Zohran Mamdani: Das New Yorker Experiment
Busverkehr und Kinderbetreuung gratis, dazu ein Mietendeckel: Mit simplen linken Ideen kann ein 34-jähriger Muslim nächste Woche Bürgermeister der Finanzmetropole werden. Wie kam das?
Ob er irgendwelche Laster habe? Zohran Mamdani überlegt einen Moment. Jede Antwort muss abgewogen werden, so kurz vor der Wahl.
Alle paar Wochen, sagt Mamdani, rauche er eine Zigarette. Ab und zu nehme er auch einen Schluck Red Bull. Manchmal allerdings reiche es schon aus, nur auf die Dose zu schauen. Die Journalist:innen des Onlinemagazins «Hell Gate», die mit Mamdani für eine Podcast-Liveaufnahme auf der Bühne sitzen, wirken etwas enttäuscht ob der harmlosen Geständnisse. Dann allerdings erzählt Mamdani noch von seiner Klaustrophobie.
Früher, wenn er in einer vollgepackten U-Bahn in einem Tunnel stehen geblieben sei, habe er andere Passagier:innen darum bitten müssen, mit ihm zu reden. Unangenehm sei das gewesen, aber anders habe er die Situation nicht aushalten können. Irgendwann habe ihm sein Therapeut das Beruhigungsmittel Xanax verschrieben. Allein die Packung in der Hand zu halten, habe geholfen, sagt Mamdani. Genauso sei das auch mit dem Red Bull.
Moderate Forderungen
Als Mamdani, der mit grosser Wahrscheinlichkeit am kommenden Dienstag die Wahl zum Bürgermeister von New York City gewinnen wird, diese Geschichte erzählt, wird deutlich, was eine seiner grossen Stärken ist: Der Mann ist zugänglich. Er kennt die Probleme der normalen New Yorker:innen, in diesem Fall den oft quälenden Nahverkehr. Er hat eine Angststörung, was in dieser Stadt weit verbreitet ist. Und er spricht davon mit einer Mischung aus Witz und Ernst, wie es nur wenigen Politiker:innen gelingt. Vieles auf dieser Welt kann man erlernen, Charisma nicht. Der 34-jährige Mamdani darf sich gesegnet schätzen.
Das Gespräch an diesem Abend findet in einem Museum im Viertel Astoria statt, das zum Stadtteil Queens gehört. Mitten im Wahlkreis also, den Mamdani seit 2021 als Abgeordneter fürs Parlament des Bundesstaats New York vertritt. Er trägt einen dunkelblauen Anzug, eine gepunktete Krawatte, einen frisch getrimmten Bart und wie immer an drei Fingern einen Ring. Im Publikum sitzen rund 200 Personen, die meisten dem Jubel nach Fans. Verglichen mit seinen immer grösser werdenden Wahlkampfauftritten ist es eine familiäre Atmosphäre.
Mamdani erklärt, wie er New York verändern will, und wie immer, wenn er das tut, wird deutlich, wie moderat seine Forderungen eigentlich sind angesichts der grotesken Gleichzeitigkeit von Reichtum und Armut bei zunehmender Unbezahlbarkeit dieser Stadt. Zu Mamdanis Programm zählen eine kostenlose Kinderbetreuung, ein Mietendeckel, gratis Busverkehr, stadteigene Supermärkte sowie die Errichtung einer neuen Behörde für Gewaltprävention, psychologische Notfälle und Sozialarbeit im öffentlichen Raum. Um diese Pläne umzusetzen, braucht es zusätzlich rund sieben Milliarden US-Dollar pro Jahr. Dazu kommt noch der Bau von 200000 bezahlbaren Wohnungen. Reinkommen soll das Geld durch eine Steuererhöhung für Einkommensmillionär:innen und grosse Konzerne. Die da oben, sagt Mamdani, machten Klassenkampf. Höchste Zeit sei es, zurückzukämpfen.
Vielleicht liegt es an seinem Alter, vielleicht daran, dass sich Mamdani aus Prinzip gegen bestimmte Routinen wehrt, jedenfalls legt er in Interviews mehr Pausen ein als die meisten anderen Politiker:innen. Er hört zu, denkt nach. Und manchmal hat er auch keine Antworten. Bei der letzten TV-Debatte wollte er bei einigen Fragen der Moderation keine Position beziehen. Souverän wirkte das nicht.
Rassismus und «crime panic»
«Ich war von Anfang an von seiner Fähigkeit beeindruckt, Kontakt mit Menschen aufzunehmen und Beziehungen zu pflegen», sagt Jabari Brisport, Senator für den Bundesstaat New York, im Gespräch. Wie Mamdani ist auch er Mitglied der Democratic Socialists of America. Die beiden sind seit Jahren befreundet. «Er spricht mit jedem, merkt sich Details und beobachtet Situationen mit Scharfsinn», sagt Brisport über seinen Genossen.
Dass Mamdani ein kommunikatives Ausnahmetalent ist, geben selbst die Gegner:innen zu. In seiner Politik stecken «change» und «joy» – anders als Barack Obama und Kamala Harris, die diese Schlagworte vor sich hergetragen haben, verbindet Mamdani die «Freude» an einem «Wandel» jedoch mit einer dafür notwendigen Agenda. Er will eine Umverteilung von Macht und Ressourcen, eine Selbstermächtigung der «working class». Genau das sei für ihn demokratischer Sozialismus.
Seine Kampagne war von Anfang an ein Experiment. Gibt es in Donald Trumps Amerika überhaupt noch Raum für linke Visionen? Ist ein muslimischer Sozialist, der in Uganda geboren wurde und sich offen mit dem US-Präsidenten anlegt, wählbar? Kann es eine Bewegung von Zehntausenden Wahlkampfhelfer:innen mit dem konservativen Establishment der Hauptstadt der Finanzwelt aufnehmen? Seit Mamdani im Juni die Vorwahlen der Demokratischen Partei gewonnen hat, lassen sich diese Fragen vorsichtig mit Ja beantworten. Sollte Mamdani am 4. November die Hauptwahl gewinnen, wäre zum ersten Mal in der Geschichte der USA ein so linker Politiker in einer so wichtigen Regierungsposition.
Während Mamdani den schmalen linken Flügel der Democrats verkörpert, steht sein Hauptkonkurrent, Andrew Cuomo, für die satte, sture und statische Führungsschicht der Partei. Der 67-Jährige musste 2021 sein Amt als Gouverneur von New York niederlegen, nachdem ihm zahlreiche Frauen sexuelle Belästigung vorgeworfen hatten. Zu seiner politischen Bilanz gehört unter anderem ein kaputtgespartes Gesundheitssystem. Was Cuomo als Bürgermeister ändern will, lässt sich schwer sagen. Er scheint die Stadt eher zu ertragen als sie zu mögen. Und er hat den Wahlkampf vor allem damit verbracht, Mamdani mit Lügen zu beschmutzen.
In einem Radiointerview in der vergangenen Woche insinuierte Cuomo, dass sich Mamdani über einen islamistischen Terroranschlag wie den am 11. September 2001 freuen würde. Auf Social Media verbreitete Cuomos Team zur gleichen Zeit ein KI-generiertes Video mit der Botschaft, dass vor allem «Kriminelle für Zohran Mamdani» stimmten. Bereits im Frühjahr hatte eine Pro-Cuomo-Organisation einen Flyer produziert, der Mamdani mit verlängertem, verdunkeltem Bart zeigte. Ausser antimuslimischem Rassismus und «crime panic» fällt Cuomo nicht viel ein.
Kompromisse eingehen
Als Bürgermeister von New York hätte es Mamdani nicht nur mit vielen offen feindlichen Kräften zu tun, seien es rechtskonservative Politiker:innen oder grosse Immobilienkonzerne. Er wäre bei vielen seiner Reformvorhaben auch von der New Yorker Gouverneurin Kathy Hochul abhängig, etwa wenn es um Steuerpolitik geht. Als Hochul letzten Sonntag bei einer Wahlkampfveranstaltung von Mamdani, zu der rund 13 000 Menschen kamen, eine kurze Ansprache hielt, skandierte das Publikum: «Tax the rich! Tax the rich!» – «Ich höre euch», antwortete Hochul mit sichtbarer Demut. Mit Blick auf ihre eigene Wahl im kommenden Jahr wird sie die in New York immer stärker werdende linke Basis kaum ignorieren können.
Die grösste Bedrohung, betonte Mamdani ein paar Tage zuvor bei der Podcast-Liveaufnahme, stelle Trump dar. Der Präsident droht New York mit der Entsendung der Nationalgarde. Und er könnte der Stadt finanzielle Mittel entziehen. Rund acht Prozent des Haushalts kämen vom Bund, erklärt Mamdani. Kooperation mit Trump sei trotzdem keine Option, die Demokratische Partei müsse endlich auf Kampf schalten. Anders könne man gegen eine rechtsautoritäre Regierung nicht bestehen. «New York steht nicht zum Verkauf», lautet Mamdanis Slogan.
Kompromisse wird allerdings auch Mamdani eingehen müssen. Als die Journalist:innen von «Hell Gate» wissen wollen, warum er die konservative Polizeipräsidentin Jessica Tisch im Amt belassen würde, gibt er eine ausweichende Antwort. Am Ende müssten alle seinen Vorgaben folgen, sagt Mamdani. Dabei ist der Grund dieser Entscheidung offensichtlich: Mamdani will es sich nicht weiter mit der New Yorker Polizei verscherzen, die er in der Vergangenheit oft und zu Recht für Gewaltaktionen und rassistisches Verhalten kritisiert hat.
Der Umgang mit dem Police Department wird zu einer der grössten Herausforderungen seiner Amtszeit. Nicht zuletzt deshalb fordert Mamdanis Verbündeter Brisport, die Erwartungen etwas zu drosseln. «Zohran ist ein unglaublicher Gewinn für die Bewegung», sagt Brisport. «Ein Bürgermeister allein bringt aber kaum den Sozialismus.»
Zohran Mamdanis Wahlkampf ist auch Thema im aktuellen «Hörkombinat»-Podcast mit WOZ-USA-Korrespondent Lukas Hermsmeier als Gast.