Rossana Rossanda (1924–2020): Mit der nötigen Starrköpfigkeit

Nr. 40 –

Eine Tochter des 20. Jahrhunderts: Die Kommunistin Rossana Rossanda war eine der wichtigsten Stimmen der italienischen Linken. Nun ist die Journalistin und «il manifesto»-Mitgründerin im Alter von 96 Jahren in Rom gestorben.

Ein ständiges Bemühen, sich eine eigene Position zu erarbeiten – oft auch zwischen den Stühlen: Rossana Rossanda, hier 1996. Foto: Leonardo Cendamo, Getty

Als Rossana Rossanda vor einem Jahr ihrer langjährigen Freundin Luciana Castellina zum 90. Geburtstag gratulierte, beschränkte sie sich nicht auf schöne Worte. Castellinas eher heiterem Gemüt stellte sie ihren eigenen «unduldsamen und brummigen Charakter» gegenüber. Das war keine Koketterie, sondern die eher selten anzutreffende Neigung, auch der eigenen Person kritisch gegenüberzutreten.

Am 20. September ist Rossanda im Alter von 96 Jahren in Rom gestorben. Etliche politische WeggefährtInnen, die sich an Begegnungen mit ihr erinnern, stellen aus gutem Grund ihre aussergewöhnlichen Verdienste in den Vordergrund, vor allem bei der gemeinsamen politischen und publizistischen Arbeit.

Konflikte mit der Parteilinie

1943, als Neunzehnjährige, leistete Rossana Rossanda als «staffetta» (Deckname Miranda) Kurierdienste für die Resistenza, den antifaschistischen Widerstand, und trat in den Partito Comunista Italiano (PCI) ein. Im PCI machte sie als junge Frau eine für damalige Verhältnisse ungewöhnliche Karriere. Sie wurde Mitglied des Zentralkomitees, später dann Hauptverantwortliche für Kulturpolitik.

Konflikte mit der Parteilinie gab es ständig. Die PCI-Linke, der neben Rossanda auch Castellina, Lucio Magri und Luigi Pintor angehörten, sympathisierte mit der chinesischen Kulturrevolution, dem Pariser Mai, dem Prager Frühling. Als die Gruppe 1969 eine eigene Monatszeitschrift, «il manifesto», gründete, reagierte die PCI-Führung mit Parteiausschluss.

Der Versuch der Ausgeschlossenen, eine eigene Partei links des PCI zu etablieren, endete im Fiasko. Die Zeitung «il manifesto» aber blieb, seit 1971 erscheint sie täglich, bis 1976 massgeblich geprägt von Rossana Rossanda. Als prominenteste Persönlichkeit war sie zugleich Teil eines Kollektivs mit kargem Einheitslohn und lebhafter Diskussionskultur. Mitherausgeber Tommaso Di Francesco (72) erinnert sich an Rossandas Unzufriedenheit mit der eigenen Arbeit, lobt ihre Strenge und «nötige Starrköpfigkeit».

Nach ihrem Ausstieg aus der Redaktion arbeitete Rossanda als unabhängige Publizistin. Eines ihrer wichtigsten Themen wurde der Feminismus. Sie kritisierte die Männerpartei PCI und wunderte sich über die Frauen der linksradikalen Gruppe Lotta Continua, die nach der Wahlniederlage von 1976 plötzlich feststellten, «dass der männliche Genosse unausstehlich ist». Eine Auswahl ihrer Aufsätze zu Politik und Kultur erschien 1994 auf Deutsch unter dem Titel «Auch für mich». Besonders lesenswert bleibt auch ihre Autobiografie «Die Tochter des 20. Jahrhunderts». Leider endet sie schon mit dem Jahr 1969.

Was Rossanda bei all ihren Interventionen auszeichnete, war ihr Bemühen, sich eine eigene Position zu erarbeiten – oft auch zwischen den Stühlen. So brach sie den Kontakt zur Partei, die sie ausgestossen hatte, nie ab. Den Mitbegründer des Eurokommunismus Enrico Berlinguer verteidigte sie gegen pauschale Vorwürfe – auch wenn sie dessen Kurs der Annäherung an die Christdemokratie stets scharf kritisiert hatte. 1993 besuchte sie Mario Moretti, den Rotbrigadisten und Entführer des Politikers Aldo Moro, zu längeren Interviews mehrmals im Gefängnis, obwohl sie die Gewalttaten der Roten Brigaden und anderer bewaffneter Gruppen ablehnte.

Immer solidarisch

Rossandas besondere Solidarität galt MigrantInnen. 1991, als Bilder überfüllter Schiffe in italienischen Häfen um die Welt gingen, schrieb sie: «Warum haben diese Menschen ihr Land verlassen? Weil sie vom Westen das erhalten wollen, was der Westen ihnen in allen Sprachen der Welt über Radio Free Europe seit vierzig Jahren verspricht. Sie bitten nicht um Almosen, sie sind nicht demütig und fromm; sie sind wütend, weil sie das Versprochene nicht bekommen.»

Auch der in die Defensive geratenen Arbeiterbewegung hielt sie die Treue. 2011, als der damalige Fiat-Boss Sergio Marchionne die ArbeiterInnen zur Annahme eines knebelnden Tarifvertrags nötigte, eine standhafte Minderheit aber mit Nein stimmte, schrieb sie: «Wir, die wir nicht viel zustande bringen, grüssen voller Respekt jene 46 Prozent von Mirafiori, die uns zeigen, dass noch nicht das ganze Land in der Scheisse ist.»

Wir – das war in diesem Fall die kränkelnde Linke. Ein Jahr später geriet auch «il manifesto» in die Krise – eine nicht nur finanzielle, sondern auch politische Krise, in die Rossanda mit pointierten Beiträgen eingriff. Beliebigkeit und Diskussionsverweigerung warf sie der amtierenden Redaktion vor und beendete ihre Mitarbeit.

In den letzten Jahren schrieb sie dann doch wieder für die von ihr mitgegründete Zeitung. Eine ihrer letzten Arbeiten war der am Anfang zitierte Geburtstagsgruss an Luciana Castellina. Diese ist nun die Letzte aus dem inneren Zirkel der Gründergeneration von «il manifesto» – und schreibt dort weiter, auch über ihre Freundin.

«Die grossen Leidenschaften einer strengen Frau», so ist Castellinas Nachruf überschrieben. Darin erinnert sie auch an Rossandas spannungsreiches, aber immer solidarisches Verhältnis zur radikalen Linken. Auf dem Gründungskongress der Linkspartei Sinistra Italiana im Februar 2017, den sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr besuchen konnte, verlas ein junger, emotional aufgewühlter Genosse ihre Grussbotschaft. Die Delegierten erhoben sich zu einem langen Applaus – und sangen die Internationale.