Der WOZ-Blog zum Ukrainekrieg

Strategischer Egoismus

Anders als die Europäische Union sind die Regierungen im Mittleren und Nahen Osten wegen der russischen Invasion in der Ukraine gespalten. Eine Übersicht über die divergierenden Interessen.

Der Krieg in der Ukraine hat auch spürbare Auswirkungen auf die Länder im Mittleren und Nahen Osten. Während Russland in der Region in den vergangenen Jahren durch militärische Beteiligungen und Allianzen seinen Wirkungskreis erweitern konnte, haben die USA an Gewicht verloren. Heute pflegen zahlreiche Länder im Mittleren und Nahen Osten wichtige Beziehungen nicht nur zu westlichen Ländern, sondern auch zu Russland. Zusätzlich erschweren wirtschaftliche Abhängigkeiten eine klare Positionierung.

Assad zu Diensten

Eindeutige Rückendeckung für Putin gibt es bei den politischen Kräften, die Teil der sogenannten «Achse des Widerstands» gegen die USA sind. Dazu gehören die schiitischen Milizen im Irak, die jemenitischen Huthi-Rebellen und die Hisbollah im Libanon. Angeführt wird diese «Achse» vom iranischen Revolutionsführer Ali Chamenei, der gute Beziehungen zu Moskau pflegt. Erst im Januar war der iranische Präsident Ebrahim Raisi in Moskau zu Besuch bei Wladimir Putin, beide Regierungen wollen ihre Zusammenarbeit weiter ausbauen. Im Libanon zeigt sich die gespaltene Haltung, die in manchen Ländern herrscht: Im Gegensatz zur Hisbollah hat die Regierung den russischen Angriffskrieg umgehend verurteilt.

Besonders eng ist das Verhältnis zwischen dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und Putin. Die Entscheidung des Kreml von 2015, sich am Krieg in Syrien zu beteiligen, führte zur ersten russischen Intervention ausserhalb der Gebiete der früheren Sowjetunion. Der russische Kriegseintritt veränderte den Verlauf des Konflikts zu Assads Gunsten. Während russische Militärs Spitäler und Wohnviertel bombardierten, konnte der Diktator die Kontrolle über den Grossteil des Landes zurückgewinnen. Wenig verwunderlich also, dass Syrien die Unabhängigkeit der beiden Separatistengebiete in der Ostukraine anerkannt hat. Laut Medienberichten haben prorussische Separatisten angekündigt, dass Militärs aus Syrien sich den Kämpfen in der Ukraine anschliessen könnten.

Zwischen den Stühlen

Mit klaren Urteilen halten sich die Golfstaaten zurück. Besonders Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sind enge Verbündete der USA. Aber die Emirate und Saudi-Arabien koordinieren ihre Energiepolitik auch in der Opec+, einer Erweiterung der Organisation der Erdöl exportierenden Länder. Saudi-Arabien hat mit Russland zudem im vergangenen Jahr Abkommen über die militärische Zusammenarbeit geschlossen. In der Uno-Vollversammlung stimmte es dafür, dass Russland seine Truppen aus der Ukraine abzieht. Das saudische Königshaus befindet sich also in einer Zwickmühle und hat sich deshalb Anfang März als Vermittler im Konflikt angeboten. Dies wäre zugleich eine Möglichkeit, den eigenen Ruf, der nach dem Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi in Istanbul 2018 und wegen der eigenen Rolle im Jemenkrieg angeschlagen ist, zu rehabilitieren.

Auch die VAE schieben die Neutralität als Argument für die eigene Zögerlichkeit vor. Noch einen Tag vor dem Einmarsch in die Ukraine war der emiratische Aussenminister Abdullah bin Sajed zu Besuch in Moskau, um mit seinem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow über die Stärkung der bilateralen Zusammenarbeit zu sprechen. Zwischen den Stühlen sitzen auch der Irak, Israel und Ägypten. Diese verurteilen die russische Invasion zwar, versuchen sich aber ebenfalls in einer Balancestrategie und sehen von weiteren Konsequenzen ab. Alle drei wollen die überwiegend militärischen und im Energiesektor laufenden Kooperationen mit Russland nicht gefährden. Erst vergangene Woche sprachen Putin und sein ägyptischer Amtskollege Abdel Fattah al-Sisi telefonisch über neue gemeinsame Projekte.