Wiederaufforstung in Mexiko: Umweltschutz mit Machtanspruch
Mexikos Regierung propagiert mit «Sembrando Vida» ein Wiederaufforstungsprogramm, das ökologisch wie sozial vorbildlich sein soll. Doch ausgerechnet linke Aktivist:innen und Menschenrechtsorganisationen kritisieren das Projekt.

Beim letzten G20-Treffen in Rio de Janeiro im vergangenen November sorgte Mexikos frisch gewählte Präsidentin, die Klimawissenschaftlerin Claudia Sheinbaum, mit einem Vorschlag für Aufsehen: Alle teilnehmenden Länder sollen ein Prozent ihrer Militärausgaben in die Wiederaufforstung investieren. Den versammelten Staats- und Regierungschefs rief sie zu: «Hört auf, Kriege zu säen, lasst uns Frieden und Leben säen» – und verwies auf das Programm Sembrando Vida (Leben säen), das in Mexiko und mehreren zentralamerikanischen Staaten umgesetzt wird.
Das Programm wurde 2019 unter der Regierung von Andrés Manuel López Obrador, einem Parteikollegen Sheinbaums, ins Leben gerufen. Ziel ist es, nicht nur die globale Erwärmung zu bekämpfen, sondern auch die Armut auf dem Land und Fluchtursachen zu reduzieren. Heute unterstützt Sembrando Vida über 445 000 Bäuer:innen in Mexiko dabei, jeweils 2,5 Hektaren ihres Landes mit Nutzbäumen zu bepflanzen. Neben Setzlingen und agronomischer Begleitung erhält jeder teilnehmende Hof mindestens 5000 Pesos monatlich (etwa 215 Franken) – was oft eine Verdoppelung des Einkommens bedeutet. Es ist eines der Vorzeigeprojekte der sozialdemokratischen Morena-Partei, die Mexiko seit über sechs Jahren regiert und mit diversen Programmen Millionen von Menschen aus der Armut geholfen hat.
Vor allem in der südlichen Landeshälfte ist das Programm präsent. Auf einer Fahrt durch das Hochland von Chiapas windet sich die Strasse vorbei an üppigem Dschungel, kleinen, steilen Parzellen mit Kakao, Bohnen – und Mais, Mexikos Grundnahrungsmittel. Neben Wahlparolen der Morena-Partei vom letzten Sommer weisen Schilder auf Höfe hin, die Teil von Sembrando Vida sind. Auf Youtube finden sich zahlreiche Videos, die zeigen, wie Bäuer:innen das Programm loben und ihre Dankbarkeit an Obrador oder die jetzige Amtsinhaberin, «la doctora Claudia», richten.
Zapatistischer Widerstand
Doch genau dieses Programm, das Ökologie und Soziales vereinbaren will, steht schon länger in der Kritik, ausgerechnet bei Umweltverbänden und Menschenrechtsorganisationen. Der Aktivist und Anwalt Pedro Faro sitzt in einem Café in San Cristóbal, Chiapas’ einstiger Hauptstadt. Hier erklärt der leitende Mitarbeiter des Menschenrechtszentrums Fray Bartolomé de las Casas, was das Programm so problematisch macht.
Eine Besonderheit in Mexiko ist die Verbreitung kollektiven Landbesitzes. Mehr als drei Viertel des Bodens gehören Gemeinden und Genossenschaften. Innerhalb dieser Strukturen sind einzelne Bäuer:innen für ihre eigenen Parzellen verantwortlich – über deren allgemeine Nutzung wird allerdings in demokratischen Versammlungen entschieden. Das Sembrando-Vida-Programm jedoch übergehe diese kollektiven Entscheidungsformen und arbeite direkt mit einzelnen Landwirt:innen, sagt Faro. Damit stärke es «eine Mentalität des Individualismus und Konsums, die das kollektive Bewusstsein und kulturelle Strukturen verdrängt». Langfristig schwäche das die Fähigkeit von Gemeinden, ihre Rechte zu verteidigen.
Es sei daher kein Zufall, dass die Regierung ihr Programm gezielt in Regionen vorantreibe, die von umweltschädlichen Grossprojekten betroffen seien – etwa von der touristischen Bahnstrecke Tren Maya oder der Transportroute Corredor Interoceánico. Berichten zufolge verzichten viele Bäuer:innen darauf, sich gegen solche Projekte zu organisieren, um ihre Teilnahme am Programm nicht zu gefährden – und damit die grosszügigen Zahlungen.
Laut Faro wird das Programm insbesondere in Gebieten umgesetzt, in denen die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung noch immer grossen Einfluss hat. Die von linken und indigenen Ideen inspirierten Zapatistas rebellierten vor über dreissig Jahren gegen die Zentralregierung und haben seither in weiten Teilen des südlichen Bundesstaats autonome Kommunalstrukturen aufgebaut. «Seit dem Aufstand geniessen diese Gemeinschaften die besten Lebensbedingungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Gerechtigkeit», sagt Faro. Alles ohne staatliche Unterstützung.
Faro weiss das aus erster Hand. Sein von der Befreiungstheologie inspirierter Verein vermittelte jahrelang zwischen den Zapatistas und der Zentralregierung. Die Implementierung von Sembrando Vida in ihren Gebieten, wo Land nicht offiziell registriert ist, führe zu Spannungen zwischen zapatistischen und nichtzapatistischen Gemeinden. Sogar kriminelle Banden hätten sich durch die gewaltsame Übernahme von Land und dessen Anmeldung am Programm bereichert. Die Umsetzung von Sembrando Vida betrachtet Faro deshalb auch als Massnahme zur Aufstandsbekämpfung, indem sie den Zusammenhalt der Gemeinden gefährde – und damit auch deren Schutz vor «staatlichem Neokolonialismus» und Drogenkartellen.
Faro bestätigt zudem, was eine US-amerikanische Umweltorganisation aufgedeckt hat: Weil sie nicht genügend Brachland hatten, um vom Programm zu profitieren, rodeten viele Bäuer:innen Teile ihres Landes, um sie anschliessend aufforsten zu können. Das Ergebnis: eine immense Zerstörung von Waldflächen – bis zu 73 000 Hektaren landesweit allein 2019. Dadurch seien «ganze Ökosysteme aus dem Gleichgewicht geraten, auch in Chiapas».
Nachhaltig – oder Greenwashing?
Das Wohlfahrtsministerium weist derweil in seinen Veröffentlichungen zu Sembrando Vida darauf hin, dass Brandrodung und Abholzung verboten seien und Landstücke, um die ein Konflikt bestehe, ausgeschlossen würden. Zudem versichert es, die traditionelle Anbaumethode der Milpa, die den Anbau von Mais, Kürbis und Bohnen kombiniert, zu fördern.
Doch zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft eine Lücke. Juan Carlos Uribe, Biologe aus Oaxaca und Mitglied der «Initiative zur Verteidigung des einheimischen Maises», kann das bestätigen. Viele Bäuer:innen, die am Programm teilnähmen, würden dessen Ansätze zwar positiv bewerten. Das Problem sei deren Umsetzung. Viel zu oft fehle den Agronom:innen das nötige Wissen über nachhaltige Landwirtschaft und der Respekt vor indigenen Methoden. Zudem gebe es Korruption bei der Einstellung von unqualifizierten Mitarbeiter:innen. Auch bei der Setzlingsbeschaffung – einige der grössten Baumschulen werden vom Militär verwaltet – führe Misswirtschaft dazu, dass unpassende Baumarten oder qualitativ schlechte Exemplare gepflanzt würden.
Vorwürfe, wonach das Programm bloss Greenwashing oder ein zynisches Werkzeug zur Bekämpfung linker Bewegungen sei, lässt Uribe nicht gelten. Solche Programme bräuchten Zeit – mehr als die fünfeinhalb Jahre, die Sheinbaum als Präsidentin noch bleiben. Hätte er die Möglichkeit, etwas zu ändern, so der Biologe, würde er bei der Ausbildung der Agronom:innen beginnen: «Wenn der Techniker von Anfang an sensibel für die Bedürfnisse der Gemeinschaften ist und über das richtige Profil verfügt, kann er hervorragende Arbeit leisten.» Dafür aber müssten auch die Studiengänge in den landwirtschaftlichen Hochschulen reformiert werden, sagt Uribe. «Eine grosse Veränderung ist so schnell nicht zu erwarten – das ist die Realität.»
Wenn es aber um die Stärkung der lokalen Landwirtschaft geht, hat die Regierung nicht sonderlich viel Zeit – insbesondere angesichts des Zollkonflikts mit dem Nachbarland USA. Im vergangenen April hat sie ein weiteres Programm für Landwirt:innen angekündigt, das unter dem Titel «Souveränität ernten» die Eigenständigkeit im Agrar- und Lebensmittelsektor stärken soll: mit günstigen Krediten und staatlicher Vermarktung zu fairen Preisen.