Die Ukraine unter Dauerbeschuss: Trumps leere Versprechen
Nach sechs Monaten im Amt hat der US-Präsident Russland ein Ultimatum zur Beendigung des Krieges gestellt. In der Ukraine glaubt kaum jemand, dass Putin darauf eingeht.
An diesem Nachmittag im Juli ist das Zentrum Kyjiws belebt: Frauen in leichten Sommerkleidern flanieren über die Boulevards. In einem Park essen Jugendliche Eis im Schatten der Bäume. Der Berufsverkehr rollt, als sei es ein ganz gewöhnlicher Werktag. Und doch zeigt sich auch hier, mitten in der Stadt, der Krieg: Fenster, die mit Spanplatten notdürftig ersetzt wurden, zeugen von nächtlichen Explosionen.
Russlands Angriffe haben sich nicht nur an den Frontlinien intensiviert. Auch weit abseits der Kampfzonen, im zivilen Raum, mehren sich die Einschläge. Die Uno spricht vom tödlichsten Monat seit drei Jahren: Im Juni starben mindestens 232 Zivilist:innen, mindestens 1343 wurden verletzt.
Dass die USA weitere Patriot-Systeme bereitstellen wollen – über den Verkauf an die EU, die die Waffen dann an Kyjiw weitergibt –, gilt als bedeutsamer Schritt zur Abwehr von Raketen und Marschflugkörpern. Russland schickt aber inzwischen nahezu täglich Kampfdrohnen los, kürzlich waren es mehr als 700 in einer Nacht. Gegen diese billigen, serienweise eingesetzten Drohnen ist der Einsatz der extrem teuren Abwehrraketen nicht vorgesehen.
«Russland will keinen Frieden»
Überhaupt überwiegt in der Ukraine angesichts der Ankündigungen aus Washington Ernüchterung. Mit einem Schneckenemoji kommentierte die «Ukrainska Prawda» auf ihren Social-Media-Kanälen das neue Ultimatum von US-Präsident Donald Trump an Wladimir Putin: fünfzig Tage, um eine Einigung mit der Ukraine zu erzielen – andernfalls würden die USA Strafzölle gegen russische Handelspartner verhängen.
Der Militärexperte Oleksij Melnyk, Kodirektor des ukrainischen Thinktanks Rasumkow, spricht es offen aus: «Das erste halbe Jahr der Trump-Präsidentschaft hat keinerlei Fortschritte gebracht.» Das Wahlkampfversprechen Trumps, den Krieg binnen 24 Stunden zu beenden, wirkt heute wie Hohn. Die Blossstellung von Wolodimir Selenski im Oval Office, Trumps Telefonate mit Putin – nichts deutet auf eine Lösung hin. «Russland will keinen Frieden – das müsste jedem klar sein», sagt Melnyk. «Wir stehen immer noch da, wo wir schon vorher waren. Von echten Verhandlungen sind wir weit entfernt.» Trumps Ultimatum sei nicht mehr als eine rhetorische Volte. «Im Grunde gibt er Russland damit fünfzig weitere Tage, um ungestört weiter anzugreifen. Ich bezweifle, dass am Ende tatsächlich Zölle in Kraft treten. Putin könnte Trump am 49. Tag einfach anrufen und ihm etwas Neues versprechen.»
Für die Ukraine ist die Verteidigung existenziell – doch der Preis ist hoch. Der Krieg zehrt an den Kräften der Menschen. Im Osten bröckeln die Verteidigungslinien. Im Oblast Luhansk stehen nur wenige Ortschaften noch unter ukrainischer Kontrolle. Die russische Sommeroffensive hat längst begonnen. Nun zeigen Umfragen des Internationalen Instituts für Soziologie in Kyjiw einen Stimmungsumschwung: Weniger als die Hälfte der Befragten blicken noch zuversichtlich in die Zukunft. Der Anteil jener, die glauben, dass die Ukraine in zehn Jahren ein zerstörtes Land sein wird, ist von 28 auf 47 Prozent gestiegen.
«Wohl kritischste Kriegsphase»
Zwar hat Russland mehr Menschen, mehr Mittel – doch Melnyk erinnert daran, dass anfangs kaum jemand der Ukraine zugetraut hatte, länger als ein paar Tage Widerstand zu leisten. Inzwischen dauert der Krieg bereits mehr als drei Jahre. Trotzdem ortet Melnyk gerade in jener Anfangszeit einen schweren Fehler bei der Regierung: Zehntausende Freiwillige meldeten sich damals bei der Armee und den territorialen Verteidigungskräften. Doch viele wurden abgewiesen – man habe genug Soldaten, hiess es. «Das grösste Versäumnis der Regierung ist nach wie vor die Handhabung der Mobilisierung. Sie ist äusserst unpopulär, aber Selenski muss sie endlich zur Priorität machen.»
An den Bushaltestellen prangen Plakate, die zur Mobilisierung aufrufen: Seit einigen Monaten wird jungen Männern von 18 bis 24 Jahren eine Prämie von einer Million Hrywnja (etwa 20 000 Schweizer Franken) versprochen. In den sozialen Medien kursierende Videos zeigen eine andere Realität: Beamte in Militäruniform, die bei Strassenkontrollen überall im Land Papiere überprüfen und Männer in Kleinbusse verfrachten.
Präsident Selenski spricht noch immer fast jeden Abend zur Nation, doch diese heiklen Themen lässt er aus. Als Oberbefehlshaber müsse er auch eigene Fehler eingestehen, fordert Melnyk, die Menschen sollten mehr als Durchhalteparolen hören. «Wir brauchen keine Beschwörungen der Tapferkeit an der Front – wir brauchen eine realistische Einschätzung der Lage, gerade jetzt, in dieser wohl kritischsten Phase des Krieges.»
Vor kurzem kündigte Selenski einen Umbau der Regierung an: Die Vizepremierministerin Julija Swyrydenko soll Regierungschefin werden, der bisherige Premier Denys Schmyhal könnte das Ressort Verteidigung übernehmen. Unter Kriegsrecht gibt es keine Wahlen. «Wir als Bevölkerung haben sehr wenig Mitspracherecht», sagt Melnyk. Die wachsende Machtkonzentration im Präsidialamt beunruhigt ihn: «Es kommen keine neuen Gesichter mehr in entscheidende Positionen.»