Syriens Wirtschaft: Investitionen im Tausch gegen Stabilität

Nr. 22 –

Nach Jahrzehnten heben die USA und die EU ihre Sanktionen gegen Syrien auf. Das ist ein erster Schritt.

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Feiernde Frauen Mitte Mai auf dem Umayyad-Platz in Damaskus
Endlich ein Ende der US-Sanktionen! Feiernde Frauen Mitte Mai auf dem Umayyad-Platz in Damaskus.  Foto: Hasan Belal, Getty

Es sind Nachrichten, die vielen Menschen in Syrien Hoffnung machen: Vergangene Woche erklärte die EU, alle Wirtschaftssanktionen gegen das Land aufheben zu wollen. Die Zeit sei gekommen, ein «neues, inklusives, pluralistisches, friedliches» Syrien aufzubauen, hiess es in einer Erklärung des Rats der Europäischen Union.

Damit folgt die EU den USA, die ihrerseits bereits eine Woche zuvor die Aufhebung ihrer Sanktionen angekündigt hatten. Für Syrien, bis dato eines der am stärksten sanktionierten Länder der Welt, ist damit fast sechs Monate nach dem Sturz des Assad-Regimes ein Moment des Aufatmens gekommen.

Das Aufkündigen westlicher Sanktionen ist vor allem ein Zugeständnis an die neuen Machthaber in Damaskus – allen voran an den Übergangspräsidenten Ahmed al-Scharaa, der als Anführer des islamistischen Milizenbündnisses Hajat Tahrir al-Scham (HTS) lange Zeit unter seinem Kampfnamen Abu Muhammad al-Dschaulani bekannt war und auf den die USA noch bis im vergangenen Dezember ein Kopfgeld von über zehn Millionen US-Dollar ausgeschrieben hatten.

Statt Assad litt die Bevölkerung

Die Geschichte westlicher Sanktionen in Syrien reicht weit zurück: 1979 setzten die USA das Land auf ihre Liste der staatlichen Terrorismusunterstützer. Anfang der nuller Jahre folgte aus Washington dann ein umfassender Katalog von Sanktionen, der unter anderem mit der syrischen Besatzung im Libanon und der vermuteten Entwicklung von Massenvernichtungswaffen begründet wurde. Investitionen von US-Firmen in Syrien sowie der Export von US-Waren in das Land waren fortan verboten, mit Ausnahme von Lebensmitteln und Medizin.

Angesichts der Gewalt, mit der das syrische Regime 2011 auf die zunächst friedlichen Proteste des Arabischen Frühlings im Land vorging, reagierten die USA und die EU mit weiteren Sanktionen wie Ölembargos. Besonders hart traf Syriens Wirtschaft schliesslich der 2019 in den USA verabschiedete «Caesar Act» – benannt nach dem Decknamen eines syrischen Militärfotografen, der die Bilder Tausender brutal in Haft getöteter syrischer Zivilist:innen ins Ausland geschmuggelt hatte. Mit dem «Caesar Act» sollten auch Firmen und Staaten sanktioniert werden, die mit dem Assad-Regime oder dessen Unterstützer:innen zusammenarbeiteten oder in Syrien investieren wollten.

Wirklich schwächen konnten all diese Schritte die Mächtigen an der Spitze des Landes allerdings nicht. Das Regime fand vielmehr neue Wege, seine Macht zu sichern, vor allem durch den Handel mit der Aufputschdroge Captagon, durch den Syrien zu einem der grössten Narco-Staaten der Welt wurde. Die volle Härte der Sanktionen traf dagegen in erster Linie die Zivilbevölkerung, und auch die Arbeit von Hilfsorganisationen wurde enorm erschwert.

Kein Altruismus

Heute leben laut den Vereinten Nationen mehr als neunzig Prozent der Menschen in Syrien unterhalb der Armutsgrenze. Nach fast vierzehn Jahren Krieg muss selbst die grundlegendste Infrastruktur wiederaufgebaut werden, allen voran Schulen, Krankenhäuser und die Stromversorgung.

Mit den Sanktionsaufhebungen und der erwarteten Eingliederung des Landes in das internationale Finanzsystem Swift sind nun Investitionen im Land möglich, die die syrische Wirtschaft ankurbeln und Arbeitsplätze schaffen könnten. Die Türkei und Saudi-Arabien, die zwischen den USA und Syrien vermittelt haben, signalisierten diesbezüglich bereits Interesse. Aber auch aus Europa könnte bald viel Geld fliessen, wie ein Anfang Mai geschlossener Vertrag mit dem französischen Schifffahrtsunternehmen CMA CGM andeutet, das den Hafen von Latakia ausbauen und modernisieren will.

Aus rein altruistischen Motiven handeln dabei weder die USA noch die EU. Doch haben die beiden erkannt, dass zur Sicherung der Stabilität in Syrien politischer und wirtschaftlicher Wandel Hand in Hand gehen müssen. Dass diese Stabilität fragil ist, haben jüngst die Massaker an Minderheiten gezeigt, die die anfängliche Euphorie nach dem Sturz der Assad-Herrschaft stark dämpften. Immer mehr Beobachter:innen zweifeln daran, dass unter Scharaa ein demokratischer Wandel möglich ist.

Umso deutlicher haben beide westlichen Akteure klargemacht, was sie von Syriens Machthaber jetzt erwarten. Während die EU eher auf die Inklusion verschiedener Bevölkerungsgruppen in politische Prozesse fokussiert, liegen die Prioritäten der USA vor allem auf der Geopolitik. So forderte die Trump-Regierung Scharaa etwa zur Normalisierung der Beziehung zu Israel auf, dessen Militär seit Dezember vermehrt Luftangriffe in Syrien fliegt.

Scharaas Regierung steht nun vor der Herausforderung, all diesen Erwartungen von aussen gerecht zu werden, während sich gleichzeitig die Lebensbedingungen für die Menschen in Syrien dringend schnell verbessern müssen. Und das in allen Landesteilen und für die gesamte Bevölkerung, unabhängig von sozialen und religiösen Zugehörigkeiten. Denn von Euphorie und Hoffnung allein ist bekanntlich noch niemand satt geworden.