Coronaschulen: Freiheit vor Vernunft

Nr. 25 –

Die Schweiz pflegt in Sachen Privatschulen seit jeher eine liberale Praxis. Doch was tun kantonale Institutionen, wenn Gründer:innen problematischer Schulen die Behörden bewusst täuschen?

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Platz vor der Schule Campus Vivere in Rikon, auf dem «Herzlich Willkommen» mit Kreide geschrieben steht
Was genau wird zum Beispiel hier gelehrt? Der Campus Vivere in Rikon verspricht «ein Konzept, welches dein Kind wachsen lässt». Foto: Florian Bachmann

Etwas Mathe und Deutsch müssten die Kinder schon lernen, damit sie «nicht verarscht» würden. Das sagte der Leiter einer von Coronaleugner:innen gegründeten Schule in der Innerschweiz vor einigen Wochen in der WOZ. Ansonsten bringe man den Schülerinnen bei, «selber zu recherchieren». Geschichte werde «alternativ» unterrichtet, im Zentrum stehe dabei die Frage: «Wie könnte es auch gewesen sein?» Die Innerschweizer Schule ist eine von zahlreichen im Nachgang der Coronapandemie entstandenen Schulen, die dem rechtsesoterischen Spektrum zugeordnet werden können (siehe WOZ Nr. 20/25).

Wie ist es zu erklären, dass solche Schulen offiziell bewilligt werden?

Die Kurzantwort lautet: föderalistischer Liberalismus. Die Schweiz kennt kein nationales Bildungsgesetz, die Bildungshoheit liegt primär bei den Kantonen – die auch die Bewilligungsgrundlagen und Kontrollmechanismen für Privatschulen festlegen. So unterschiedlich diese im Detail sind, so stark wirkt in den meisten Kantonen das liberale Grundprinzip, dass Privatschulen viel Freiheit in Bezug auf weltanschauliche und pädagogische Konzepte gewährt wird. Die WOZ hat verschiedene Kantone zu ihrer diesbezüglichen Praxis befragt. «Privatschulen haben das ausdrückliche Recht, sich von Schulen in öffentlicher Trägerschaft abzuheben. Der Gestaltungsspielraum […] ist entsprechend grösser», formuliert es etwa das Volksschulamt des Kantons Basel-Landschaft. Aus dem Kanton Zürich heisst es: «Es ist der politische Wille, Privatschulen zuzulassen, die es den Eltern ermöglichen, ihre Kinder gemäss ihren Überzeugungen unterrichten zu lassen.»

Vordergründig harmlos

Doch was, wenn die Überzeugungen den demokratisch-humanistischen Grundwerten widersprechen, die die Volksschule vermitteln soll? Zwar betonen alle angefragten Kantone, dass hier die Freiheit der Privatschulen ende. Doch scheint es den Behörden sowohl an Wissen als auch am Willen zu fehlen, rechtsesoterische, demokratiefeindliche und verschwörungsideologische Tendenzen in der Bildung aufzudecken. Seit Corona entstehen laufend neue «Lernorte», die von Gruppierungen mit entsprechenden Bezügen gegründet werden.

Jüngst machte die «Schaffhauser AZ» publik, dass die Gründer:innen einer Schule in Thayngen auf Telegram etwa QAnon-Verschwörungsideologien verbreiten oder die pseudowissenschaftliche und antisemitische Germanische Medizin als «sinnvolles Schulfach» in der «Schule der Neuen Zeit» propagieren. Der Kanton Schaffhausen schreibt auf Anfrage: Man nehme die Hinweise sehr ernst und habe ein erstes Gespräch mit der Schule geführt.* Der Erziehungsrat werde das Thema an seiner nächsten Sitzung behandeln. Wie die meisten Post-Corona-Schulen bedienen sich auch die Gründer:innen in Thayngen vordergründig eines harmlosen Naturschulevokabulars und beteuern, sich an die Vorgaben zu halten. Doch täuschen zumindest Teile der Bewegung die Behörden bewusst: Neben der eingangs erwähnten Innerschweizer Schule gaben in der WOZ auch eine Berner und eine Zürcher Schule gegenüber einer vermeintlich interessierten Mutter ganz andere Überzeugungen preis als gegenüber der Aufsicht.

Der Modus Operandi der Behörden passt nicht zu dieser Realität. Der Kanton Zürich schreibt, es bestehe ein Rechtsanspruch auf die Erteilung einer Bewilligung, wenn die Schulen gewisse Bedingungen erfüllten – etwa die professionellen Anforderungen an die Lehrerschaft oder Auf‌lagen für Schulräume. Die Aufsichtsbehörde besuche eine Privatschule in der Regel alle zwei Jahre. Überprüft werde in erster Linie «die Anschlussfähigkeit der Schüler:innen an weiterführende Schulen». Unangekündigte Besuche seien möglich, wenn daran Zweifel bestünden – oder eine Aufsichtsbeschwerde aufgrund weltanschaulicher Bedenken eingehe, «die aber realistischerweise von den Eltern kommen müsste».

Zürich hat eine besonders hohe Dichte an Alternativschulen. Hier hat 2021 etwa der Campus Vivere seine Türen geöffnet – eine Schule, die sich nach Eröffnung einen Schutzbrief des Staatsverweiger:innenvereins Trivium United an die Tür klebte. Geschlossen hat der Kanton Zürich seit 2020 keine Schule, beim Campus Vivere in Rikon spricht er lediglich von «einigen Anpassungen», die man verlangt habe.

Keine Selbstkritik

In den letzten Jahren hat in der Schweiz zwar der Anteil Schüler:innen, die eine Privatschule besuchen, kaum zugenommen (er liegt stabil bei gut fünf Prozent), wohl aber ist die Anzahl – oft kleiner – Privatschulen gestiegen: um mehr als die Hälfte von 2014 bis 2024. Insbesondere in Bezug auf die Post-Corona-Schulen stellt sich die dringende Frage: Welche sind harmlos, und wo drohen Kinder in geschlossenen Blasen kruder Rechtsesoterik aufzuwachsen?

Reformen bei der Aufsicht, etwa eine schweizweite Harmonisierung der Auf‌lagen, müssten von den Kantonen angestossen werden, heisst es bei der Erziehungsdirektor:inenkonferenz. Dort übt man sich bis anhin nicht eben in Selbstkritik. Der Kanton Bern schreibt, man richte ein grosses Augenmerk auf rechtsesoterische Tendenzen und darauf, dass der Lehrplan 21 eingehalten werde. Bei Unregelmässigkeiten führe man auch unangekündigte Besuche durch. Und der Innerschweizer Kanton, auf dessen Boden Geschichtsunterricht «alternativ» durchgeführt wird, meldet, man beaufsichtige Privatschulen kontinuierlich während des Schuljahrs. Den Hinweis der WOZ nehme man natürlich ernst.

* Korrigenda vom 18.6.2025: In der Printversion stand, der Kanton Schaffhausen habe geschreiben, man habe ein «ernstes Wort» mit der Schule geredet. Tatsächlich hat es sich um ein «erstes Gespräch» gehandelt. Wir bitten für diesen Fehler um Entschuldigung.