Haus gefundenen Karabiner abgegeben worden war. Move stellt sich bis heute auf den Standpunkt, Ramp sei versehentlich von seinen eigenen Kollegen erschossen worden. Die Staatsanwaltschaft war nicht in der Lage, festzustellen, wer geschossen hatte, geschweige denn diejenige Waffe zu identifizieren, die Ramp getötet hatte. In einem Kollektivurteil befand das Gericht trotzdem alle Angeklagten des Totschlags für schuldig: Neun Move-Mitglieder erhielten Gefängnisstrafen von dreissig bis hundert Jahren.

Sympathisant:innen liefern im Januar 1978 Feuerholz in das belagerte Move-Haus in der Osage Avenue.
Erste Belagerung: Sympathisant:innen liefern im Januar 1978 Feuerholz in das belagerte Move-Haus im Powelton-Quartier.     Foto: Leif Skoogfors, Getty

Eine Statue für den Rassisten

John Africa war zum Zeitpunkt dieser ersten Konfrontation nicht in der Stadt und verschwand für Jahre von der Bildfläche. Medienberichten zufolge soll er sich mit Anhänger:innen in Rochester im Bundesstaat New York versteckt haben, doch ist aus der Zeit von 1978 bis 1981 kaum etwas zu ihm oder Move dokumentiert.

Der offen rassistische Bürgermeister Frank Rizzo musste nach seiner zweiten Amtsperiode 1980 abtreten, er starb 1991. Bis vor wenigen Jahren stand im Zentrum von Philadelphia eine überlebensgrosse Statue von ihm, auf der er die rechte Hand zum Gruss erhebt – Mussolini nicht unähnlich, wie Kritiker:innen sagen. Black-Lives-Matter-Proteste führten im Juni 2020 zur Entfernung von Rizzos Denkmal. Die noch lebenden, 1978 inhaftierten Move-Mitglieder wurden erst zwischen 2018 und 2020 aus dem Gefängnis entlassen.

Mit der Forderung nach der Freilassung der «Move 9» hatten die verbliebenen Anhänger:innen der Organisation ein neues Anliegen, als sie 1981 mit John Africa in die Osage Avenue Nummer 6221 einzogen und ihren lautstarken Protest wieder aufnahmen. Das neue Move-Haus lag in einem ruhigen, vorwiegend von Schwarzen bewohnten Viertel im Westen Philadelphias. Es dauerte nicht lange, bis bei der Polizei erneut Beschwerden eingingen über die mit Obszönitäten gespickte Megafonbeschallung, über Müll, Ratten, Kakerlaken und das Zurschaustellen von Schusswaffen. Niemand reagierte auf die Beschwerden.

Zu jener Zeit machte die Schwarze Bevölkerung Philadelphias fast vierzig Prozent aus. Als auch der 1984 zum ersten Schwarzen Bürgermeister der Stadt gewählte Wilson Goode untätig blieb, hielten die enttäuschten Nachbar:innen der Osage Avenue 6221 im April 1985 eine Pressekonferenz ab. Daraufhin wurde Goode aktiv: Er ordnete an, das gesamte Viertel auf den Muttertag, 12. Mai, zu evakuieren.

Am darauffolgenden Montagmorgen wimmelte es im Quartier von bewaffneten Polizisten. Feuerwehrleute sassen eine Strasse weiter an zwei Wasserwerfern. Um sechs Uhr morgens blies der Polizeipräsident mit jenen Worten zum Angriff, die die Investigativjournalistin Margot Harry 1987 zum Titel ihres Buchs über die Organisation machte: «Attention, Move! This is America!»

«Lasst es brennen!»

Anders als bei der Schiesserei sieben Jahre zuvor verbarrikadierten sich dreizehn Move-Mitglieder im Haus, unter ihnen sechs Kinder. Die Polizei drang in die benachbarten Gebäude ein und sprengte Löcher in die Wände, um Tränengas ins Haus zu leiten. Im Laufe einer stundenlangen Belagerung feuerte sie rund 10 000 Schüsse ab und versuchte, mithilfe von Wasserwerfern eine befestigte Bunkeranlage auf dem Dach zu zerstören. Alles ohne Erfolg.

Gegen 17 Uhr befahl der Polizeipräsident, aus einem Hubschrauber eine Bombe mit C4-Plastiksprengstoff abzuwerfen, um den Bunkeraufbau zu zerstören und eine Öffnung für weitere Tränengaspetarden ins Dach zu sprengen. Die Bombe war bereits vier Monate zuvor auf undokumentierten Wegen vom FBI zur Polizei gelangt. Bei der Explosion gerieten auf dem Dach gelagerte Benzinkanister in Brand, und das Feuer breitete sich auf die umliegenden Gebäude aus. Nachdem an diesem Tag bereits viele fragwürdige Entscheidungen getroffen worden waren, kam es nun zum folgenschwersten Fehlentscheid: Der Polizeichef befahl, das Feuer nicht zu löschen. Sein Befehl wurde zum Titel der 1989 erschienenen Monografie von Michael und Randi Boyette, die sich mit den Ereignissen befasste: «Let It Burn».

Das Feuer zerstörte in der Folge 61 Wohnhäuser; 250 Menschen verloren ihr Zuhause. Elf Move-Mitglieder starben in den Flammen, unter ihnen John Africa und fünf Kinder. Einzig Ramona Africa und der dreizehnjährige Birdie konnten das Haus rechtzeitig verlassen.

Bürgermeister Goode ordnete eine Untersuchung an. Wieder kam erschwerend hinzu, dass viel Beweismaterial, inklusive der Leichen, während Aufräumarbeiten zerstört oder versehrt worden war. Die Schlüsse des Untersuchungsberichts waren entsprechend vernichtend: Die ursprüngliche Beschwichtigungs- und Nichtkonfrontationspolitik des Bürgermeisters sei «zum Scheitern verurteilt» gewesen; die Einsatzverantwortlichen hätten genau gewusst, dass «Blutvergiessen und sogar Tod absehbar waren»; die Handlungen des Bürgermeisters, des Einsatzleiters und des Polizeipräsidenten seien «grob fahrlässig» gewesen und hätten eindeutig das Leben von Kindern gefährdet; überhaupt sei der Plan, das Move-Haus zu bombardieren, «leichtsinnig, schlecht durchdacht und übereilt genehmigt» gewesen. Eine «Grand Jury» wurde beauftragt zu prüfen, ob die Anschuldigungen für einen Prozess gegen die Verantwortlichen reichten. Doch trotz der klaren Worte des Untersuchungsberichts empfahlen die Geschworenen, diese nicht anzuklagen.

Michael Boyette, Koautor von «Let It Burn», war einer dieser Geschworenen. Im Epilog des Buches lässt er den zuständigen Staatsanwalt zu Wort kommen: «Aus strafrechtlicher Sicht waren weder das Feuer an sich zentral noch die Todesopfer. Entscheidend war, das Feuer weiterbrennen zu lassen, sowie die Absicht hinter dieser Entscheidung.» Dem Polizeichef, dem Bürgermeister und den anderen Verantwortlichen konnte nicht nachgewiesen werden, dass es ihre Absicht gewesen war, die Menschen im Haus zu töten.

Verurteilt wurde schliesslich nur eine Person: Ramona Africa, die – im Gegensatz zu ihren getöteten Freund:innen – das brennende Haus rechtzeitig hatte verlassen können, zusammen mit dem dreizehnjährigen Birdie. Wegen Landfriedensbruch und Verabredung zu einer strafbaren Handlung wurde sie zu sieben Jahren Haft verurteilt.

Keine Gerechtigkeit bis heute

In Philadelphia gab es nach der Bombardierung am 13. Mai 1985 keine Proteste. Ihre Folgen sollten die notorisch unterdotierte Stadtkasse indes viel Geld kosten. In den neunziger Jahren wurden den Familien der getöteten Kinder durch eine Reihe von Vergleichen und Gerichtsbeschlüssen insgesamt 2,5 Millionen Dollar zugesprochen. Ramona Africa und die Verwandten der getöteten John und Frank Africa erhielten je 500 000 Dollar.

Die Stadt liess den zerstörten Osage-Häuserblock wieder aufbauen, doch die Gebäude erfüllten die Vorschriften nicht: Ihre Bauqualität war miserabel. In den nuller Jahren hätte die Stadt deshalb weitere dreizehn Millionen Dollar aufwerfen müssen, um die Häuser bewohnbar zu machen. Stattdessen bot sie den Eigentümer:innen je 150 000 Dollar, wenn sie ihr Haus abreissen liessen, was viele akzeptierten. Noch vor wenigen Jahren war der Strassenzug teilweise heruntergekommen, der Ersatzneubau 6221 Osage Avenue verbarrikadiert.

Initiiert von einer Gruppe von Primarschüler:innen, errichtete die Stadt 2017 eine Gedenktafel. Heute sind alle Häuser im Block bewohnt. Mike Africa jr., der 1978 im Gefängnis geboren wurde und heute für die Öffentlichkeitsarbeit von Move zuständig ist, hat vor zwei Jahren die Nummer 6221 gekauft und will dort eine Gedenkstätte einrichten.

Doch mit Geld und Gedenktafeln allein ist keine Gerechtigkeit getan, wie der Umgang mit den Gebeinen von Tree und Delisha Africa zeigt. Ihre Eltern waren 1978 kollektiv für den Tod von Polizist James J. Ramp verurteilt und inhaftiert worden. Aus dem Gefängnis heraus hatten sie keine Möglichkeit, über den Verbleib der Überreste ihrer toten Kinder Nachforschungen anzustellen, und nahmen an, dass sie beerdigt worden waren. Seit das Penn Museum letztes Jahr eingestehen musste, dass neben den sterblichen Überresten von Tree auch diejenigen von Delisha Africa in seinem Besitz waren, ist die Fassungslosigkeit erneut gross.

Der Historiker Samuel J. Redman hat zu den «bone rooms», den Sammlungen von menschlichen Gebeinen in US-Museen, geforscht. «Viele Museen hatten auch in den achtziger Jahren noch eine willkürliche Sammelpraxis. Sie nahmen entgegen, was ihnen gerade in die Hände fiel», sagt er zum Kontext der Fälle von Tree und Delisha Africa. «Während die Herkunft der Überreste von amerikanischen Ureinwohner:innen seit 1990 aufgearbeitet und ihre Gebeine restituiert werden müssen, ist immer noch nicht bekannt, wie viele Gebeine von afroamerikanischen Menschen in den Museen lagern.» Dennoch hat ihn überrascht, dass die Gebeine von der Gerichtsmedizin ins Penn Museum und von dort in Youtube-Videos der Universität Princeton kommen konnten: «Die Tatsache, dass das vor relativ kurzer Zeit geschehen ist und in einem Fall, der derart viel mediale Aufmerksamkeit erhalten hat, lässt uns ratlos zurück.»

Wo und wie die Ereignisse um Move im kollektiven Gedächtnis von Philadelphia verankert sind, bleibt widersprüchlich und willkürlich. Das Büro der Bürgermeisterin hat nicht auf Anfragen reagiert, ob die Stadt den 40. Jahrestag der Bombardierung begehen werde. Mike Africa jr., der das Vermächtnis von Move verwaltet, lief von Mai 2024 bis zum Jahrestag jeden Monat dreizehn Meilen (rund 21 Kilometer), um die dreizehn Opfer zu ehren und Geld für das Haus an der Osage Avenue zu sammeln. Während die Lokalzeitung «Philadelphia Inquirer» am 22. April eine Podcastreihe zum 40. Jahrestag der Bombardierung lanciert hat, findet sich im African American Museum kein einziger Hinweis auf Move. Anfragen bleiben auch dort unbeantwortet.

Dafür stehen im anarchistischen Buchladen «The Wooden Shoe» T-Shirts zum Verkauf, auf denen ein Helikopter zu sehen ist, der einen Sprengsatz abwirft. Darüber der Schriftzug: «Welcome to Philadelphia».

Christian Hänggi ist Medienphilosoph und Amerikanist. Er lehrt an der Universität Basel, der HSG und der Fachhochschule Nordwestschweiz. 2019 schrieb er für eine US-Enzyklopädie zu Verschwörungen und Verschwörungstheorien einen Beitrag über Move.