Auf allen Kanälen: Gefährliche Newsdiät

Nr. 45 –

Wir leben in interessanten Zeiten – über die immer mehr Leute immer schlechter informiert sind. Erkenntnisse aus dem neuen «Jahrbuch» zur Qualität der Schweizer Medien.

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Kanäle

Heute regierten «Stimmengewirr und Aufmerksamkeitsknappheit». Die Masse der Informationen explodiere «in Hochgeschwindigkeit», die alte «Gatekeeper-Gemütlichkeit», mit der Journalist:innen einst am «Tor zur öffentlichen Welt» den Nachrichtenverkehr regelten: längst passé. Und überhaupt werde gerade alles, was seriösen Journalismus ausmache, neu verhandelt.

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen sparte nicht mit prägnanten Thesen, als er diesen Sommer für das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» die missliche Lage, in der sich der Journalismus befinde, zu entflechten versuchte. Der Titel seines Essays: «Im Sturm». Als Treiber des Sturms nennt Pörksen einen wachsenden «digitalen Feudalismus», einen schmerzhaften Clinch zwischen Tempo und Wahrheitsfindung, zwischen Clicks und Relevanz. Und auf Konsument:innenseite eine um sich greifende Krisen- und Newsmüdigkeit. Im Vorbeigehen erteilt er der «Newsdiät» – von Ratgeberautor Rolf Dobelli als Lebensverbesserungsmassnahme propagiert – eine klare Absage: libertäres «Digital-Detox-Spiessertum» sei das.

Kaum Zahlungsbereitschaft

Die wissenschaftliche Schwester der «Newsdiät» heisst «Newsdeprivation», und sie beschäftigt auch die Forscher:innen der Universität Zürich im neuen «Jahrbuch» zur Qualität der Schweizer Medien. Zwar hat sich die Unterversorgung mit journalistischen Inhalten im vergangenen Jahr weniger dramatisch verschärft als zuvor. Aber sie betrifft unterdessen besorgniserregende 46 Prozent der Bevölkerung (zum Vergleich: 2010 waren es erst knapp über 20 Prozent). Was auffällt: Wer Nachrichten nur via Social Media mitbekomme, sei zwar besser informiert als diejenigen, die gar keine News konsumierten, habe aber weiterhin einen Wissensrückstand.

Für eine solide Wissensbasis bleibe der «eigene, ungefilterte Nachrichtenkonsum» nämlich entscheidend, wie die «Jahrbuch»-Autor:innen schreiben. Und die Qualität der Medien, die genutzt werden, sei wichtiger als deren Quantität. Oder wie es Studienleiter Mark Eisenegger im SRF-Interview zusammenfasst: «Am besten informiert sind jene, die sehr traditionelle News konsumieren, zum Beispiel Radio, Fernsehen, Zeitungen.» Denn es gehe nicht nur um Informationsvermittlung, sondern auch um zusätzliche Faktoren wie Einordnungsleistung, Vielfalt, Relevanz und Sachlichkeit. Das «Jahrbuch» hält auch fest: Die Qualität der Schweizer Abo-und SRF-Medien sei zwar stabil, aber durch Medienkonzentration, Ressourcen- und Stellenabbau gefährdet. Für Onlinenews wiederum wolle nach wie vor kaum jemand zahlen. Die Gratismentalität sitzt hier tief.

Wie KI die gebeutelte Medienwelt weiter umpflügt, ist ein anderer Schwerpunkt im «Jahrbuch». Besonders stossend: KI-Chatbots nutzten für ihre Wissensvermittlung massgeblich journalistische Inhalte, die sie bei traditionellen Medien abgriffen. Letztere profitierten davon aber kaum. Ein Grossteil der Werbegelder fliesse heute bekanntlich zu den Techplattformen. Und Chatbot-Nutzerinnen ebenso wie Social-Media-User würden beim Recherchieren meist nicht zu den Quellen des vermittelten Wissens – sprich: zu den traditionellen Medien – geführt. Vielmehr hält man sie mit technischen Tricks im Reich der «maximal intransparenten» und «von kalten Profitinteressen gesteuerten» (nochmals Pörksen) Algorithmen gefangen.

Extreme Echoräume

Kräftezehrender Strukturwandel und Newsabstinenz sind auch deshalb alarmierend, weil sie demokratierelevant sind. Uninformierte sind nicht einfach passiv und beteiligen sich kaum an demokratischen Prozessen, sondern sie driften auch in problematische Echoräume ab, wie die Studie festhält. Vom Misstrauen gegenüber Medien und Politik ist es ein kurzer Weg in den QAnon-Telegram-Chat.

Was passiert, wenn sich Demokratie und seriöser Journalismus verflüchtigen, hat die «New York Times» jüngst in einem düsteren Editorial aufgelistet: Genannt werden zwölf Punkte, die das Abrutschen in ein autoritäres System markieren; die USA unter Donald Trump seien auf dem direkten Weg dahin. Punkt 8: Eine starke freie Presse, die unbequeme Wahrheiten vertritt, schützt vor autoritären Machtergreifungen.

Download des neuen «Jahrbuchs Qualität der Medien»: www.tinyurl.com/foeg-buch.