Beispiel Afghanistan: Irak gleich Vietnam?

Die Kritik an der US-Regierung sollte sich deutlicher von der Propaganda völkisch-religiöser NationalistInnen unterscheiden.

Übertreibungen gehören zum journa­listischen Alltagsgeschäft. Oftmals täuscht der schrille Ton jedoch über eine eher schwache Analytik hinweg. Die Schlagzeilen zum Irakkrieg oder zum israelischen Staatsterrorismus der letzten Wochen sind dafür bezeichnend. «Irak, das neue Vietnam der USA», titelt inzwischen fast jede bürgerliche und nichtbürgerliche Zeitung. Und in der WOZ (Nr. 17/04) verglich ein Autor die Strategie Ariel Scharons mit der Vernichtungspolitik des deutschen Nationalsozialismus. Dabei sind Vergleiche wie «Endlösung» für die israelische Regierungspolitik oder «Vietnam» für das Desaster der US-Truppen im Irak nicht nur historisch unhaltbar; sie tragen auch – ob gewollt oder ungewollt – zur Stärkung eines moralisch völlig illegitimen, religiös-nationalistischen Terrorismus bei. Und das kann nicht im Interesse einer humanistisch und auch demokratisch orientierten Linken sein.

So übersieht die Analogie USA–Vietnam grosszügig, dass sie für die Situation im Irak keinen Sinn ergibt. Es sei denn, man reduziert die Angelegenheit auf tote US-SoldatInnen. Nicht nur, dass die Ebenen zwischen Tigris und Euphrat keinem Dschungel gleichen, wesentlicher als die geografische ist die politische Differenz. Im Irak steht den Interventionstruppen schliesslich keine Vietcong-Guerilla gegenüber und auch kein kommunistisch regiertes Nordvietnam, das für sich in Anspruch nahm, für ganz Vietnam eine gerechtere Gesellschaft zu etablieren. Der antikolonialistische Vietcong kämpfte – und das auch in der Vorstellung der internationalen Linken – für eine den demokratisch-kapitalistischen Staaten überlegene kommunistische Utopie, im Namen einer «nationalen Befreiung».

Und wie ist heute im Vergleich dazu die Situation im Irak? Hat Tariq Ali Recht, der gelegentlich auch für die WOZ schreibt und in den Angriffen auf die Besatzungsarmee die Keimzelle einer hoffnungsvollen irakischen Widerstandsbewegung sieht? Woraus speist sich diese Hoffnung, die auch einige linke Gruppen wie Attac teilen? Für welche Utopie kämpft denn ein «irakischer Widerstand», der aus einer Allianz von Saddams altem Repressionsapparat und den neuen Rambos der IslamistInnen besteht? Ausser der Abwehr alles «Gottlosen und Fremden» dürfte sie für die «eigene» Bevölkerung wenig mehr als grausame Unterdrückung bereithalten.

Die Intervention der USA und Grossbritanniens im Irak war falsch. Kriegsgründe wurden erlogen, die Uno wurde zur Seite geschoben und die (Zu-)Stimmung der Bevölkerung herbeifantasiert. Doch kann darüber keine Freude aufkommen; über tote US-SoldatInnen so wenig wie darüber, dass diese US–Regierung – dank einer Willkür à la Guantánamo und Abu Ghraib – all jenen in die Hände spielt, die für eine Politik der Menschenrechte ohnehin nur Verachtung übrig haben. Gemeint sind jene IslamistInnen oder PanarabistInnen, die den USA nun aus taktischen Gründen in Sachen Menschenrechten den Spiegel vorhalten. Das ist je nach Standpunkt bestenfalls zum Lachen oder zum Weinen.

Da der Feind der US-geführten Truppen im Irak so gut wie keine Ähnlichkeit mit dem Vietcong aufweist, könnte ein anderer Vergleich wesentlich näher liegen: Afghanistan. Die Situation der ausländischen Interventionsverbände im Irak scheint heute ähnlich prekär wie die der Roten Armee in Afghanistan. Und man sollte ernst nehmen, was nach dem Abzug der sowjetischen Truppen dort geschah. Taliban, al-Kaida und – heute schon wieder genehme – islamistische Gruppen setzten durch, was sie unter dem so genannten «Selbstbestimmungsrecht der Völker» verstanden. Mit einer rechtsgewendeten antiimperialistischen Rhetorik wurde die laizistische Elite Afghanistans im Namen «nationaler Befreiung» geschlachtet. Dies darf sich im Irak nicht wiederholen.

Die linke Kriegskritik sollte auch nicht übersehen, dass ausser der (semi-)demokratischen Türkei und Israel keinem der Regimes in der Region an einer demokratischen Entwicklung im Irak sonderlich gelegen sein dürfte. Und der Türkei wegen Kurdistan auch nur eingeschränkt. Die Grenzen zu Iraks Nachbardiktaturen Iran, Syrien oder Saudi-Arabien sind so wenig wie die dortigen Re­gimes zu kontrollieren. Hier spielt jeder sein eigenes Spiel.

Selbst wenn Tony Blair und George Bush also abgewählt würden und der Irak unter Uno-Mandat käme, müssten sich «neutrale» ausländische Truppen darauf einstellen, dass der Kampf weiterginge. Sie werden nationalistisch-islamistischen Gruppierungen gegenüberstehen, die den früheren Antikolonialismus der Linken durch einen antiwestlichen Rassismus ersetzt haben. «Das Böse» lauert immer im Ausland. Der kulturalistisch begründete Rassenkampf hat den Klassenkampf abgelöst. Eine Kritik an den USA, an Israel, am Kapitalismus im Allgemeinen und im Besonderen darf solchen Kräften nicht in die Hände spielen.