Von oben herab: Alles auf dem Rasen

Nr. 37 –

Stefan Gärtner über Verbote

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Mein Freund R. ist Anarchist, ein Linkslibertärer, dem schon das Rauchverbot ein faschistischer Akt war, was freilich auch damit zu tun hat, dass er begeisterter Raucher ist. Staatliche Eingriffe sind ihm zutiefst zuwider, und er würde dem Philosophen Robert Pfaller zustimmen, der Triggerwarnungen und Ernährungsgebote für Bevormundung hält.

Warum ich das erzähle? Weil R., als Vogelnarr, Naturfreund und letztlich Idylliker, Laubbläser hasst, und in irgendeinem Eck meiner Erinnerung klebt seine tiefe Befriedigung darüber, dass seine Heimatstadt die ewig zeternden Laubbläser abgeschafft habe. Ich weiss nicht, ob das hiess, dass Frankfurt am Main die Laubbläser verboten hat, denn das wäre ja nun, haha!, ein staatlicher Eingriff, wie der Linkslibertäre mit dem Widerspruch zu kämpfen hat, dass das Fehlen staatlichen Eingriffs unter nichtanarchischen Verhältnissen eher rechts als links ist. Entsprechend ist die NZZ, wenn das Zürcher Stimmvolk bald über ein Laubbläserverbot abstimmt, dagegen, weil sie ein neues «Bünzlitum» fürchtet, was mir als Tendenz übersetzt wird, «alles Mögliche zu regulieren oder zu verbieten», bevor wir an die Zeiten erinnert werden, als «Zürcher Linke aus dem Staat Gurkensalat machen» wollten. «Heute schicken ihre politischen Erben städtische Angestellte auf Laubbläser-Jagd und Kompost-Kontrolle. Vielleicht sollte man sich in Zürich etwas öfter an den Geist von damals erinnern.»

Na bitte, das meine ich, und R.s Dilemma ist das Dilemma der Linken schlechthin, die, solange es den neuen freien Menschen nicht gibt, den kein Verwertungszusammenhang am Gebrauch seiner Vernunft hindert, dem alten unfreien jene Angewohnheiten aberziehen muss, die sich seiner Unfreiheit verdanken. Mein Freund R. etwa würde, schon der Vogelwelt zuliebe, das Laub einfach liegen lassen, statt dass er, wie der idealtypische Nachbar aus der NZZ, «morgens um sechs seinen sterilen Rasen mit dem Pustimax 5000 föhnt, bis jeder Wurm einen Tinnitus hat». Ist aber das Entfernen von Laub aus dem öffentlichen Raum vorgesehen und ist überdies vorgesehen, dass man Leute dafür (schlecht) bezahlen kann, wird der Laubbläser zum Arbeitserleichterungsgerät, und wer, mit guten Gründen, gegen das Laublärmgeblase ist, stimmt dafür, dass sich die städtischen Strassenreinigungskräfte wieder über den Besen bücken müssen.

Mir als Kompromisshammel leuchtet da ja der Elektrobläser ein, der nicht stinkt und, glaube ich der alten Tante, nicht mehr Krach als ein Staubsauger macht, was aber nicht heisst, dass ich dem Verbotswesen so skeptisch gegenüberstünde wie unsere Liberalen. Menschlicher Vernunft ist ja nicht einmal die Einsicht zuzumuten, dass ein Fussweg kein Hundeklo ist, und wer die enge, winklige, steile Altstadt nicht für den Autoverkehr sperrt, kann nicht damit rechnen, dass die Leute sagen: Ach, in diese enge, winklige, steile Altstadt will ich mit meinem überdimensionierten Tubelmobil lieber nicht fahren, da nehme ich besser den Bus! Der linke Kampf gegen die Anarchie von Produktion und Konsumtion wird, solange diese Anarchie nicht abgeschafft ist, einer der Verwaltungsvorschrift sein, und solange es eine Lebensmittelindustrie gibt, muss man ihr vorschreiben, Kinderlimos nicht bloss aus Zucker bestehen zu lassen.

Revolution von links heisst, das Böse, Falsche, Schlechte abzuschaffen. Ist linke Revolution nicht gewollt oder möglich, muss Links das Böse, Falsche, Schlechte verbieten, weshalb es nur konsequent ist, wenn die Rechte vorm «Verbotsstaat» warnt. Dass zum Glück das Verbot gehöre, muss immerhin Anarchist R. nicht glauben, denn im anarchistischen Traum ist der Staat abgeschafft und können alle in freier Abstimmung über den Laubbläser entscheiden, was im Schweizer Zusammenhang jetzt eine kuriose Pointe ist. Aber das ist ja nicht verboten.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.