Autonome Region Gagausien: Perfekt russifiziert
Ende September wird in Moldau ein neues Parlament gewählt. Besonders in der autonomen Region Gagausien zeigt sich die Einflussnahme des Kremls.
Willkommensschild am Eingang zum autonomen Gebiet Gagausien. Foto: Andreea Campeanu, Laif
Im Nationalmuseum für Geschichte und Ethnografie Gagausiens im Dorf Beșalma hängen Fotos der Baschkan:innen – so werden Gouverneur:innen der Region genannt. Die letzte ist Evghenia Guțul. Am 5. August 2025 verurteilte sie ein Gericht in Chișinău zu sieben Jahren Haft wegen Beihilfe zur illegalen Finanzierung politischer Parteien. Sie kandidierte für die Șor-Partei, die vom moldauischen Oligarchen Ilan Șor, der derzeit in Russland lebt, gegründet worden war, für das Amt der Baschkanin. Mit Geld aus Russland soll sie Stimmen gekauft haben.
Im autonomen Gebiet gilt Ilan Șor, Politiker und ehemaliger Staatsbeamter, als Philanthrop, im Dorf Congaz hat er 2024 einen Vergnügungspark bauen lassen – Eintritt frei. Er hatte den Bewohner:innen versprochen, dass er ihn bauen werde, wenn seine Kandidatin Guțul die Wahlen gewinne. In Chișinău, der Hauptstadt der Moldau, sieht man Șor etwas anders: Das Verfassungsgericht Moldaus erklärte seine Partei im Juni 2023 für illegal. Bereits 2014 hatte Șor Milliarden aus Moldau abgezogen und wurde zu 7,5 Jahren Haft verurteilt. Per Haftbefehl gesucht, floh er nach Moskau und erhielt die russische Staatsbürgerschaft. Er sagt offen, dass Moldau, eingequetscht zwischen Rumänien und der Ukraine, sich mit der Russischen Föderation vereinigen sollte.
Wie das System Ilan Șors funktioniert, erzählt Mihail Sirkeli, Herausgeber von «Nokta», dem einzigen proeuropäischen Medium in Gagausien. Er stiess zufällig darauf: «Ich habe meinem Vater ein Handy gekauft und die Nummer auf meinen Namen registriert. Einige Zeit später wurde ich von der Polizei vorgeladen. Es stellte sich heraus, dass mein Vater monatlich 10 000 Rubel [das entspricht 95 Franken] aus Russland erhielt.» Das ist der niedrigste Satz für «Sympathisant:innen» der Partei. «Aktivist:innen» erhalten etwa 200 Franken, «Koordinator:innen» 400 Franken. Laut der russischen Nachrichtenagentur Tass umfasst das System insgesamt 25 000 Personen.
Bezahlung in bar
Das Geld dafür stammt von der Promswjasbank, einer Hausbank der russischen Rüstungsindustrie. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine wurde sie vom Westen mit Sanktionen belegt. Trotzdem half die Verwaltung von Gagausien Bewerber:innen beim Ausfüllen des Antrags auf «Beihilfe». Seit sich 2024 die moldauischen Banken aus dem russischen Zahlungssystem Korona Pay zurückzogen, kommt das Geld bar. Die Polizei fahndet nach Mittelsmännern. Derjenige, der Sirkelis Vater das Geld gebracht hat, befindet sich bereits in Haft.
«Nokta» wird hauptsächlich ausserhalb der Region gelesen. Die Bewohner:innen Gagausiens beziehen ihre Nachrichten von Tiktok, Telegram und russischen Messengerdiensten. Iulian Groza vom Institute for European Policies and Reforms in Chișinău sagt, es handle sich um typische russische Propaganda: Pseudofakten, Hass auf die regierende proeuropäische PAS, Angst vor Europa und Krieg. «Sie schüchtern die Menschen mit dem Schreckgespenst rumänischer Panzer ein», sagt Groza.
Das Gebiet im Süden der Republik Moldau wechselte mehrfach den Machthaber. Rumänien verlor es 1939 im Rahmen des Ribbentrop-Molotow-Pakts an die UdSSR. Eine Vereinigung mit Rumänien wird nicht ernsthaft in Betracht gezogen. Trotzdem führte Gagausien 2014 ein Referendum durch, bei dem die Einwohner:innen beschlossen, dass sie im Fall eines Anschlusses Moldaus an Rumänien die Sezession wählen würden. Ilan Șors Kandidatin Evghenia Guțul erklärte, dass sie nicht zögern würde, den Kreml um Hilfe zu bitten, sollte auch nur ein moldauischer Soldat in Gagausien einmarschieren.
Eine bedrohte Sprache
Der Kreml müsste nicht lange nach einem Vorwand für eine Intervention suchen. Die «Verteidigung der russischen Sprache» würde ihm wohl ausreichen, wobei eigentlich Gagausisch, eine Turksprache, bedroht ist. Russisch ist bis heute die wichtigste Sprache in Gagausien, während in Moldau Rumänisch die Amtssprache ist. «Die Russifizierung Gagausiens ist perfekt gelungen, denn das Volk ist klein und hat keine Schriftsprache. Gagausien ist eine Exklave des ‹Russki Mir›», sagt Sirkeli – der ideologischen Vorstellung der «einen russischen Welt».
Für Moldau ist das ein strategisches Problem. Die Regierung in Chișinău hat mehreren Fernsehsendern, die von Russland finanziert werden, die Lizenz entzogen. Als Präsidentin Maia Sandu im Juni 2025 nach Comrat, der Hauptstadt Gagausiens, kam, um die Unterstützung der Regierung für das Lehrprogramm der gagausischen Sprache anzukündigen, fand vor dem Gebäude eine Protestkundgebung zur Verteidigung des russischsprachigen Fernsehsenders statt.
Iulian Groza sagt: «Viele Gagaus:innen glauben, dass Guțuls Verhaftung ein Anschlag auf die Opposition gewesen sei, aber die Șor-Partei ist eine kriminelle Organisation, die mit russischem Geld einen hybriden Krieg führt.» Und das tut sie mit Erfolg. Im Referendum zum Beitritt der Moldau zur Europäischen Union im Oktober 2024 waren 94,84 Prozent der Stimmenden in Gagausien dagegen.
Groza betont, dass die Gagaus:innen nur 4,2 Prozent der Bevölkerung Moldaus ausmachen. Ihre politischen Entscheidungen würden das Schicksal des Landes wohl kaum verändern, auch nicht bei den anstehenden Wahlen, die darüber entscheiden, ob sich Moldau weiter der EU annähert oder sich stärker Russland zuwendet. «Aber diese kleine Region ist für Șor ein Testfeld, von dem aus er seine politischen Experimente auf andere Regionen überträgt.» Er hat nicht nur in Gagausien, sondern auch in Orhei einen Vergnügungspark gebaut, wo er einst Bürgermeister war. Jetzt soll einer in Bălți dazukommen, der zweitgrössten Stadt der Republik Moldau.