Von oben herab: Sauber bleiben
Stefan Gärtner über das geplante Rauchverbot an Bahnhöfen
Ich habe mal geraucht; ich rauche nicht mehr. Mir ist, nach einer dreiwöchigen Rauchpause, zu der mich frische Nordseeurlaubsluft animiert hatte, bei der ersten Zigarette zuhaus so schlecht geworden wie zuletzt mit fünfzehn, und da war das Verlangen dann weg. Ich vermisse die Raucherei nicht; aber wer rauchen mag, soll rauchen.
Ein Freund von mir, Urbild eines Intellektuellen, raucht leidenschaftlich. Erstens, weil es ihm Spass macht, zweitens, weils halt eine Sucht ist, drittens aber auch, weil er seinen Adorno kennt und weiss, dass auf dem Grunde der herrschenden Gesundheit der Tod liegt. Man muss die Bilder aus dem Unterrichtsfilm «Folgen des Rauchens» nicht verdrängen, um die ubiquitären Rauchverbote als Teil kapitalistischer Optimierungsgesinnung zu begreifen, wie Faschismus halt nicht aussieht wie mein hagerer, unentwegt rauchender Freund, sondern mit Kraft als fitter Freude zu tun hat. Die Zigarette, will Forschung herausgefunden haben, war dem Soldaten so unverzichtbar, weil sie den selbstbestimmten Tod symbolisiere, wie uns verwehender Rauch aus Substanz, die zu Asche wird, melancholisch mitteilt, wie eitel alles sei. Und weil Ästhetik und Ethik halt miteinander zu tun haben, ist das körperbetont Gute nicht mehr unbedingt das Schöne; und das Wahre dann eben auch nicht.
Der Philosoph Robert Pfaller im Gespräch mit «Zeit Campus»: «Die Genussfrage ist aus meiner Sicht eine politische Frage. Früher gab es einen öffentlichen Raum, der von gemeinsamen Idealen geprägt war. Man trug in der Öffentlichkeit feinere Kleider und benahm sich höflicher als zu Hause. Wenn andere rauchen wollten, dann liess man das zu, denn das galt als elegant. Weil es diese geteilten Vorstellungen von Eleganz nicht mehr gibt und jeder die Qualität von Öffentlichkeit mit seinen privaten Massstäben misst, sind wir heute schnell dabei, alles zu verbieten, was uns stört: Auf manchen öffentlichen Plätzen darf kein Alkohol mehr getrunken werden, in Bars und Restaurants gilt das Rauchverbot. (…) Während uns das Rauchverbot als Fortschritt verkauft wird, finden enorme politische Beraubungen statt. Sie haben heute vielerorts keinen Anspruch mehr auf öffentlich finanzierte Hochschulbildung, auf soziale Sicherheit oder auf eine verlässliche Altersvorsorge – geschweige denn auf Würde, Eleganz und Genuss. Das müssen Sie alles privat für sich regeln. Die Öffentlichkeit wird zu einer Sphäre von Verboten und von Verzicht.» Sofern es diese Öffentlichkeit denn noch irgendwo gibt, mit höflichen Leuten in feinen Kleidern.
Unterm Diktat freier Wirtschaft, die täglich Millionen Tonnen Giftdreck in die Luft bläst, mag der Planet vor die Hunde gehen, aber auf Schweizer Bahnhöfen soll bald überhaupt nicht mehr geraucht werden dürfen, obwohl das ja nun wirklich niemanden stört. Das hat, so wenig wie die Abschaffung der Raucherwaggons, nichts mit Nichtraucherinnenschutz, sondern mit Gängelung zu tun, weil dem Apparat alles suspekt ist, was mit Marcuses Grosser Verweigerung zu tun haben könnte, deren Emblem die Rauchpause ist, diese Feier lustvoll sinnlos verbrachter Zeit.
Ob in unseren hemmungslosen Zeiten mit der Rücksicht verbotsbefreiter Rauchfans zu rechnen wäre, ist freilich eine andere Frage; sodass ich als einer, der nicht mehr gern nach Beizenqualm stinkt, am Ende genau dem Apparat dankbar sein muss, der es so weit hat kommen lassen.
So kriegen sie einen.
Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.