Von oben herab: Zwanglo-ho-hos!

Nr. 51 –

Stefan Gärtner über antifaschistische Weihnachten

Nobody’s perfect, heisst es, aber sag das mal wer unsern Frauen: «Die perfekten Geschenke, das perfekte Weihnachtsmenü, der perfekte Weihnachtsbaum und die perfekte Dekoration. Besonders Frauen setzen sich zu den Festtagen einem enormen Druck aus. Die Folge: Überlastung und zu viel Stress für das Herz. Sogar erhöhter Blutdruck und im schlimmsten Fall ein stiller Herzinfarkt können die Konsequenz sein, warnt Dr. Karla Kurrelmeyer vom ‹Methodist DeBakey Heart & Vascular Center› in Houston», die zu Weihnachten halt auch einmal in der Zeitung stehen will, und seis auch nur im «Blick». Wo die WOZ Weihnachten ja totschweigt; oder jedenfalls fast. Denn freilich sollte ich, auf Wunsch meines ziemlich perfekten Führungsredaktors, stellvertretend «die perfekte Weihnachtskolumne» schreiben. Gottlob hab ich das grad erfunden, es wäre ja zum Kündigen gewesen.

Denn «perfekt» ist das zentrale Arschwort jener aus Reklame und Gemeinheit bestehenden Welt, die das, was ihr so umfänglich fehlt, uns Einzelnen zur grimmigen Erfüllung aufträgt; dabei ist, kein Witz, soeben mein Textverarbeitungsprogramm wieder mal abgestürzt, die Wiederherstellungsfunktion meldet: «Wiederherstellung nicht möglich», und da ich vor dem zweiten Absatz nie speichere, hab ich den ersten also zweimal hinschreiben müssen, und die Frage ist, wie jemand ernsthaft glauben kann, mit derart anfälligen Rechenmaschinen liessen sich selbstfahrende Autos steuern. Da wäre ich heute schon einmal gestorben.

Das Gebot der Perfektion hat sich trotzdem in die Köpfe gesenkt, gerade in die unserer «Leistungsträger» (m/w), deren Nachwuchs ja einen perfekten Lebenslauf vorzuweisen haben wird, und einer der Lieblingswitze aus meiner «Titanic»-Zeit geht so: «Ein Bewerbungsschreiben ist wie ein Kind: Ist es nicht perfekt, ist es wertlos.» Und so konnte ein Münchner Freund von seinem Krach beim Elternabend erzählen, wo es allen heiligen Ernstes darum ging, dass beim Mittagessen die Kräuter (!) nicht bio waren. «Aber draussen eine Zigarette anstecken», höhnte der Freund, und ich höhnte gern mit: «Und die Kinder im Geländewagen bringen!» Es wird vor diesen Verhältnissen, in denen Menschen- und Geistfeindschaft sich als tiefste Humorlosigkeit zu erkennen geben, auch alles Gerede von «Inklusion» zur Lüge: Die Beschädigten, Schwächeren, nicht Makellosen sind, da beissen weder christ- noch sozialdemokratische Mäuse einen Faden ab, systemisch letztlich hinderlich, und wer sein Kind Tag für Tag in einer zuckerfreien Kita (!, man kommt nicht nach mit den Ausrufezeichen) abliefert, der fliegt natürlich trotzdem dreimal im Jahr in die Ferien, weil das eigene Brett vorm Kopf zwar aus zertifiziertem Anbau ist, die Sicht auf Probleme, die keine fucking first world problems wären, aber trotzdem verhindert. Bzw. gerade darum.

Auf einem anderen Elternabend, von dem der Berliner Kollege Werning Kunde gab, brauchten Berliner Eltern zwei Stunden (wiederum: !), um sich auf die Taschengeldration für den Klassenausflug zu einigen, und das heisst perfekt eben auch: dass es nichts Unwichtiges mehr gibt. «You’re such a Nazi», sagt Elaine in der Sitcom «Seinfeld» einmal zum übergenauen Jerry, «everything has to be just so», und das ist ein aufschlussreicher Satz. Weihnachten müsste doch, wenn überhaupt irgendwas, das antifaschistische Fest schlechthin sein; und nämlich ferne allem Zwang.

Nein?

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er sonst das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.