Erhöhung der Studiengebühren: «Tetris spielen mit den Rechnungen»

Nr. 41 –

Geht es nach dem Bundesrat, wird Studieren in Zukunft noch teurer. Von der Schwierigkeit, die Ausbildung zu grossen Teilen selbst zu finanzieren, erzählt eine junge Studentin.

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Portraitfoto von Sadaf Sedighzadeh
Schon jetzt bleibt kaum Zeit für Freund:innen oder Kultur: Sadaf Sedighzadeh arbeitet neben dem Studium an der Uni Zürich zwei bis drei Schichten pro Woche in einem Restaurant.

«Reiche Eltern für alle»: Dieser Slogan war am Mittwoch vergangener Woche auf dem Bundesplatz wohl am präsentesten. Er prangte auf handgemalten Plakaten und wurde von Redner:innen und Demonstrant:innen skandiert, die sich trotz Bise zahlreich vor dem Bundeshaus versammelt hatten, um gegen die Erhöhung der Studiengebühren und gegen weitere geplante Kürzungen in der Bildung zu protestieren.

Hätten alle reiche Eltern, wäre es egal, wenn die Studiengebühren verdoppelt beziehungsweise für ausländische Studierende gar vervierfacht würden, wie es der Bund mit seinem Sparpaket vorsieht. Dass die Realität eine andere ist und dass die Massnahme Studierende in der ganzen Schweiz treffen würde, erklärt die breite Mobilisierung: Nicht nur in Bern, auch in Städten wie Genf oder Zürich gingen letzte Woche insgesamt 6000 Personen auf die Strasse. Nicht mit dabei war Sadaf Sedighzadeh. Sie musste arbeiten.

Fast drei Viertel arbeite

Montagmorgen um 9.30 Uhr an der Universität Zürich. Sadaf Sedighzadeh sitzt an einem der runden Tische im Lichthof des Hauptgebäudes. Um 10.15 Uhr hat sie hier ein Seminar, am Nachmittag steht eine Vorlesung an. Die Zeit dazwischen und danach wird die Studentin der Geschichte und Ethnologie in der Bibliothek verbringen, um Stoff nachzuholen. «Vor zwei Wochen fiel eine Kollegin bei der Arbeit aus, da musste ich einspringen und habe ein paar Veranstaltungen verpasst.»

Sedighzadeh ist sporadisch für die «Limmattaler Zeitung» als Reporterin unterwegs – für den Lebenslauf, sie möchte Journalistin werden. Um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, arbeitet die 27-Jährige zwei bis drei Schichten pro Woche in einem Restaurant. Das Leben in Zürich ist teuer, am heftigsten schlägt die Miete zu Buche: Rund 900 Franken wendet sie dafür monatlich auf – mehr als die Hälfte ihres Einkommens. Aussagen, in denen Bilder von «faulen Studierenden» reproduziert werden, sind für sie «ein Schlag ins Gesicht»: Die Mehrfachbelastung macht ihr zu schaffen, für kulturelle und aktivistische Projekte, die sie früher verfolgte, bleiben ihr heute weder Zeit noch Energie, Freund:innen sieht sie nur selten.

Studierende berappen im Durchschnitt 42 Prozent ihrer Ausgaben selber, die Hälfte wird von den Eltern gedeckt, dazu kommen Stipendien, Darlehen oder weitere Einnahmequellen. Mit ihrem Job neben dem Studium ist Sedighzadeh der Normalfall: 72 Prozent der Studierenden in der Schweiz arbeiten, die Mehrheit in einem Pensum von maximal 40 Prozent. Der Anteil der erwerbstätigen Studierenden ist in den vergangenen Jahren gestiegen, das zeigen Erhebungen des Bundesamts für Statistik – eine Entwicklung, die auch darauf hindeutet, dass Hochschulen heute weniger exklusiv sind als noch vor fünfzig Jahren. Doch müssen Studierende wegen steigender Kosten mehr arbeiten, kann dies das Studium verlängern – was politisch nicht erwünscht ist.

Sadaf Sedighzadehs Eltern führen einen Antipastiladen, mit dem sie nicht viel verdienen, ihre Tochter aber unterstützen sie, so gut es geht. «Meine Eltern überweisen mir jeden Monat einen fixen Betrag, der etwa ein Viertel meiner Lebenshaltungskosten deckt.» Den Rest finanziert Sedighzadeh selbst, Ende Monat heisse es jeweils «Tetris spielen mit den Rechnungen». Die Eltern zahlen ihr die Studiengebühren. Die liegen an der Uni Zürich bei 720 Franken pro Semester und damit leicht über dem Schweizer Durchschnitt. Im Rahmen des Sparpakets sollen die Studiengebühren nun verdoppelt, für ausländische Studierende, die ihre Hochschulzulassung im Ausland erworben haben, gar vervierfacht werden.

Sedighzadehs Eltern müssten künftig 1440 Franken pro Semester zahlen, jährlich also 2880 Franken aufwenden. «Es fällt mir schwer, mit meinen Eltern darüber zu sprechen, weil ich weiss, dass sie mir das Studium unbedingt ermöglichen wollen, mich aber nicht noch mehr unterstützen können.» Über einen Studienabbruch habe sie aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten schon öfter nachgedacht.

Sedighzadehs Eltern kommen aus dem Iran. Als Sadaf zwei Jahre alt ist, flüchtet die Familie in die Schweiz. Die Eltern haben zwar studiert, müssen in der Schweiz aber von vorne anfangen. «Mein Vater arbeitete zu Beginn in der Schweiz als Taxifahrer, meine Mutter leitete Mittagstische.» In der Schule hätten ihre Eltern sie nicht unterstützen können, erzählt sie. «Vielmehr unterstützte ich sie beim Deutschlernen.»

Stipendien decken nur wenig ab

Beim Zugang zu Hochschulbildung existieren nach wie vor strukturelle Hürden. So sind etwa Menschen mit Migrationsgeschichte an den Hochschulen anteilsmässig unter-, Kinder aus Akademiker:innenfamilien dagegen überrepräsentiert. Die Bildungschancen seien bereits jetzt ungleich verteilt, sagt Julia Bogdan vom Verband der Schweizer Studierendenschaften (VSS); «ein Zustand, der sich mit höheren Studiengebühren zusätzlich verschärfen könnte». Bogdan ist Kopräsidentin des VSS und studiert an der ETH Zürich. Den Protest von vergangener Woche haben sie und ihre Kopräsidiumskollegin auf die Beine gestellt.

Ein Mittel, das Chancengleichheit für Menschen aus ärmeren Familien gewährleisten sollte, sind Stipendien. Doch diese erfüllten ihre Funktion nur unzureichend, meint Bogdan. «Je nach Kanton hat man bessere oder schlechtere Chancen auf Stipendien.» Das Stipendienwesen ist kantonal geregelt, was bedeutet, dass Personen mit ähnlichen finanziellen Mitteln unterschiedlich eingestuft werden können.

Sadaf Sedighzadeh erhielt auch schon Stipendien, damit konnte sie einen Viertel ihrer Ausgaben decken. Nun sind ihre Eltern in einen anderen Kanton gezogen, der «grosszügiger» sein soll, wie sie gehört hat. Sie will im neuen Jahr wieder einen Antrag stellen. Gerade mal vier Prozent der studentischen Einnahmen stammen heute aus Stipendien. Wegen der Gebührenerhöhung würden mehr Stipendien nötig – was zusätzliche Kosten für die Kantone bedeuten würde.

Auch gegen die Vervierfachung der Studiengebühren für ausländische Studierende spricht sich der VSS aus. An der ETH, wo Bogdan studiert, müssen ausländische Studierende seit dem Herbstsemester bereits dreimal so hohe Studiengebühren bezahlen wie ihre Kommiliton:innen mit Schweizer Matura. Diese Praxis, die ähnlich auch an anderen Hochschulen existiert, könnte allerdings aufgehoben werden, sobald die neuen Verträge mit der EU unterzeichnet sind: Die Nichtdiskriminierung der Bürger:innen ist eines der Grundprinzipien der Personenfreizügigkeit im EU-Raum – wo zwei Drittel der ausländischen Studierenden herkommen.

«Klassistischer Angriff»

Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Parlament ist klar, dass in den Beratungen über das Entlastungspaket 2027, die in der Wintersession beginnen, Anliegen wie Chancengleichheit bei der Hochschulbildung einen schweren Stand haben – insbesondere wenn man, wie die Studierenden, nicht wirklich eine Lobby hat. Die SP-Nationalrätin Tamara Funiciello spricht sich deutlich gegen Gebührenerhöhungen aus: Ein «klassistischer Angriff auf die Bildung» sei die geplante Erhöhung, «eine Massnahme, die gewissen Menschen das Studium verunmöglichen wird».

Entscheidenden Widerstand erwartet Funiciello aus den Kantonen. Im Sparpaket will der Bundesrat die Beiträge an die Hochschulen kürzen und «empfiehlt», die Kürzungen durch Gebührenerhöhungen aufzufangen. Anders als bei ETH und EPFL ist die Festsetzung der Studiengebühren an Unis und Fachhochschulen Sache der Trägerkantone. Je nach Finanzkraft wird diesen aber nichts anderes übrig bleiben, als die Gebührenerhöhung umzusetzen, sagt der Neuenburger Ständerat Fabien Fivaz von den Grünen. Der Kanton Neuenburg etwa werde nicht in der Lage sein, die Kürzungen auf anderem Weg zu kompensieren. «Die Gebührenerhöhungen sind zudem nur eine Sparmassnahme von vielen, die Bildung und Forschung treffen.»

Die von Kürzungen Betroffenen müssten über Partikularinteressen hinaus zusammenstehen, findet Tamara Funiciello. «Sonst verlieren diejenigen mit der kleinsten Lobby.» Im Bildungsbereich gebe es diese Solidarität bereits, sagt Julia Bogdan. Für die Kundgebung in Bern hat sich der VSS mit der Union der Schülerorganisationen sowie der Vertretung des akademischen Mittelbaus zusammengetan.

Sich zusammenzuschliessen hält auch Sadaf Sedighzadeh für wichtig. «Studieren ist heute nicht so easy, wie es vermutlich damals für die Leute war, die die Sparmassnahmen beschliessen.»