Mumia Abu-Jamal wird 70: Denker, Autor, Aktivist
Seit 1981 sitzt Mumia Abu-Jamal im Gefängnis. Er ist in dieser Zeit zum Symbol für den Kampf gegen die rassistische und klassistische US-Justiz geworden. Und sagt, er sei ein freier Schwarzer, der in Gefangenschaft lebe.
Mitte nächster Woche, am 24. April, wird Mumia Abu-Jamal siebzig Jahre alt. Ein weiterer Geburtstag, den der afroamerikanische Journalist und Bürgerrechtskämpfer im Gefängnis verbringen wird. Am 9. Dezember 1981 wurde er wegen Mord an einem weissen Polizisten verhaftet und zum Tod verurteilt. Bis heute bestreitet Abu-Jamal die Tat, die ihm nicht zweifelsfrei nachgewiesen wurde.
Journalist und Taxifahrer
In den mehr als vierzig Jahren hinter Gittern ist Abu-Jamal zu einem Symbol für den Kampf gegen das ungerechte und rassistische Justiz- und Gefängnissystem der USA geworden. «Free Mumia» ist eine mittlerweile internationale Bewegung, die am 24. April wie jedes Jahr für die Freilassung von Abu-Jamal und aller politischen Gefangenen auf die Strasse gehen wird. «Mumias Geschichte ist auch die Geschichte eurer Familien und eurer Freunde, die von einem rassistischen System weggesperrt werden», sagte sein Sohn Jamal junior letztes Jahr gegenüber «Black Power Media» – kurz nachdem ein weiterer Versuch, die Wiederaufnahme des Prozesses gegen Mumia Abu-Jamal aufgrund neuer Beweise zu erwirken, gescheitert war. «Wir geben nicht auf, nie und nimmer», so der mittlerweile 52-jährige Jamal junior.
Mumia Abu-Jamal schätzt diese Solidarität, will aber nicht bloss Symbol sein. Das wäre eine weitere Form der Entmenschlichung, meint er, der bereits viel Entwürdigung, bis hin zur Verweigerung medizinischer Versorgung, erlebt hat. «Ich bin ein Denker, Autor, Aktivist, ein kreativer Mensch, ein Vater, Ehemann, Grossvater und Sohn. Um es kurz und einfach zu sagen: Ich bin ein freier Schwarzer Mann, der in Gefangenschaft lebt.» So stellt er sich selbst vor im Katalog zur Ausstellung «Kunst und der Kampf für Freiheit», die zurzeit im Simmons Center for the Study of Slavery and Justice in Providence, Rhode Island, zu sehen ist.
Mumia Abu-Jamal kam 1954 als Wesley Cook in einer kinderreichen Familie in Philadelphia zur Welt. Den Zunamen «Mumia» gab ihm ein kenianischer Oberstufenlehrer im Gedenken an den antikolonialen Kampf der Mau-Mau-Bewegung. Schon als Vierzehnjähriger wurde Mumia bei einem Protest gegen den rassistischen vormaligen Präsidentschaftskandidaten Barry Goldwater verhaftet. Mit sechzehn hatte er bereits eine Ortsgruppe der revolutionären Bürgerrechtsorganisation Black Panthers mitgegründet – und im Streit wieder verlassen.
In den Siebzigern besuchte Abu-Jamal kurz das Goddard College im ländlich-weissen Vermont, kehrte nach Philadelphia zurück und arbeitete als Radiojournalist vorab bei Schwarzen Medien. Auch für den öffentlichen Sender NPR verfasste er Beiträge, eckte im liberalen weissen Umfeld aber immer wieder als «zu wenig objektiv» an. Seine Berichterstattung über die ökologisch-anarchistische Gruppe Move und deren bewaffneten Konflikt mit der Polizei etwa fand kaum Abnehmer in grösseren Medien und schadete seinem Ruf als «seriöser Journalist». Die Medienarbeit war nicht existenzsichernd. Abu-Jamal arbeitete Nachtschichten als Taxifahrer. Auf einer solchen Fahrt mischte er sich am 9. Dezember 1981 in eine Konfrontation zwischen seinem Bruder William Cook und dem Polizisten Daniel Faulkner ein; Faulkner starb an Schusswunden, Abu-Jamal wurde durch Schüsse und auch Schläge schwer verletzt. Zu diesem Vorfall gibt es widersprüchliche Zeug:innenaussagen.
Kunst und Knast
1981, zum Zeitpunkt seiner Verhaftung, war Mumia Abu-Jamal nicht nur Journalist und politischer Aktivist, sondern auch Vater von drei Kindern. Dem ersten Sohn, geboren 1971, verdankte Mumia gar seinen neuen Nachnamen: Abu-Jamal, der Vater von Jamal. Der erst 27-Jährige hatte bereits zwei Scheidungen hinter sich und war mit seiner dritten Frau Wadiya verheiratet, die ihn bis zu ihrem Tod 2022 politisch und emotional unterstützte und für seine Freilassung kämpfte. Mit Wadiya zeugte der Inhaftierte fünf Kinder, eine komplexe Fernbeziehung. In seinem Gedicht «Homeless» schreibt Abu-Jamal über seine Verbannung: «Wie kann dies ein Zuhause sein? […] Zuhause ist, wo das Herz lebt, wo Babys duften, wo Träume wirklich werden.»
Abu-Jamal war nie ein eindimensionaler Einzelkämpfer. Auch nicht in der Isolation des Todestrakts, in dem er dreissig Jahre verbrachte, bis seine Strafe 2011 in lebenslänglich umgewandelt wurde. Beharrlich komponiert, schreibt und zeichnet er, um die Trennung zwischen drinnen und draussen zu durchbrechen. Um sich selber und den Mitgefangenen Menschlichkeit zu bewahren. In seinem Essay «Art & Incarceration» schreibt Abu-Jamal: «Kunst und Knast, das tönt nach Oxymoron; nach fantastischer Inkongruenz. Doch in Wirklichkeit bersten diese trostlosen, farblosen Aufbewahrungsbehälter für Menschen vor Kunst. Hinter diesen Mauern verbergen sich erstaunlich viele Talente.» Einige dieser meist Schwarzen Rapper, Poeten und Comiczeichner hat Abu-Jamal liebevoll porträtiert.
Ist aus dem radikalen Kämpfer ein versöhnlicher Kulturvermittler geworden? Mumia Abu-Jamal selber macht zwischen politischem Aktivismus und künstlerischer Aussage keinen Unterschied. Die entscheidende Frage sei doch: «Leisten wir Widerstand oder lassen wir uns alles gefallen? Hinterfragen wir, was hinterfragt werden muss?»