Trump und die Ukraine: Lieber nett sein

Nr. 46 –

Die Ukraine befindet sich nach der Wahl in den USA und bei wachsendem Verhandlungsdruck in einer kritischen Lage. Donald Trump und Wolodimir Selenski haben eine Vorgeschichte.

Die Woche nach der erneuten Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten beginnt in der Ukraine mit landesweiten Luftangriffen. Bilder der Zerstörung kommen auch aus Krywyj Rih, der Geburtsstadt von Präsident Wolodimir Selenski. Not-Stromabschaltungen gibt es zeitweise auch in manchen Teilen der Hauptstadt Kyjiw. Als zutiefst frustrierend beschreibt Oppositionspolitikerin Inna Sowsun von der liberalen Holos-Partei die aktuelle Gemengelage. «Die Bevölkerung setzte grosse Hoffnungen in die US-Wahl: dass wir nachher wissen, wie es mit unserem Land weitergeht. Aber stattdessen stehen wir wieder vor einer grossen Unberechenbarkeit», so Sowsun. «Es könnte sein, dass Trump eines Morgens aufwacht und beschliesst, dass es zu Verhandlungen kommen muss – oder aber, dass man Putin nicht klein beigeben darf.»

Trump kündigte schon während seines Wahlkampfs an, den Krieg in der Ukraine binnen 24 Stunden nach seiner Wahl beenden zu wollen – und hielt dieses Versprechen wie erwartet nicht ein. Über konkrete Schritte und Pläne ist bislang wenig bekannt. Doch während in Europa viele entsetzt auf das Wahlergebnis reagierten, fielen die Kommentare in ukrainischen Medien vergleichsweise zurückhaltend aus. Im Jahr 2019 war der Tenor noch ein anderer gewesen. «The President Who Hates Ukraine», titelte die damals wichtigste englischsprachige Zeitung «Kyiv Post», deren Belegschaft später das Onlinemedium «The Kyiv Independent» gründete. Von einem Trump, der wenig Verständnis für die Ukraine habe, dafür aber eine grosse Bewunderung für Diktator Putin hege, ist in den Artikeln von damals die Rede, als die sogenannte Ukraine-Affäre und das darauffolgende Amtsenthebungsverfahren gegen Trump das Verhältnis zwischen den beiden Ländern überschatteten. Während eines Telefonats im Jahr 2019 soll Trump im Wahlkampf Gegenleistungen von Selenski für die damals von ihm eingefrorene Militärhilfe gefordert haben.

Der Kreml hofft auf Trump

Die Willkür bei den Entscheidungen von Trump kennt man in der Ukraine also bereits. Vielleicht hat sich die Regierung gerade deshalb für eine Charmeoffensive entschieden. Man betont, dass das amerikanische Volk Trump demokratisch gewählt habe. Präsident Selenski gratulierte Trump zu seinem «beeindruckenden Erfolg», lobte dessen Team und dessen Familie und führte bereits ein Telefonat, bei dem auch der Trump-Unterstützer Elon Musk anwesend gewesen sein soll. Das Gespräch sei «exzellent» gewesen, so Selenski danach.

«Nett zu sein, ist im Moment wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, die unsere Regierung hat», sagt Inna Sowsun über die Diskrepanz in der Wahrnehmung der Auswirkungen einer neuen Trump-Präsidentschaft in vielen EU-Ländern und dem Verhalten der Ukraine. Kyjiw darf es sich mit seinem wichtigsten Verbündeten nicht verscherzen. Dafür ist die Abhängigkeit zu gross. Doch erste positive Reaktionen aus Russland zeigen, dass sich der Kreml von einer Trump-Regierung Gesprächsbereitschaft verspricht.

Seit Tagen häufen sich Medienberichte über geleakte Dokumente und mögliche Strategien der neuen US-Regierung für die Ukraine. Von einer Waffenruhe ist die Rede, von einer Pufferzone mit europäischen Truppen, davon, dass sich die Ukraine auf drastische Kürzungen der Militärhilfen einstellen müsse. Laut dem «Wall Street Journal» könnte ein Vorschlag sein, dass die Ukraine ihren Nato-Beitritt für zwanzig Jahre aufschiebt. «Die Mitgliedschaft bei der Nato aufzugeben oder aufzuschieben ist ein Punkt, den die ukrainische Bevölkerung nicht akzeptieren wird», glaubt Sowsun. Denn selbst wenn die Bereitschaft im Land wächst, über eine Waffenruhe zu sprechen, ist die Frage, welche Sicherheitsgarantien die Ukraine dafür erhält, weiterhin zentral.

Zwar übt sich die ukrainische Regierung in Zweckoptimismus und betont den eigenen Widerstandsgeist: Man sei noch immer nicht bereit, die Freiheit des Landes dem Terroristen Putin zu opfern, bekräftigte Selenski vor kurzem in einem Interview. Und Waleri Tschali, der ehemalige ukrainische Botschafter in den USA, erklärte bei einer Pressekonferenz, dass immer noch die Möglichkeit bestehe, dass Russland zusammenbreche. Man solle nicht den Medienberichten glauben, sondern der ukrainischen Regierung, die die Sachverhalte im Land besser verstehe. Doch es wird immer offensichtlicher, dass das Thema Verhandlungen in der Luft liegt.

Zum Gewinnen zu wenig

Die Lage an der Front ist laut dem ukrainischen Oberbefehlshaber Oleksandr Syrski «schwierig und neigt zur Eskalation». Zum einen wirke die Verzögerung der amerikanischen Unterstützung von Oktober 2023 bis April 2024 nach, sagt Oleksi Melnyk, Militärexperte und Kodirektor des ukrainischen Thinktanks Razumkow. Zum anderen versage die ukrainische Regierung bei der Organisation der Mobilisierung. Der Mangel an Waffen, Munition und Soldaten verschaffte Russland das Zeitfenster, die Initiative zu ergreifen und Schätzungen zufolge bis zu 12 000 nordkoreanische Soldaten einzusetzen.

Währenddessen befinde sich die Ukraine seit Monaten in einer Art Stagnation. Zum Verlieren zu viel, zum Gewinnen zu wenig, so lautet das Fazit der bisherigen militärischen Unterstützung durch die westlichen Partner, auch der Biden-Regierung, die die Freigabe weit reichender Waffen für ukrainische Angriffe im russischen Hinterland immer wieder hinausschob. «Trumps vorhergesagte Unberechenbarkeit bietet zumindest eine gewisse Chance, dass er eine andere Herangehensweise hat und sich etwas ändert», sagt Melnyk. Ob dieser Wechsel gut für das Land sein wird, sei dahingestellt.

Hinzu kommt, dass Europa nicht vorbereitet ist auf den Fall, dass die USA ihre Unterstützung zurückfahren, sagt Ulrike Franke, Verteidigungsexpertin beim European Council on Foreign Relations. Das sei nicht nur eine Frage des politischen Willens, sondern auch der Finanzierungsmöglichkeiten. Aus Deutschland, nach den USA zweitwichtigster Verbündeter der Ukraine, seien darüber hinaus erst mal keine neuen Initiativen zu erwarten. Dort ist die Regierung am Tag nach der US-Wahl am Streit um die Schuldenbremse zerbrochen. Zwar bleibe bei den Parteien der demokratischen Mitte der Wille, die Ukraine zu unterstützen, bestehen. «Aber die Finanzierung wird schwieriger, auch wegen der wirtschaftlichen Lage. Und zugleich hören wir immer lautere Stimmen aus der Opposition, die besser organisiert ist und sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine einsetzt.»

21 Franken Zulage

In der Ukraine ist die Euphorie nach der Befreiung der Stadt Cherson vor ziemlich genau zwei Jahren längst verflogen. Viele Ukrainer:innen kämpfen nun schon seit Jahren an der Front, haben jemanden verloren oder warten darauf, dass Familienmitglieder ihren Dienst in der Armee beenden können. Die Ankündigung der Regierung, dass ab Dezember jeder eine monatliche Zulage in der Höhe von 1000 Ukrainischen Hrywnja erhalten wird, umgerechnet 21 Franken, hält Sowsun für eine populistische Massnahme, die einen Vorgeschmack auf das kommende Jahr bietet. «Sie bereiten sich auf die Wahlen vor», glaubt die Oppositionspolitikerin. «Selenski hat eine recht grosse Anhängerschaft, aber sie schrumpft. Je länger man also mit den Wahlen wartet, desto schlechter wird das Ergebnis ausfallen.»