Italien unter Meloni: Nur noch Rechtsextreme dürfen Häuser besetzen
Das «Leoncavallo» in Mailand widerstand fünfzig Jahre lang der renditegetriebenen Stadtpolitik. Jetzt liess Italiens Regierung es räumen. Viele weitere linke Häuser sollen folgen.

Die Polizei kam um sieben Uhr morgens. Ihr Auftrag: Räumung des Sozialzentrums in der Via Watteau in Mailand, 1975 entstanden durch die Besetzung eines leer stehenden Gebäudes in der Via Leoncavallo. Im Jahr 2000 und nach zwei Umzügen wurde der Name Leoncavallo ergänzt um den Zusatz Spazio Pubblico Autogestito (S.P.A.): selbstverwalteter öffentlicher Raum.
An diesem 21. August, mitten in der heissesten Jahreszeit, wenn auch linke Aktivist:innen mal Ferien machen, hatten die Einsatzkräfte leichtes Spiel. An organisierte Gegenwehr war nicht zu denken. Hinzu kam, dass zu diesem Zeitpunkt kaum jemand mit einer Attacke der Staatsmacht gerechnet hatte. Schliesslich liefen zeitgleich Verhandlungen mit dem Ziel, den geordneten Umzug des Zentrums vorzubereiten. Vermutlich kam der Einsatzbefehl von ganz oben. Die Räumung des «Leoncavallo» sei nur der Anfang, verkündete Premierministerin Giorgia Meloni. Ihr Innenminister Matteo Piantedosi verwies auf eine Liste mit mehr als zwanzig Objekten, die «mit Priorität» zu räumen seien. Dazu gehören besetzte Wohnhäuser, vor allem aber etliche linke Treffpunkte, unter anderem in Rom und Turin.
Noch nicht entschieden zu haben scheint die Regierung, wie mit einer ganz anders orientierten Einrichtung verfahren werden soll: der seit 2003 besetzten «CasaPound» unweit des Bahnhofs Termini in Rom. Dort residieren die selbsternannten «Faschisten des Dritten Jahrtausends», unter ihnen verurteilte Straftäter und neofaschistische Ideologen. Für den Fall einer Räumung durch die Polizei drohten sie schon mal ein «Blutbad» an. Während Piantedosi das Haus angeblich irgendwann räumen lassen will, sieht Kulturminister Alessandro Giuli dazu keinen Anlass, solange sich die Faschist:innen an die Gesetze halten würden. Was sie offensichtlich nicht tun – siehe einschlägige Gerichtsurteile und die Tatsache, dass sie seit über zwei Jahrzehnten keine Miete zahlen.
Teuerste Stadt Italiens
Offensichtlich gilt für die regierende Rechte: Man schützt die eigenen Leute und vertreibt den Feind – angeblich, um den Gesetzen Genüge zu tun. Dabei standen die von Linken besetzten Gebäude, nicht nur in Mailand, meist jahrelang leer – bevor veränderte Marktbedingungen die Eigentümer:innen merken liessen, dass sie ihre Immobilien nun zu sehr viel Geld machen konnten. In Mailand hatte dieser Wandel besonders dramatische Folgen. Die lombardische Metropole wurde zur teuersten Stadt Italiens, bezahlbarer Wohnraum früher als anderswo zur Mangelware. Ein cleverer Unternehmer namens Silvio Berlusconi erkannte die Zeichen der Zeit; 1979 war seine Trabantenstadt «Milano 2» bezugsfertig – für Wohlhabende.
Die Protagonist:innen der Leoncavallo-Besetzung im Oktober 1975 allerdings wollten mehr als nur bessere Lebensbedingungen für sich selbst. Neben antifaschistischen Kollektiven spielten dort auch linksradikale Organisationen wie Lotta Continua oder Avanguardia Operaia eine wichtige Rolle. Gegen Räumungsversuche wehrten sich alle gemeinsam, später führte die «Gewaltfrage» zu Brüchen. Einigen Aktiven wurden zudem Kontakte zu bewaffneten Gruppen nachgesagt.
Dieser Teil der Geschichte sollte nicht verschwiegen werden, auch wenn die Unterstützer:innen des angegriffenen Kollektivs vor allem, und zu Recht, auf dessen kulturelle und soziale Verdienste verweisen: Kinderbetreuung, Lesungen, Musik und Theater gehörten schon früh zum Programm. Für einige Künstler:innen wurde ein Auftritt im «Leonka» zum Karrieresprungbrett.
Was Mailand derzeit erlebt, ist ein Kulturkampf von rechts, der auch mit Polizeigewalt ausgetragen wird. Angegriffen wird ein Symbol eines Lebens jenseits der Logik des Kapitals. Der Krimiautor Sandrone Dazieri, früher selbst unter den Leoncavallo-Aktivist:innen, spricht von einem Mailand, das einen systematischen «Kampf gegen die Armen» führe. Zugleich beklagt er, auch selbstkritisch, den Mangel an Solidarität mit dem Leoncavallo-Kollektiv. Nach der Räumung allerdings haben sich viele Aussenstehende zu Wort gemeldet, wütend und tatendurstig zugleich. Zu ihnen gehört die antifaschistische Aktivistin Ilaria Salis, seit Juli 2024 für die links-grüne Bündnisliste Alleanza Verdi e Sinistra (AVS) Mitglied im Europäischen Parlament. Ihre Solidaritätserklärung endet mit dem Satz: «Mailand gehört denen, die dort leben – nicht denen, die an der Spekulation verdienen.»
Grossdemo in Mailand
Das soll auch eine Botschaft der Solidaritätsdemo sein, die am 6. September stattfinden wird. Aus allen Teilen des Landes haben sich Unterstützer:innen angemeldet. Denn es geht nicht nur um das «Leonka», sondern zugleich um etliche ähnliche Projekte, die nach dessen Vorbild gegründet wurden. Auch anderswo wollen rechte Kommunalpolitiker:innen die vermeintliche Gunst der Stunde nutzen, um in ihren Städten dauerhaft «aufzuräumen». Das ist eine Kampfansage an jede Art aktiver Dissidenz.