Film: Das Chaos da draussen

Wie viele Jahre ist es her, dass sich auf der grössten Insel Europas jenes Virus namens «Wut» ausbreiten konnte, worauf die Gesellschaft, wie man sie kannte, zusammenbrach und das Chaos die Herrschaft übernahm? Ob es nun, je nach Zeitrechnung, 9, 23 oder eben 28 Jahre sind: Das von Untoten buchstäblich überrannte Grossbritannien wurde vom übrigen Europa unter Quarantäne gestellt, die Überlebenden ihrem Schicksal überlassen. So weit, so bitter metaphorisch der Stand der Dinge am Anfang von «28 Years Later».
Es ist die zweite Fortsetzung von «28 Days Later» (2002), mit dem Regisseur Danny Boyle und Autor Alex Garland damals dem tot geglaubten Zombiefilm neues Leben einhauchten. Originell eingesetzte Lo-Fi-Technologie, Gespür für den Zeitgeist, der nach 9/11 wieder Richtung Barbarei blickte, sowie nicht zuletzt die rennenden Zombies machten die Low-Budget-Produktion zum modernen Klassiker.
Langweilig wird es auch jetzt nicht. Die «Infizierten» haben sich weiterentwickelt, sind fett und träge oder aber zu «Alphas» geworden: Anführer mit ultramaskuliner Statur und sogar ein wenig taktischer Intelligenz. Auf menschlicher Seite hingegen gibt es wie gewohnt Väter, die ihre Söhne in Gewalt unterrichten, Mütter, die jene nicht mehr vor sich selbst beschützen können, einen Arzt mit Faible für morbide Architektur sowie eine Inselgemeinschaft, die durch Wasser und hohe Mauern geschützt zu sein glaubt vor dem Chaos da draussen.
Formal bleiben Boyle und Kameramann Anthony Dod Mantle experimentierfreudig. Etwa wenn die hyperrealen iPhone-Aufnahmen, aus denen der Film besteht, in Momenten der Gewalt zu Bildgewittern montiert werden. Oder wenn sie, nicht minder chaotisch, mit Einschüben aus Mittelalterfilmen ergänzt werden und dann noch die beklemmende Lesung eines Gedichts von Kolonialdichter Rudyard Kipling darübergelegt wird – wobei die verstörende Wirkung von «Boots» (1903), ähnlich wie die des Films, auf seiner unwirklichen Gegenwärtigkeit gründet: «Nicht – nicht – nicht – nicht nach vorne schauen (Stiefel – Stiefel – Stiefel – Stiefel, bewegen sich wieder auf und ab!)».