Film: Stilbewusst in die Psychose

Mobbing fängt ja oft schon beim Vornamen an. Die Schwestern September (Pascale Kann) und July (Mia Tharia) sind nach ihren Geburtsmonaten benannt. Man ahnt es: Ihre Mutter Sheela (Rakhee Thakrar) ist besonders cool und unangepasst. Regelmässig steckt sie ihre Töchter in selbstgeschneiderte, weisse Röckchen für ein verwegenes Fotokunstprojekt. Ansonsten ist sie heillos mit sich selbst und ihrer E-Zigarette beschäftigt, während ihr Nachwuchs sich im rauen englischen Schulalltag behaupten muss. July steckt ein, September teilt knurrend aus: Als Erstes muss der hübsche, lange, blonde Zopf der im Rollstuhl sitzenden Obermobberin dran glauben. Schnipp, schnapp.
Die französisch-griechische Regisseurin Ariane Labed kennt man bislang vor allem als Schauspielerin aus Filmen der «Greek Weird Wave», etwa der blutigen Partnervermittlungssatire «The Lobster» ihres Ehemanns Yorgos Lanthimos oder der tierischen Coming-of-Age-Farce «Attenberg». Diesen Einfluss merkt man Labeds Regiedebüt an – animalische Obsessionen inbegriffen. «September & July» (Premiere war vergangenes Jahr in Cannes) ist die Verfilmung von Daisy Johnsons Gothic-Roman «Sisters». Wenn die Schwestern nicht gerade TV-Sendungen oder ihre Mitschüler:innen mit Tierlauten synchronisieren, vertreiben sie sich die Zeit mit immer fieser werdenden Spielchen: July tut, was September sagt, auch wenn es wehtut.
Wer beim Thema toxische Familienbeziehungen nicht selbst zu knurren beginnt, wird gut unterhalten. Präzise Analysen innerfamiliärer Dysfunktionen darf man allerdings nicht erwarten. Die Inszenierung ist Teil des Gifts. Wie ein Film gewordenes Werk von Mutter Sheela feiern die düster-bunten 16- und 35-Millimeter-Aufnahmen (Kamera: Balthazar Lab) stilbewusst die Psychose ihrer Antiheldinnen sowie die Spielfreude der überragenden Darstellerinnen.
Männer kommen auch vor, müssen aber einiges aushalten. Behaart, beschädigt, aggressiv und trotzdem stolz: In «September & July» wird Verhaltensauffälligkeit zum feministischen Argument.