Der Super-Sunday

Kantone, hört die Signale!

Illustration: Ruedi Widmer

Nein zu Steuerabzügen für privilegierte Eltern, Ja zu zwei Wochen Vaterschaftsurlaub: Das ist keine Revolution – aber ein erster Schritt für eine fortschrittlichere Familienpolitik. Nun braucht es eine interkantonale Offensive.

Es ist kein grosser Sprung. Aber doch: ein untrügliches Zeichen für ein gewisses – womöglich durch Erfahrungen in der Coronapandemie begünstigtes – Erwachen in weiten Teilen der Bevölkerung.

Die überraschend klare Ablehnung der Kinderabzüge-Vorlage ist zunächst vor allem ein Signal für eine steuerpolitische Wende: Fast zwei Drittel der Stimmenden haben sich deutlich gegen das rund 400 Millionen Franken teure Steuergeschenk an gut situierte Eltern ausgesprochen – und damit ein grundsätzliches Nein zum bürgerlichen Konzept der Steuersenkungen bei Privilegierten platziert. Und das, nachdem laut Umfragen bis vor wenigen Wochen selbst unter SP-WählerInnen noch eine Mehrheit solchen Steuerabzügen zugestimmt hätte – was wohl damit zu erklären ist, dass der asoziale Mechanismus der Vorlage bis vor einigen Wochen zu wenig klar entlarvt wurde.

Zusammen mit dem fast so deutlichen Ja zu einem zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub zeigt sich: Die Akzeptanz für eine etwas progressivere Familienpolitik wächst. Noch liegt die Schweiz auch mit diesem kleinen Fortschrittlein im hintersten Feld der familienpolitischen Europa-Rangliste. Allmählich jedoch sind in diesem Land offensichtlich endlich auch einige Männer aufgewacht. Angesichts der über sechzig Prozent Zustimmung fragt sich allerdings, ob da nicht auch mehr als nur zwei Wochen Vaterschaftsurlaub dringelegen hätten.

Nun gilt es, die wachsende Offenheit für eine gerechtere Aufgabenteilung zwischen den Geschlechtern sowie für bessere berufliche Rahmenbedingungen für Frauen zu nutzen. Um endlich einen für alle spürbaren familien- und gleichstellungspolitischen Fortschritt zu machen, braucht es (neben einer grosszügig ausgelegten Elternzeit) vor allem einen markanten Ausbau der Beteiligung der öffentlichen Hand an der ausserfamiliären Kinderbetreuung.

Da diese noch immer in den Händen der Kantone liegt, wäre nun der Moment für eine gemeinsame Offensive jener Kantone (etwa die Waadt, Genf und Basel-Stadt), in denen ein Ja der Stimmberechtigten zu einem solchen Service public schon heute nicht unrealistisch scheint. Angesichts der damit verbundenen Vorteile für die gesamte Bevölkerung und – das zeigen Untersuchungen in anderen Ländern – auch für die Wirtschaft kämen so bald auch alle anderen Kantone in Zugzwang.