Privatschulen: Die Staatsfeinde und ihre Kinder

Nr. 34 –

Der Kanton St. Gallen hat eine Privatschule mit Verbindungen zur rechtsesoterischen Anastasia-Sekte bewilligt. Weitere Recherchen zeigen: Demokratiefeindliche Kreise drängen auch andernorts in die Bildung – und die Behörden schlafen.

«Schutzbrief» an der Tür zur Campus-Vivere-Schule in Rikon ZH
Ein «Schutzbrief» an der Tür zur Campus-Vivere-Schule in Rikon ZH.

Vor den Sommerferien deckte die WOZ auf: Der Kanton St. Gallen hat eine Privatschule bewilligt, die nach Methoden der rechtsesoterischen Anastasia-Sekte unterrichten will und Verbindungen in die Reichsbürger:innenszene pflegt (siehe WOZ Nr. 28/2022 ). Hinter dem Projekt in Uznach steht HSG-Absolvent und Investmentmanager Thomas Kochanek.

Die St. Galler Behörden gaben gegenüber der WOZ an: Aus dem Schulkonzept sei keine Verbindung zu Anastasia hervorgegangen, die Initiant:innen hätten zudem jedweden religiös-ideologischen Hintergrund verneint. Auf Flyern bekennt sich die Schule allerdings offen zu der von der Anastasia-Sekte propagierten Schetinin-Pädagogik. Eine ihrer kruden Versprechungen: Der gesamte Mathematikstoff aus elf Gymnasialjahren könne über die Berührung bioenergetischer Felder in zehn Tagen erlernt werden. Zudem bewarben die Initiant:innen ihre Schule im Reichsbürger:innen-Telegram-Chat «Person wird :Mensch».

Die von der WOZ gelieferten Informationen irritieren den Kanton nicht. Er hält an seiner provisorischen Bewilligung fest. Jürg Müller von der Abteilung Aufsicht und Schulqualität beim Amt für Volksschule rechtfertigt dies mit den rechtlichen Grundlagen: Privatschulen müssten nicht ideologisch neutral sein, schreibt er. «Sie haben Anspruch auf Bewilligung, wenn sie pädagogisch der öffentlichen Schule gleichwertigen Unterricht erteilen und die staatliche Rechtsordnung einhalten.»

Reichsbürgerliches Homeschooling

Die Coronapandemie hat die Schweiz verändert: Am rechten Rand sind neue Querverbindungen entstanden. Ein Sumpf aus esoterischen Coronaleugnerinnen, Verschwörungsideologen, Reichsbürgerinnen und rechtslibertären Anarchokapitalisten. Die Lehren der völkischen Siedlungsbewegung Anastasia (siehe WOZ Nr. 43/2016 ) gedeihen auf diesem Humus prächtig, ihr Schetinin-Schulkonzept, das vor der Pandemie ausserhalb der Sekte nur wenig Beachtung fand, entwickelt sich zu einem favorisierten Modell der Szene. Die neue Querfront eint vor allem eines: die Ablehnung des rechtsstaatlich-demokratischen Systems, der Traum von einer Parallelwelt. Schulgründungen wie die in Uznach können vor diesem Hintergrund keineswegs als harmlos betrachtet werden.

Dass Uznach kein Einzelfall ist, zeigen Recherchen des antifaschistischen Netzwerks Farb und Beton, das bereits die Bewilligung in Uznach aufdeckte. Auf Twitter macht es auf eine weitere Schule mit Verbindungen in die Reichsbürger:innenszene aufmerksam: In Rikon ZH hat der Verein Campus Vivere zum Start des neuen Schuljahrs eine Privatschule auf Primar- und Sekundarstufe eröffnet. Wie in Uznach hat auch Campus Vivere eine provisorische, auf zwei Jahre befristete Bewilligung erhalten, in diesem Fall vom Kanton Zürich.

Campus Vivere wird von drei Frauen mit esoterischem Hintergrund geleitet, die während der Pandemie zusammenfanden. Der Verein war ursprünglich an verschiedenen Standorten in den Kantonen Thurgau und St. Gallen aktiv, wo sich Homeschoolingeltern in Vereinslokalen versammelten. Dass der Thurgau Anfang des Jahres die Versammlung grösserer Homeschoolinggruppen verbot, dürfte ein Hauptgrund dafür gewesen sein, dass die Initiantinnen in Zürich ein Gesuch für eine offizielle Privatschule stellten.

Auskunft über ihr Projekt geben die Verantwortlichen nicht. Überdeutlich wird die Verbindung in die rechte Szene vor Ort: An der Tür zur Schule hängt ein «Schutzbrief» des «Instituts Trivium United». Die obskure Vereinigung wurde während der Pandemie in Deutschland gegründet und muss der Reichsbürger:innenbewegung zugeordnet werden, die die Existenz der Bundesrepublik (oder wahlweise der Schweiz) als legitimer und souveräner Staat bestreitet und die demokratische Rechtsordnung ablehnt.

Trivium United stellt seinen Mitgliedern eigene Pässe aus und behauptet, sie «nach der Genfer Konvention» vor dem Zugriff durch staatliche Behörden zu schützen. Ein wenig Bekanntheit erlangte die Organisation, weil ihr Logo auch an der Tür des Lokals Siga Siga im österreichischen Ternitz prangte, wo Nazigrössen wie der österreichische Holocaustleugner Gottfried Küssel oder Martin Sellner, Sprecher der Identitären Bewegung Österreich, verkehren. Der Kanton Zürich lässt verlauten: Er erfahre erst von der WOZ vom Plakat.

Campus Vivere hat in den vergangenen Monaten verschiedene Vorträge zu Reichsbürger:innenthemen veranstaltet. Auch seine Schule bezieht sich auf die Schetinin-Pädagogik: Auf der Website sucht man Lernbegleiter:innen «mit Zusatzausbildungen im Bereich Erfahrungslernen, Montessori, Steiner, Schetinin etc.». Die Zulassung begründet der Kanton Zürich ähnlich wie St. Gallen: Das Konzept habe den gesetzlichen Bewilligungskriterien entsprochen. Bei Privatschulbewilligungen handle es sich um eine sogenannte Polizeierlaubnis: «Wenn die Kriterien erfüllt sind, besteht ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Bewilligung.»

Die Volksschulgesetze sind in der Schweiz föderal geregelt, viele Kantone pflegen traditionell einen liberalen Umgang mit Privatschulen, die Bewilligungsverfahren sind oft äusserst formalistisch: Erfüllen die Lehrer:innen die Ausbildungskriterien, sind die Schulräume ansprechend, verspricht das pädagogische Konzept eine der Volksschule gleichwertige Bildung? Die Logik dahinter: Flösse der weltanschauliche oder ideologische Hintergrund in die Beurteilung ein, könnte etwa auch gegen muslimische oder jüdische Schulen argumentiert werden.

Dennoch wirft dieser Umgang mit den neuen Privatschulen die Frage auf: Sind die Behörden gegenüber der demokratieverachtenden Dynamik aus der rechten Ecke naiv – oder teilweise gar willfährig? Die WOZ hatte bislang keinen Einblick in die Bewilligungsgesuche (Anträge um Einblick nach dem Öffentlichkeitsgesetz laufen). Klar ist jedoch: Selbst wenn diese, wie behauptet, intransparent waren, hätte es bloss ein wenig Recherchewillen gebraucht, um die Hintergründe aufzudecken. Auch wenn der ideologische Background allein nicht entscheidet, müssen Privatschulen im Kanton Zürich «gewährleisten, dass Kinder keinen weltanschaulichen Einflüssen ausgesetzt werden, die den Zielen der Volksschule in grundlegender Weise zuwiderlaufen».

Die Hinweise der WOZ nimmt der Kanton nicht etwa zum Anlass, dieser Frage vertiefter nachzugehen. Er will stattdessen bei den regulären Aufsichtsbesuchen prüfen, ob sich im Unterricht ein ideologischer Hintergrund manifestiere. Konkreten Hinweisen und Reklamationen werde selbstverständlich nachgegangen. Auch der Kanton St. Gallen, der betreffend ideologischen Einfluss keine klaren Richtlinien ins Schulgesetz geschrieben hat, will die Unterrichtsqualität des «Lernraums zum Eintauchen» mittels standardisierter Aufsichtsverfahren überprüfen.

Libertäre Financiers?

Im Bildungsrat, der im Kanton St. Gallen für die Bewilligungen zuständig ist, sitzt mit SVP-Politiker Klaus Rüdiger auch ein Vertreter der coronaskeptischen Bewegung Freunde der Verfassung. Dass die SVP als stärkste politische Kraft mit ihr sympathisiert, ist kein Geheimnis. Besorgniserregend ist ausserdem, dass die staatsfeindliche Querfront über die libertäre Flanke bis in finanzkräftige Kreise reicht. Im «Modelhof», dem Palast des Anarchokapitalisten und Unternehmers Daniel Model, tritt mit Ricardo Leppe bald ein Guru der Coronaleugner:innenszene auf, der in seinen Vorträgen die Gründung von «freien Schulen» nach Anastasia predigt.

Coronaleugner:innen und libertäre Staatsfeinde finden auch im Liberalen Institut zusammen – oder beim neu gegründeten Magazin «Die Freien». Hat auch der Investmentmanager, der hinter der Uznacher Schule steht, Verbindungen in diese Kreise? Thomas Kochanek gibt dazu keine Auskunft.

Dass in der Schweiz offizielle Privatschulen mit staatsfeindlicher Gesinnung entstehen, schlägt politisch bislang keine Wellen. Bei der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren heisst es, gemäss dem föderalistischen System sei es an den Bildungsdirektor:innen, allfälligen Handlungsbedarf zu identifizieren und auf nationaler Ebene einzubringen. Stefan Kölliker, SVP-Bildungsdirektor des Kantons St. Gallen, schreibt, man könne keine generelle Tendenz zu einer Ideologisierung bei Bewilligungsgesuchen beobachten. Und seine Zürcher Kollegin Silvia Steiner antwortet: «Wir sorgen mit Kontrollen dafür, dass die gesetzlich vorgesehenen Mechanismen greifen.» Zudem liege der Anteil an Schülerinnen und Schülern, die im Kanton Zürich eine Privatschule besuchten, seit über zehn Jahren stabil bei rund 6,5 Prozent. «Aus diesen Gründen sehe ich keinen zusätzlichen Handlungsbedarf.»*

* Korrigenda vom 25. August 2022: In der Printversion sowie in der ursprünglichen Onlineversion war das Zitat von Regierungsrätin Silvia Steiner verkürzt wiedergegeben. Es fehlte der Satz: «Wir sorgen mit Kontrollen dafür, dass die gesetzlich vorgesehenen Mechanismen greifen.»