Ariel Scharons Krieg: eine politische Schadensbilanz: Die verrückten Träume

Der militärische Sieg Israels in Ariel Scharons jüngstem Krieg ist eindeutig. Militärisch war es überraschend einfach. Die israelischen Truppen drangen ohne grössere Schwierigkeiten in die autonomen Gebiete ein. Sie wurden kaum mit nennenswertem Widerstand konfrontiert, ausser in Nablus und Dschenin. Panzer, Helikopter, Kampfflugzeuge und die ganze Ausrüstung einer der stärksten Armeen genügten, um palästinensische Polizei und Milizen der Autonomiebehörden zum «schnellen und stillen» Aufgeben zu bewegen. Doch in Dschenin erwies sich die Überlegenheit der israelischen Streitkräfte als relativ. Elf Tage lang widerstanden 200 Palästinenser der israelischen Invasion. Beide Seiten zahlten einen hohen Preis.

Der militärische Sieg: Die Truppen drangen in Städte, Dörfer und Flüchtlingslager. Sie zerstörten die ganze zivile Infrastruktur. Kulturbüros, Schulfernsehen, statistisches Amt, medizinische Dienste – all diese Orte mit eindeutig zivilen Funktionen wurden zum Ziel der israelischen Armee. Das Ausmass der Zerstörung ist enorm. Zwischen den Angriffszielen und der «Infrastruktur des Terrorismus» gibt es keine Verbindung. Computer und andere Ausrüstung wurden zerstört. Das entsprang nicht nur dem wilden Bedürfnis nach Rache einzelner SoldatInnen. Das war Politik. Das war der versteckte Wunsch der höchsten Ebene der israelischen Armee, die nichts gegen den Vandalismus der Soldaten unternahm.

Scharons militärischer Sieg bedeutet die Zerstörung der meisten zivilen Instrumente, die während vieler Jahre durch die palästinensische Gesellschaft und die Behörden errichtet wurden. Heute zögern viele PalästinenserInnen, ihre Büros und Lokale wieder aufzubauen, denn sie befürchten, dass sie bald wieder durch eine neuerliche militärische Aktion zerstört werden würden.

Der militärische «Sieg» zerstörte den Terrorismus nicht. Er errichtete neue Mauern von Hass. Die zahlreichen Verbrechen der israelischen Armee sind der wesentliche Katalysator für viele Junge, einen Weg zu suchen, Israelis zu töten. Der militärische Sieg war gross und einfach, die Kette von Blut und Hass lebt weiter. Es ist eine Frage der Zeit, dass neue Anschläge zum Teil des Infernos werden, das durch die israelische Besetzung der palästinensischen Gebiete entstand. Ein Sieg? Israel errang diplomatische Vorteile. US-Präsident George Bush nannte Scharon einen Mann des Friedens. Er meinte es nicht ironisch. Für Bush ist Scharon ein mutiger Kollege. Doch Bush vergisst die Interessen der USA im Nahen Osten nicht, und nachdem er es einige Male versäumte, die Stimmen aus der Region zu hören, schien er zu verstehen, dass die israelische Politik alles in Gefahr bringt.

Diese Gefahr wurde zu gross, und Bush begann Scharon zu stoppen. Der Druck aus den USA scheint zuzunehmen, doch selbst jetzt noch verfolgen die USA eine Politik, die sich für den ganzen Nahen Osten katastrophal auswirken könnte. Wenn sich die Situation so weit verschlimmert, dass die Ziele der israelischen Rechten verwirklicht werden, dann wird das für die palästinensische Gesellschaft sehr schmerzhaft werden. Gleichzeitig wäre das Zündstoff für die ganze Region und bedeutete das Ende für die Friedensverträge, die Israel und die Nachbarstaaten Jordanien und Ägypten abgeschlossen haben. Dann würde die israelische Gesellschaft mit den zerstörerischsten Prozessen ihrer Geschichte konfrontiert.
Und Scharon? Er errang einen grossen Sieg, doch er gefährdet Israels Gegenwart und Zukunft. Sein Projekt wurde deutlich. Sein wichtigstes Ziel ist es, die Möglichkeit eines Friedensabkommens mit den PalästinenserInnen zu zerstören. Er will alles zerstören, was mit den palästinensisch-israelischen Abkommen von Oslo in Verbindung steht. Die palästinensische Führung soll zu einem Agenten der israelischen Besetzung werden.

Die verrückten Träume Scharons und des rechten Flügels können nur noch mehr Anschläge, noch mehr Zerstörung und noch mehr Leiden für beide Völker bringen. In Europa fürchten sich viele vor den Gewinnen der Rechtsradikalen. Doch die europäischen Rechtsradikalen sind geradezu moderat verglichen mit einigen Komponenten der israelischen Regierung. Und sie finden – in einer Art von «politischem Pragmatismus» – zueinander. Aussenminister Schimon Peres schüttelte in Italien Gianfranco Fini, dem Chef der Alleanza Nazionale, die Hand. Das ist wohl nur das Vorspiel zu einem Besuch Finis in Israel. Fini braucht den Rabbiner-Stempel, die «Unbedenklich»-Auszeichnung aus Israel. Der israelische Botschafter in Italien befürwortet diesen Besuch, denn er würde eine pragmatische Verbesserung der israelisch-italienischen Beziehungen bedeuten. Die italienische jüdische Gemeinschaft wandte sich bisher gegen diese Annäherungen, doch zumindest ihre Führung scheint ihre Meinung zu ändern. In Frankreich äusserte sich der Präsident des jüdischen Dachverbandes, Roger Cukierman, gelinde gesagt ambivalent über Jean-Marie Le Pen nach dessen Erfolg in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl. Dank Le Pens verbaler Unterstützung der israelischen Politik und seiner Verurteilung von «islamischem Extremismus» erhielt er, glaubt man den französischen Umfragen, zehn Prozent der jüdischen Stimmen.

Die Freundschaft zum europäischen Neofaschismus ist brisant. Sie bedeutet den Verlust von Erinnerung, die Verleugnung der Vergangenheit – sie bedeutet die Vernichtung der jüdischen und israelischen Identität durch jüdische Hand. Das ist die ernste Grundlage für einige der zersetzenden Prozesse, die die gegenwärtige Lage in der israelischen Gesellschaft hervorruft.

Der Sieg Scharons und seiner Armee ist möglicherweise das düstere Vorspiel für einen der traurigsten Momente der israelischen Gesellschaft. Mittlerweile stehen die meisten Israelis den Resultaten dieses militärischen Abenteuers skeptisch gegenüber, selbst wenn sie es unterstützten. Die meisten sind überzeugt, dass, selbst wenn es «nötig ist, Gewalt anzuwenden», die einzige Lösung politischer Art ist. Selbst wenn das Rückzug und einen palästinensischen Staat bedeutet. Nach anderthalb Jahren Intifada lernt die israelische Öffentlichkeit den hohen wirtschaftlichen und sozialen Preis kennen, den sie zu bezahlen hat.