Kost und Logis: Die Freuden des Lesens

Nr. 26 –

Karin Hoffsten über gemeinschaftliche Lektüre

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Eigentlich lese ich am liebsten skandinavische Krimis. Aber damit mir auch mal was anderes vor die Augen kommt, bin ich in einer Lesegruppe. Man kann es auch Lesezirkel, Literaturkreis oder Buchdiskussionsklub nennen – eine Zusammenkunft, in der man über ein Buch spricht, das zuvor alle gelesen haben.

Die Geschichte der Lesekreise ist auch eine Geschichte der Frauenbildung. So entstanden früh Bibelkreise, an denen Frauen teilnahmen, und ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert bildeten sich auch säkulare Lesezirkel, die der intellektuellen, aber auch politischen Auseinandersetzung dienten. Frauen gründeten solche Gruppen, weil sie aus vielen Bildungsinstitutionen ausgeschlossen waren. Laut Wikipedia wurde eine der ersten Lesegruppen für Schwarze Frauen 1827 in Massachusetts gegründet.

Heute haben Lesegruppen Hochkonjunktur, in privatem Rahmen wie an öffentlichen Orten. Immer noch versammeln sich dort meist Frauen, die sich der Belletristik widmen. Das ist auch in «meiner» Lesegruppe so, wo ich in den letzten Jahren viele Autor:innen kennenlernte, mit denen ich sonst nie in Berührung gekommen wäre, mit Büchern, die ich freiwillig nie gelesen hätte, um mir dann einzugestehen, dass mich meine Vorurteile fast um eine spannende Lektüre gebracht hätten.

Manchmal kommt es auch zu unerwarteten Überschneidungen mit der Realität. So hatten wir erst kurz vor dem 7. Oktober 2023 «Who the Fuck Is Kafka» gelesen, (siehe WOZ Nr. 33/15), Lizzie Dorons Geschichte einer israelisch-palästinensischen Freundschaft, was meine Sicht auf die Ereignisse von Anfang an prägte.

Dass je nach Situation auch der Lesezirkel selbst furchterregend sein kann, erfuhr ich aus dem Roman «Lichtspiel», in dem Daniel Kehlmann fiktional die Geschichte des Regisseurs G. W. Pabst erzählt (siehe WOZ Nr. 6/24), der ab Kriegsbeginn 1939 wieder in Deutschland war und unter dem NS-Regime Filme drehte. Kehlmann beschreibt im Roman, wie Pabsts Ehefrau Trude an einer Lesegruppe teilnimmt, in der sich die Gattinnen einflussreicher Nazis über grauenhafte Werke eines NS-Hofdichters austauschen und es gefährlich wird, wenn eine ein Buch nicht mag.

«Lichtspiel» hat mich als Roman fasziniert, doch Kehlmanns Entscheidung, alle Protagonist:innen mit Namen historisch realer Personen zu versehen, wodurch der Roman wie eine Biografie wirkt, befremdet mich. Auf die Frage im «Spiegel», ob sein Vorgehen «fair gegenüber dem historischen G. W. Pabst» sei, antwortete Kehlmann: «Nein. Aber ich schreibe ja keinen Roman, um fair zu sein.» Dagegen haben sich verständlicherweise auch Pabsts Nachkommen gewehrt.

Zu guter Letzt: Es gibt auch gute deutsche Krimis. Die Bücher über den japanischen Austauschinspektor Takeda in Hamburg zum Beispiel. Und nein – sie sind nicht «zu grausam». Es gibt zwar Tote, aber man hält sie aus, weil der Rest so schön ist.

Karin Hoffsten steht dazu, dass sie ihren Lesestoff mit ganz wenigen Ausnahmen in der Bibliothek bezieht und von daher keine grosse Stütze des Buchhandels ist.