Auf allen Kanälen: Durch die Hintertür

Nr. 42 –

Der TV-Sender N1 zählt zu den wenigen serbischen Medien, die die Proteste gegen die Regierung thematisieren. Nun ist seine Unabhängigkeit bedroht.

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stilisiertes Logo des Senders N1

Ein später Abend Ende August in einer Kleinstadt in Serbien. Die Kamera des Senders N1 fängt ein, was im serbischen Fernsehen sonst fast niemand zeigt: Eine Demonstration schiebt sich durch die Dunkelheit, Trillerpfeifen schrillen, Warnwesten leuchten. Fast eine Stunde lang schaltet der Sender live in verschiedene Städte, es sind Bilder der grössten Proteste gegen die Regierung seit Jahren.

Genau das macht N1 gefährlich für Serbiens Präsidenten Aleksandar Vučić. Seit dem Einsturz eines Bahnhofsvordachs in Novi Sad am 1. November vergangenen Jahres, bei dem sechzehn Menschen starben, reissen die Proteste nicht ab. Sie machen Korruption und damit die Regierung für das Unglück verantwortlich. N1 berichtet fast täglich über die Proteste. Seit deren Beginn haben sich die Einschaltquoten verdoppelt.

Damit soll nun Schluss sein. Ende August wurde ein brisantes Telefongespräch öffentlich. Zu hören ist Stan Miller, Chef des niederländischen Medienkonzerns United Group, zu dem N1 gehört. Am anderen Ende: Vladimir Lučić, Chef der staatlichen Telekom Srbija. Dieser übermittelt die Anweisung von Vučić: N1 soll geschwächt werden. Dafür soll Aleksandra Subotić ihren Posten verlieren. Die Geschäftsführerin des Tochterunternehmens United Media hatte stets die Unabhängigkeit der Redaktion verteidigt. Miller antwortete am Telefon, er brauche noch Zeit.

Pressefreiheit schwindet

In der Redaktion herrsche seither Unsicherheit, sagt Programmchef Igor Božić. Er vermutet, dass die Regierung durch die Hintertür Einfluss auf den Sender gewinnen will. «Heute sind N1 und Nova S die einzigen TV-Sender in Serbien, die nicht unter der vollen Kontrolle des Vučić-Regimes stehen», sagt Božić. Die anderen würden Demonstrierende entweder ignorieren oder als «Terroristen» bezeichnen.

Seit Vučić Präsident wurde, ist Serbien im Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen abgerutscht: von Platz 59 (2017) auf Platz 96 (2025). Vučić, zuvor Informationsminister unter Slobodan Milošević, setzt die Medien seit Jahren unter Druck. Das geschehe etwa über den Marktzugang, sagt Tamara Filipović, Generalsekretärin des Unabhängigen Journalistenverbands (NUNS). «Die Regierung erpresst jeden, der Werbung in unabhängigen Medien schalten will.» Regierungsnahe Medien hingegen kassierten viele Steuergelder. Laut der Nachrichtenagentur Reuters geniessen N1 und Nova S hingegen deutlich mehr Vertrauen in der Bevölkerung als regierungsnahe Sender.

Mitte August verprügelten Anhänger der Regierungspartei SNS in Novi Sad zwei Journalisten mit Stangen. Nikola Bilić von der Plattform «Novi Sad 192» landete mit Kopfverletzungen im Spital. Vučić und andere Regierungsmitglieder bezeichnen unabhängige Journalist:innen regelmässig als «Verräter» oder «Terroristen». 2025 hat NUNS schon über fünfzig Angriffe gezählt – «so viele wie noch nie seit Beginn unserer Aufzeichnungen 2008», sagt Filipović. Die Täter seien meist regierungsfreundliche Demonstranten, immer häufiger auch Polizisten. Auch N1 erhalte täglich Drohungen, sagt Božić. Im Sommer landete ein Brief auf der Redaktion: «Ihr werdet enden wie ‹Charlie Hebdo›.» Die Polizei blieb untätig. Das Innenministerium äusserte sich auf Anfrage nicht dazu.

Langsam und unbemerkt

Nach den Enthüllungen im August suchen Božić und seine Kolleg:innen noch immer nach Antworten. Niemand kenne die Pläne des Eigentümerkonzerns United Group. Ein Sprecher weist die Vorwürfe zurück. «Es gibt keinen Grund, warum wir mit dem serbischen Staat kooperieren sollten.» Man arbeite sogar mit internationalen Beratern zusammen, um die redaktionelle Unabhängigkeit zu stärken. Genau das aber besorgt Aleksandra Subotić, deren Kopf – vielleicht – rollen soll. Aktuell läuft gegen sie ein internes Verfahren wegen angeblich veruntreuter Finanzmittel. Subotić bestreitet die Vorwürfe. Dass sie wirklich gehen muss, glaubt Filipović von NUNS nicht. «Das wäre nach diesem Telefonskandal zu offensichtlich.» Eine Einflussnahme werde langsam und unbemerkt geschehen.

«Wenn N1 nicht mehr unabhängig arbeiten kann, ist das für die serbische Demokratie katastrophal», sagt Programmchef Božić. Auch am 1. November, wenn sich das Unglück von Novi Sad jährt, werden die Kameras des Senders wieder auf den Strassen dabei sein.