Kino-Film «Apples»: Test für ein neues Leben

Nr. 33 –

Ob er bitte wegfahren könne, sein Auto blockiere ja die ganze Strasse. Das sei nicht sein Auto, erwidert der Mann, der da hilflos auf dem Randstein hockt. Aber er sei doch gerade erst ausgestiegen! «Ich?»

So läuft das in «Apples», dem umwerfend stilsicheren Erstling von Regisseur Christos Nikou. Eine rätselhafte Epidemie greift hier um sich, die den Menschen das Gedächtnis raubt: Plötzlich kippen sie einfach so mitten aus ihrem gewohnten Alltag und wissen nicht mehr, wer sie sind. Mit dieser Ausgangslage reiht sich Nikou nahtlos in die «Greek Weird Wave» ein, mit der das jüngere griechische Kino seit etwas mehr als einem Jahrzehnt für Aufsehen sorgt. Der Film, der diese surreale Welle einst einleitete, war «Dogtooth» (2009) von Yorgos Lanthimos, Christos Nikou hat dort als Regieassistent angefangen.

Doch man sollte diese Genealogie auch nicht überstrapazieren. Denn so, wie «Apples» unsere Wahrnehmung verschiebt, ist der Humor dieses Films lakonischer und zugleich zarter und liebevoller, als das bei Lanthimos oft der Fall ist. Und einen Mann von so stoischer Traurigkeit hat man im Kino länger nicht gesehen: Als Patient Nr. 14 842 schlurft Aris Servetalis dermassen cool und verloren durch diesen Film, als sei er der Zwillingsbruder von Oscar Isaac aus «Inside Llewyn Davis» – oder eben ein melancholisches Gegenstück zu Jim Carrey aus «Eternal Sunshine of the Spotless Mind».

Als die Amnesie auch ihn erwischt, begibt sich unser Patient in ein Hilfsprogramm: Wenn die Erinnerung an seine frühere Identität nicht zurückkommt, könnte er ja vielleicht nochmals anfangen, das Leben ganz neu erlernen. Velo fahren, ins Kino gehen, einen kleinen Unfall bauen: Der Mann bekommt einfache Aufgaben zu erledigen, die ihn sachte an einen neuen Alltag heranführen sollen. Oder ist alles eine Scharade, der Neuanfang ein Fluchtversuch, um einer bodenlosen Trauer zu entkommen? Wenn die Äpfel, die er dauernd isst, angeblich gut fürs Gedächtnis sind, sollte er vielleicht besser damit aufhören.

Ab 26. August 2021 im Kino.

Apples. Regie: Christos Nikou. Griechenland/Polen 2020