Aiuta l'Ambrì!: ein Mythos will sich retten: Betteln für Che Guevara
Sportlich war es bislang eine gute Saison für den Eishockeyklub Ambrì-Piotta. Trotzdem droht Ende März das Aus in der höchsten Spielklasse.
Der HC Ambrì-Piotta, Eishockeyklub und soziokulturelle Institution in der oberen Leventina, hat sich am vergangenen Sonntag mit einem 4:1 gegen Rapperswil-Jona auf den überraschenden vierten Schlussrang der «Regular Season», der Qualifikationsrunde in der Nationalliga A, gehievt. Der erste und einzige Auswärtssieg der vierten Runde bescherte Ambrì als Gegner in den Playoff-Viertelfinals die ZSC Lions, denen sie am 28. Februar, nach der langen Olympiapause, zuerst auf eigenem Eis gegenüberstehen werden.
Doch die Freude über den sportlichen Erfolg ist getrübt. Bis Ende März muss der HCAP nämlich noch 2,5 Millionen Franken aufbringen, um die NLA-Lizenz für die nächste Saison zu erhalten. Anfang Januar waren Vertreter des Klubs (neben Leidensgefährten aus Chur, Langnau und Olten) zur Lizenzierungskommission nach Bern bestellt worden, um eine Zwischenbilanz für die laufende und einen Finanzplan für die kommende Spielzeit vorzulegen. Wird der Mythos Ambrì nun sterben und als Klub ohne Grossinvestoren den Geld- und Machtkonzentrationen in der Liga zum Opfer fallen, oder besteht Hoffnung auf eine Rettung und eine weiterhin breit abgestützte finanzielle Basis?
Die HCAP-Aktiengesellschaft steht mit insgesamt 4,5 Millionen Franken in der Kreide. Hinzu kommen die Schulden des Vereins HCAP, welche jedoch nicht prioritär behandelt werden müssen. Die AG hat mittlerweile eine Kapitalerhöhung um eine Million beschlossen, GönnerInnen und Sponsoren verpflichteten sich, eine weitere Million aufzubringen. Bleiben noch die bis Ende März zu deckenden 2,5 Millionen. Was sind die Gründe für die prekäre Finanzsituation dieses einzigartigen Hockeyklubs, dem seit Jahrzehnten Sympathien aus der ganzen Schweiz entgegengebracht werden und der es auf der sportlichen Ebene als so genannter Dorfklub immer wieder schaffte, die Grossklubs aus Lugano, Bern oder Zürich ins Stolpern zu bringen?
Es sind, wie auch bei der Prüfung in Bern erklärt wurde, dramatische «Altlasten», welche den Klub nunmehr einholen. Der Beginn der finanziellen Misere ist wohl in der Saison 1998/99 zu suchen, der bis anhin erfolgreichsten Spielzeit in der Geschichte des HCAP. Damals erreichte Ambrì das Playoff-Finale gegen den grossen Rivalen aus Lugano und scheiterte erst nach viel Pech und einem gewissen Unvermögen, wie es das Schicksal einem Verein «dieser Hubraumklasse» (NZZ) leicht einmal beschert. Die überraschende Finalqualifikation riss ein Loch in der Grössenordnung von 1,5 Millionen Franken in die Kasse der Leventiner, da sie unerwartet hohe Erfolgsprämien für die Spieler nach sich zog. Zudem stiegen während dieser beiden Jahre die Erwartungen im Umfeld des Klubs, was ihn zu erheblichen Neuinvestitionen auf dem Spielertransfermarkt, auf dem die Kosten stetig steigen, nötigte. Erfolg bringt Schulden! Eine Erkenntnis, welche im heutigen Spitzeneishockey nur auf den ersten Blick seltsam anmutet. Grossklubs wie die ZSC Lions, Bern oder Lugano heizen mit sich ständig überbietenden Angeboten die Kosten auf dem Spielermarkt an, und die Klubbudgets erreichen Dimensionen, die nur noch durch laufende Zuschüsse hochpotenter Sponsoren zu bewältigen sind. Trotzdem müssen finanziell weniger potente und für Investoren weniger interessante Vereine wie der HCAP möglichst lange die unselige Spirale mitdrehen, um sportlich mithalten zu können und die Fans bei Laune zu halten.
Ein Schottischer Retter?
Diese Entwicklungen haben den Biancoblu mittlerweile den hohen Schuldenberg beschert. Seit mehr als einem Jahr und mit wachsender Verzweiflung versuchte die Klubführung deshalb, neue Finanzquellen anzuzapfen. Auf dem üblichen Weg: Gründung einer Aktiengesellschaft und Suche nach Investoren im In- und Ausland. Monatelang wurden Hoffnungen an eine undurchsichtige, angeblich in der Sportvermarktung aktive nordamerikanische Investorengruppe um den Schotten Tom Stewart geknüpft, welche Summen in Millionenhöhe in die Leventina überweisen und auf dem stillgelegten Militärflugplatz von Ambrì ein neues Stadion mit Sportakademie aufstellen wollte. Hochfliegende Pläne - und ganz offensichtlich leere Versprechungen. Zwar kündigte Stewart in einem «Blick»-Exklusivinterview noch am 14. Januar die baldige Überweisung der versprochenen 2,5 Millionen an und entschuldigte die Zahlungsverzögerung mit dem selbst kleinen Gaunern probaten Hinweis auf den 11. September. Doch Ambrì-Präsident Emilio Juri hatte endlich genug. Was bis dahin als ernsthafte Verhandlungen galt, waren nun nur noch «Ausreden und Märchen». Kein Rappen aus Schottland sei in all den Monaten in die klamme Klubkasse geflossen.
Den harten Kern der Ambrìfans, welcher das Porträt von Che auf seinen Fahnen mit sich führt, wird es gefreut haben. Er konnte sich nie anfreunden mit dem Gedanken, künftig eine Investorengruppe an der Spitze seines Klubs zu wissen. Ein Transparent mit der Aufschrift «Senza Padroni» hing denn auch hoch über der Curva Sud, der legendären Fankurve im schön morbiden Stadion Valascia.
Die wahre Rettungsaktion
Nun haben die Klubverantwortlichen das Heft also wieder selber in die Hand genommen. Der Bruch mit Stewart nur einen Tag nach dessen Erklärungen via «Blick» war zugleich Startschuss zu einer gross angelegten Sammelaktion unter dem Titel «Aiuta Ambrì ad avere un futuro». Praktisch an jeden Tessiner Haushalt und an SympathisantInnen in der Innerschweiz wurden insgesamt rund 200 000 Einzahlungsscheine verschickt, um die fehlenden 2,5 Millionen bis Ende März zusammenzukriegen. Im heimischen Stadion Valascia wurden gar Sammelkassen aufgestellt, sie sollen die Dramatik der finanziellen Situation auch vor Ort sichtbar zu machen: Jeder Franken zählt. Der HCAP kann auf die Unterstützung von 33 Fanklubs zwischen Schaffhausen und Bologna zählen. Zudem wird «Aiuta l'Ambrì» von prominenten Anhängern aus Politik und Sport - von Franco Cavalli bis Kubilay Türkyilmaz - begleitet, welche der Aktion zusätzliche Beachtung und ein wenig Glamour bringen sollen.
Hoffnung macht sich breit
All dies lässt die Hoffnung auf eine erfolgreiche Rettung des Klubs und ein Weiterleben des Mythos keimen. «Non moriremo mai» - «Wir sterben nie», war denn auch am vergangenen Sonntag, anlässlich des Auswärtsspiels in Rapperswil, auf einem grossen Spruchband in der Ambrì-Fankurve zu lesen. Gut tausend AnhängerInnen waren aus der ganzen Schweiz angereist (durchschnittlich besuchten in dieser Saison 5400 ZuschauerInnen die Meisterschaftsspiele), um ihre Biancoblu mit Fahnen, Gesängen («La Montanara») und viel Herzblut zum Sieg zu tragen. Man spürte förmlich die Kraft, welche der HCAP zusammen mit seinen fanatisch-treuen Fans entwickeln kann. Sie pflegen traditionell das Bild eines Vereins, der von den vielen Kleinen lebt, denen es gemeinsam gelingt, immer mal wieder Siege gegen das grosse Geld zu landen, vor allem gegen den (vergleichsweise) stinkreichen und erfolgsverwöhnten Erzfeind aus Lugano.
Und diese Fans, die im HC Ambrì-Piotta einen kleinen Kämpfer gegen die Mächtigen und Reichen sehen wollen, sollen jetzt die fehlenden zwei Millionen aufbringen. Dazu wurden Homepages eingerichtet, Anzeigen geschaltet, Clips produziert, die im TSI laufen werden, Freundschaftsspiele, Feste und Konzerte, unter anderem mit der Gruppe Gotthard, organisiert. Eine «Bettelaktion» um jeden Franken, sagen die Abgebrühten aus der Stadt, «finanzielle Selbsthilfe» nennen es die Freunde des Vereins. Sie soll ermöglichen, dass der einzigartige Eishockeyklub weiterhin in der höchsten Klasse spielen kann. Und das scheint jedenfalls realistischer als der erneute Traum von einem reichen Schotten. Denn Grossinvestoren, seien es nun Autoimporteure wie Walter Frey, der die ZSC Lions alimentiert, oder Konzerne wie die Valora-Gruppe, die den sportlich in diesem Jahr recht mässigen SC Bern finanziert, finden in der kargen Leventina nicht das, was sie in ihrer Profilierungssucht brauchen. Und schon gar nicht passen sie zum Selbstverständnis des Vereinsumfelds.
Die Chancen sind intakt, dass der HCAP dank der Kraft der Herzen und der vielen einzeln zusammengetragenen Franken eine neue Lizenz für die Nationalliga A erhält. Auch in der nächsten Saison sollte der Che die Schweizer Eishockeyarenen schmücken, sollte der Traum vom HC Ambrì-Piotta weiterleben.