Kost und Logis: Landessprachen
Karin Hoffsten über Hürden bei der Kommunikation
Es gehört zum Ersten, was man lernt, wenn man in die Schweiz kommt: Auf jeder Milchpackung steht neben «Milch» auch «Lait» und «Latte», was dem Alltagsleben schon beim Frühstück einen Hauch von Weltläufigkeit verleiht. Wer länger bleibt, erfährt, dass in diesem Land nicht nur Deutsch, Französisch und Italienisch gesprochen werden, sondern auch Rätoromanisch, was auf mich als Eingewanderte damals sehr exotisch wirkte.
In meinen ersten Schweizer Jahren unterrichtete ich sogenannte Allgemeinbildung an der Berufsschule. Zu meinem Glück war Schriftdeutsch im Unterricht vorgeschrieben, und die meisten Schüler:innen antworteten auch so. Ein einziges Mal schmetterte mir ein Lernender entgegen, keine Gewalt der Erde bringe ihn dazu, Hoch- beziehungsweise Schriftdeutsch zu reden. Das konfrontierte mich zum ersten Mal mit der Deutschschweizer Scheu – oder manchmal auch dem Widerwillen –, so zu sprechen wie im nördlichen Nachbarland.
Ich bin neun Kilometer von der Grenze zu Frankreich entfernt im Saarland aufgewachsen und hatte, wenn ich mich richtig erinnere, im Gymnasium mindestens vier Jahre Französisch. Dort lasen wir Racine, Corneille und Molière, aber wie eine französische Bekannte einmal zu mir sagte: «Wie man ein Pfund Blutwurst kauft, lernt ihr nicht!»
Als ich ein paar Jahre in der Verlagsabteilung der WOZ arbeitete, musste ich häufig das Telefon abnehmen, und manchmal riefen halt auch Westschweizer:innen an. Da ich schon deren Anliegen nicht verstand, brachte ich stockend den auswendig gelernten Satz hervor: «Un moment s’il vous plaît, je vous donne quelqu’un, qui parle le français mieux», und verband dann mit sprachgewandteren Kolleg:innen.
Weil meine Besuche im Tessin oder in Italien fast ausschliesslich kulinarische Konversationen erfordert hatten, war mir noch gar nicht aufgefallen, welche Probleme ich im Italienischen haben würde, wenn es nicht nur um Pasta oder Espresso ginge. Als ich kürzlich im Tessin einen Arzttermin brauchte, entpuppten sich die Anrufe in Praxen als enorme Herausforderung. Auf meine Frage «Sprechen Sie Deutsch?» hiess es überall nur «No». Zum Glück liess schliesslich eine Angesprochene sofort den Hörer fallen, den dann eine Person übernahm, die zumindest mich verstand. Auch wenn sich mir deren Antwort nicht völlig erschloss, bekam ich tatsächlich einen Termin.
Im Moment versuche ich, die aufgeregte Diskussion um die Abschaffung des Frühfranzösisch in diversen Kantonen zu verstehen. Dass es den Zusammenhalt der Willensnation gefährdet, wenn Kinder und Jugendliche zwei Jahre früher oder später Französisch lernen, kann ich aufgrund meiner eigenen Sozialisation nur bruchstückhaft nachvollziehen. Und natürlich fragte auch ich im Tessin jeweils: «Do you speak English?», wenn auch erfolglos. Nun bin ich gespannt, wie es weitergeht, und hoffe, der Landesfrieden bleibt gewahrt.
Karin Hoffsten gesteht, dass sie in jedem Land, in dem man ihre Muttersprache nicht versteht, erst mal ziemlich aufgeschmissen wäre. Allen, die sich hierzulande um die jeweilige Landessprache bemühen, begegnet sie drum mit Hochachtung.