«Common Wealth»: Erkämpft das Gemeinsame

Nr. 50 –

Von Antonio Negri und Michael Hardt liegt nach dem viel gefeierten Buch «Empire» und dem Folgeband «Multitude» auch das dritte Werk ihrer grossen gesellschaftskritischen Trilogie auf Deutsch vor.


Der erste Band von Antonio Negri und Michael Hardt lieferte eine kritische Gegenwartsdiagnose des globalen wirtschaftspolitischen Systems (Empire), der zweite konzentrierte sich auf die darin lebenden Menschen, die in der vernetzten und freien Vielheit (Multitude) den Gegenspieler zum Empire bilden.

Aber in wessen Namen soll das «Empire» von dieser «Multitude» revolutioniert werden? Der Titel des dritten Bands ist zugleich Antwort und Programm. Im Gemeinsamen (Common Wealth: Gemeinwohl, gemeinsamer Reichtum) sehen Hardt und Negri Mittel und Zweck der Befreiung. Hinter diesem politisch-philosophischen Programm steht ein gewandeltes Verhältnis von Kapital und Arbeit – sowie ein Vokabular, das dieses genauer zu fassen sucht.

So wie im Lauf des 19. Jahrhunderts zuletzt auch die Landwirtschaft industrialisiert wurde, folgen heute alle Lebensbereiche zunehmend dem Muster der immateriellen Arbeit. Die Produktion weitet sich auf das gesamte Leben aus und wird, mit einem von Michel Foucault entlehnten Begriff, biopolitisch. Diese Formel besagt nichts anderes, als dass Produktion und Eigentum zunehmend alle gemeinsamen Ressourcen unserer Lebenswelt umfassen: von der Natur über die kulturellen und sozialen Güter bis hin zu produktiven Tätigkeiten, die ausserhalb des klassischen Lohnverhältnisses stehen – immaterielle Güter, die gemeinsam produziert, aber vom Kapital vereinnahmt werden.

Dagegen schlagen die Autoren eine Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung vor, die auf dem Gemeinsamen beruht. Der heutige biopolitische Kapitalismus geht zwar mit dieser Ordnung schwanger, verhindert aber ihre Geburt durch permanente Expropriation (Enteignung der Produktionsmittel durch wirtschaftliche oder politische Gewalt).

Das neue Gesicht des Kapitals

Wie das? Das Neue an diesem Kapitalismus ist, dass seine Ressourcen keiner Knappheit unterworfen sind. Wissen etwa verbraucht sich nicht, wenn man es teilt, vielmehr vermehrt es sich durch soziale Kontakte und Kooperation. Will das Kapital weiterhin Profit erzielen, muss es innovative Produkte auf den Markt bringen und zugleich die dafür notwendige kreative, weil gemeinsame Arbeitskraft kontrollieren und ausbeuten.

Aber gerade hier liegt das Dilemma: Je mehr das Kapital diese Produktion überwachen will, desto weniger kreative Innovationen gibt es und desto weniger Profit wird erzielt. Hardt und Negri denken hierbei an die IT-Branche, die Kreativindustrie oder die Entwicklung neuer Medikamente.

Das Einzige, was dem Kapital übrig bleibt, ist die «Expropriation des Gemeinsamen». Es muss also mit hohem finanziellem Aufwand die Barriere des Privateigentums einsetzen und sich so die gemeinsam erarbeiteten Innovationen einverleiben. Das erklärt auch die gegenwärtige Dominanz des Finanzkapitals. Wer aber innovative Produkte weiterentwickeln will, sei es in der Software- oder der Pharmaindustrie, tut gut daran, die Ressourcen und somit das gespeicherte Wissen nicht zu privatisieren, sondern allen ProduzentInnen als Gemeinsames zur Verfügung zu stellen. Der Neoliberalismus entpuppt sich somit als eine Form des politisch legitimierten und durch hohen finanziellen Aufwand ermöglichten Diebstahls des öffentlichen und gemeinsamen Guts. Sein Ziel: nicht die Produktion, sondern die Expropriation.

Um dieser Entwicklung beizukommen, setzen die Autoren auf die Demokratie der Multitude, die als Selbstregierung – jenseits des Staats und der privaten ökonomischen Macht – die Produktion gemeinsam und selbstbestimmt organisiert. Darin liegt auch das Potenzial politischer Selbstregierung. Im eigenen Interesse muss die Multitude partizipative Demokratie auf allen Ebenen anstreben. Nur dadurch lässt sich kreative und gemeinsame Produktion stabilisieren, die Reichtum für alle schafft. Das eigene Interesse liegt dann darin, mit anderen gemeinsam und nach selber festgelegten Regeln zu arbeiten und zu produzieren.

Mythologische Züge

Verfügungsgewalt und Autonomie, sei es über die Produktion oder über die selber gewählten Lebensentwürfe, gewinnt die Multitude jedoch nur, wenn sie den Expropriateur wiederum expropriiert. Es geht also darum, die biopolitische Produktion dem Enteignungsprozess des Kapitals zu entziehen und in neue, selbstverwaltete Räume des Gemeinsamen einzuspeisen. Darin liegt für Hardt und Negri der freiheitsversprechende «Exodus» aus der Wüste des Neoliberalismus.

Wie in «Empire» und «Multitude» ist auch in «Common Wealth» die Diagnose des gegenwärtigen Kapitalismus, seiner Machtzonen, Taktiken und seines Einflusses auf das Leben vielseitig und fruchtbar. Darüber hinaus ist sie reich an brillanten Bezügen zu Marx, Spinoza, Foucault oder den Postcolonial, Black und Queer Studies, die auf die heutige Situation schlüssig umgemünzt werden. Aber die Analyse der Widerstandsräume und der Multitude, die an diesen Orten aktiv werden soll, ist vielfach bloss postulierend. Ab und an nimmt sie gar mythologische Züge an. Zudem ist nicht einsichtig, wie die Multitude politisch aktiv werden soll, wenn Formen von politischer Vertretung oder gegenhegemoniale Projekte von den Autoren als Hindernis jeder Befreiungspolitik betrachtet werden. Trotzdem bleibt «Common Wealth» für die linke Theoriedebatte eine bereichernde Lektüre – auch wenn man nicht alle theoretischen Höhenflüge mitmacht.

Antonio Negri und Michael Hardt: Common Wealth. Das Ende des Eigentums. Aus dem Englischen von Thomas Atzert und Andreas Wirthensohn. Campus. Frankfurt am Main 2010. 437 Seiten. Fr. 56.90