Paolo Virno (1952–2025): Der heitere Radikale

Nr. 46 –

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Für die Zeitung «La Repubblica» war er schlicht «Marxist und Ideologe von Potere Operaio». Beides stimmt, ist aber nicht einmal die halbe Wahrheit über Paolo Virno.

Geboren in Neapel, schloss er sich Ende der Sechziger verschiedenen linksradikalen Organisationen an. Er promovierte über Adorno und war gleichzeitig aktiv in der Revolte von 1977. Zwei Jahre später wurde er mit mehr als hundert anderen Militanten festgenommen. Die Anklage: Förderung des Terrorismus. Das Urteil: zwölf Jahre Haft. Drei davon musste er absitzen, bevor er 1987 freigesprochen wurde. Die Zeit im Gefängnis nutzte er zu intensiven Studien. Nach seiner Entlassung gründete er die Zeitschrift «Luogo Comune», ab 1993 unterrichtete er an mehreren Universitäten Philosophie.

Portraitfoto von Paolo Virno
Paolo Virno

Stets verband er Wissenschaft und Aktivismus. Seine im deutschen Sprachraum am meisten rezipierte Schrift ist «Grammatik der Multitude». Den auf Spinoza zurückgehenden, von Antonio Negri und Michael Hardt popularisierten Begriff der Multitude – am ehesten übersetzbar mit «die Menge» oder «die Vielen» – beschreibt er als «Seinsweise» in Zeiten der postfordistischen Arbeits- und Lebensformen. Die Trennungen zwischen Arbeit und Freizeit, privat und öffentlich seien weitgehend aufgehoben, Sprache und Kommunikation würden zu Produktivkräften. Gleichzeitig warnt Virno vor dem «Missverständnis, das Auftauchen der Multitude falle mit dem Ende der Arbeiter:innenklasse zusammen».

Ein Text von Ende 2023 kann als Kurzfassung seiner Botschaft gelten – eine Polemik gegen die traditionelle Linke, der es um Vollbeschäftigung, Wirtschaftswachstum und staatliche Reformprogramme gehe. Dagegen stellte Virno die revolutionäre Politik der späten Siebziger: den Kampf gegen die Lohnarbeit und für die Verbindung gesellschaftlicher Sphären wie Betrieb, Schule, Stadtteil, in denen unvereinbare Interessen jeden Kompromiss ausschliessen. Sein Schlüsselbegriff dabei lautet «Exodus»: der kollektive Auszug aus dem Bereich, wo «das Monopol der politischen Entscheidung» herrsche.

Weggefährt:innen beschreiben Virno als ernsthaft und heiter zugleich. Stets sei er auf der Suche nach «neuer Subjektivität» und «neuen Visionen» gewesen, schreibt Andrea Colombo in der Zeitung «manifesto». Trotz aller Niederlagen habe er nie resigniert. Am 7. November ist Paolo Virno in Rom gestorben.