Konsumkritik: Von Schrott umzingelt

Nr. 24 –

Das piepsende Elend: In seinem Buch «Die Verkrempelung der Welt» geht Gabriel Yoran der Frage nach, warum Firmen oft wenig Interesse an guten Produkten zeigen.

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Symbolbild: eine Kiste voller Duschschläuche
Lauert hier nur ein entwürdigender Tanz mit dem Duschschlauch? Die Produktindustrie flutet den Markt mit immer neuem Krempel – und verkauft als Premiummodell, was früher Standard war. Foto: Getty

Zwei Jahre nach dem grossen Börsencrash von 1929 stellt der New Yorker Börsenmakler Bernard London fest, dass immer mehr Leute sich nicht mehr an das «Gesetz des Veraltens» halten. Heisst: Aus Sparsamkeit benutzen sie ihre Besitztümer so lange, bis sie auseinanderfallen. Und Sparsamkeit hilft nicht in einer Wirtschaftskrise. London schlug deswegen vor, dass bei schlechter Wirtschaftslage alle industriell erzeugten Dinge, Schuhe ebenso wie Maschinen, ein Ablaufdatum erhalten sollten.

Wir wissen: Seine Idee, dass Staatsdiener von Haus zu Haus gehen und abgelaufene Waren zerstören sollten, hat sich nicht durchgesetzt. Wir übernehmen das selber. Freiwillig.

Der Hype um die Aufräumtrainerin Marie Kondō hat gezeigt, wie erlösend wir es finden, Dinge wegzuschmeissen, weil sie, wie es bei Kondō heisst, «keine Freude versprühen». Wir sind umgeben von Produkten, die uns nerven, weil sie schlecht durchdacht sind, und solchen, die irgendwo in der Schlaufe vor der endgültigen Entsorgung bei uns hängen geblieben sind: Küchengeräte mit nur einer Funktion, alte Handys, verwaiste Computer, Adapterkabel der letzten Generation. Gabriel Yoran findet in seinem neuen Buch einen griffigen Begriff für unsere Situation: «Die Verkrempelung der Welt».

Zumutungen fürs Badezimmer

Warenkritik, wie Yoran sie angeht, gilt heute oft als verstaubt kulturpessimistisch. Obwohl sie durch den Klimawandel noch dringlicher geworden ist, konnte sie nur bei unserer Ernährung wirklich Fuss fassen. So schämen wir uns beim Wegschmeissen von Kartoffelsalatresten weit mehr als beim Entsorgen technischer Geräte. Oft müssen die weg, weil irgendein hochgejubelter Produktfortschritt das neue Modell begehrenswerter gemacht hat. Der Fachbegriff ist «dynamic obsolescence»: Dinge werden alt, weil wir die neuen unbedingt haben wollen. Dabei seien das, wie Yoran frotzelt, oft bloss «Quatschinnovationen».

Aber Yoran geisselt weniger die individuelle Kaufentscheidung, sondern nimmt die Produzenten und die Verkäufer ins Visier. Yoran hat selbst einige Firmen gegründet und auch scheitern sehen, er arbeitet als Berater für Start-ups und kann sich über schlechte Produktdesigns furchtbar aufregen. Sein Buch ist deswegen oft von groteskem Witz. Zum Beispiel wenn er über die Zumutungen seines Duschschlauchs schreibt: Damit der seinen Körper und nicht die Wand duscht, muss Yoran jeden Morgen einen so experimentellen wie entwürdigenden Tanz aufführen, um die perfekte Haltung dafür zu finden. Man kann sich vorstellen, dass Yoran auch online ausschweifend Produkte bewertet. Doch er beherrscht nicht nur die Schrumpfform der Warenkritik.

Die Mängel seines Schlauchs von Grohe, so findet Yoran heraus, sind Teil einer Marketingstrategie. Die bisherigen Duschschläuche in seinem Leben verfügten über Drehwirbel an beiden Enden, weshalb sie sich widerstandslos in alle Richtungen drehen liessen. Die Firma Grohe verkauft das aber mittlerweile als fortschrittliches Feature: «Twist-free» heisst die Innovation aus der Vergangenheit. Yorans Schlauch (12 Euro) wurde produziert, um das Premiummodell (35 Euro) glänzen zu lassen.

Die Marke Grohe ist mehr als hundert Jahre alt. 1999 jedoch verkaufte der Erbe Charles Grohe die Firma an eine britische Private-Equity-Gruppe – einen Verbund also, der primär dem Gewinn seiner Investoren verpflichtet ist. Danach wurde die Firma unter zwei weiteren Investmentfirmen aufgeteilt, die Produktion verkleinert und nach Portugal und Thailand ausgelagert. Den Namen behielt man bei, in der (berechtigten) Hoffnung, dass Kund:innen weiterhin Grohe-Produkte kaufen werden, trotz geringerer Qualität zwecks grösserer Wertabschöpfung für die Investoren.

Dass wir zunehmend an unbrauchbare Dinge geraten, liegt für Yoran unter anderem an den veränderten Bedingungen des Vertriebs: Die Verdrängung des Fachhandels durch Onlineportale hat wichtige Instanzen der Qualitätskontrolle durch Kommentare von Kund:innen ersetzt. Die Versandplattform Digitec wirbt stolz mit ehrlichen Kundenkommentaren: «Null Punkte für das Miststück!» Wir haben uns daran gewöhnt, dass uns gewisse Waren bereits als Schrott erreichen, der sich im konkreten Gebrauch als völlig unnütz erweist, zum Beispiel sogenannte «banana ware», die noch nicht ganz ausgereift ist, aber schon mal auf den Markt geworfen wird.

Auch wenn Dinge anfänglich funktionieren, bleibt es schwierig, ihnen treu zu bleiben: Der Anteil von Elektrogeräten, die in den ersten fünf Jahren kollabieren, hat sich seit der Jahrtausendwende verdoppelt. Auch bei weniger sehnsuchtsaufgeladenen Geräten wie Waschmaschinen spricht man bei einer Nutzungsdauer von nur wenigen Jahren bereits von «langlebigen Produkten» – ein Effekt davon, dass manche Konsumtest-Institutionen eng mit der Industrie verflochten sind. Wenn das Ding dann kaputt ist, kostet die Reparatur oft mehr als eine Neuanschaffung. Die Flucht aus dem Verschleisskonsum ermöglicht nur noch das Luxussegment – das für viele kaum erschwinglich ist.

Yoran sieht bei vielen Unternehmen kein echtes Interesse an anhaltender Qualität. Denn Firmen, die Produkte herstellen, die schier ewig haltbar sind, haben es im Kampf um Aktionärsgunst schwer. So wurde die Firma Bialetti, die die unzerstörbaren italienischen Kaffeekocher herstellt, im Frühling 2025 an eine chinesische Holding verkauft. Solche Übernahmen korrelieren laut Yoran oft mit einer Verkrempelung des Sortiments. Man tüftelt dann aus, wie dünn die Siphonwand werden kann, bis niemand mehr das Produkt kauft. «Es ist, als wäre ständig Enkeltrick, und wir alle sind die Grosseltern.»

Die Simulation von Fortschritt

Die Gefahr der Verkrempelung sieht Yoran jedoch auch in der Kommunikation von Produkten mit ihren Benutzer:innen. Dadurch, dass immer mehr Produkte Software-Elemente enthalten, fordern sie immer stärker unsere Aufmerksamkeit für Nichtigkeiten ein – wenn zum Beispiel der Induktionsherd in nervöses Piepsen ausbricht, weil die Pfanne leicht falsch steht. Wie physischer Krempel unseren Estrich, verstopft allgegenwärtige Scheinkommunikation unser Hirn. Wir winken Benutzungsverträge ungelesen durch, wie wir Warnungen vor dem falschen Auswerfen von Datenträgern und das unklar motivierte Piepsen der Geschirrspülmaschine ignorieren und Pushnachrichten wegwischen, die wir somnambul abonniert haben. Die automatisierte entleerte Kommunikation erzieht uns dazu, mehr Dinge als egal zu betrachten. Alles wird zu Junkmail und Spam: Verkrempelung.

Yoran fordert uns auf, diese Zonen «des Egalen» zu verkleinern, und ruft zu einer widerständigen Reflexion über Produkte auf. Denn die Gleichgültigkeit gegenüber der omnipräsenten Verkrempelung ermöglicht Firmen erst, sich von gesamtgesellschaftlich verträglichen Lösungen zu verabschieden: «Der Kapitalismus ist nicht an einem Diskurs über gute Produkte interessiert – aber die Konsumierenden müssten es sein.»

Yoran streift mehrere Versuche von Alternativen: Den bürgerlichen Hochpreis-Holz-Konsum von Firmen wie Manufactum verwirft er höhnisch, auch die sozialistische Produktion in der DDR hält seiner Kritik nicht stand. Interessant findet er die Versuche des Deutschen Werkbunds, einer Vereinigung von Kunst, Handel und Industrie Anfang des 20. Jahrhunderts, die zum Ziel hatte, schöne und beständige Produkte rentabel herzustellen – die noch dazu erschwinglich waren. Heute wird Fortschritt oft schlicht simuliert, um Absatz zu generieren. Wie wenn Techfirmen zu jedem neuen Modell auch ein neues Adapterkabel «entwickeln», damit das alte garantiert nutzloser Krempel wird. Das allein produziert jährlich 11 000 Tonnen Elektromüll in Europa.

Buchcover von «Die Verkrempelung der Welt. Zum Stand der Dinge (des Alltags)»
Gabriel Yoran: «Die Verkrempelung der Welt. Zum Stand der Dinge (des Alltags)». Suhrkamp Verlag. Berlin 2025. 185 Seiten.