Der WOZ-Blog zum Ukrainekrieg

Friedenslösung? Fehlanzeige

Ein schmerzlicher Kompromissfrieden würde weniger Leid und Zerstörung bringen als ein endloser Krieg. Doch noch will man bei der Nato nichts davon wissen.

Schon einen Monat lang erleben die Ukrainer:innen Verwüstung, Flucht, Tod. Und einen Monat lang erfährt die ukrainische Regierung die Solidarität des Westens bei der Aufnahme von Flüchtenden, bei der humanitären Hilfe in der Ukraine selbst – und bei der Lieferung von modernen und effektiven Waffensystemen. Doch bei der Suche nach einer Friedenslösung ist die Initiative des Westens entweder für die Augen der Öffentlichkeit nicht sichtbar oder nicht vorhanden. 

Die bisherigen Aussagen der Staats- und Regierungschefs des Nato-Bündnisses setzen insgesamt auf die Fortsetzung des Krieges in der Erwartung eines ukrainischen Sieges – und kaum auf einen Waffenstillstand und die Kompromisssuche für einen Frieden. Beim Nato-Gipfel in Brüssel vom 24. März überwog die Kriegsrhetorik die Kompromisssuche deutlich. 

Die Fehler von Budapest

Generalsekretär Jens Stoltenberg bekräftigte die bisherige Marschroute des Militärbündnisses: keine Flugverbotszone, keine Nato-Friedenstruppen, wie von Polens Vize-Premier Jaroslaw Kaczynski in der vergangenen Woche in den Raum geworfen – dafür aber neue Kampfverbände in Ungarn, der Slowakei, Rumänien und Bulgarien zur Verstärkung der «Ostflanke» und mehr Waffen an die Ukraine. «Ich begrüsse die konkreten Hilfsangebote, die heute von den Alliierten gekommen sind. Gleichzeitig haben wir die Verantwortung, dass der Konflikt nicht noch weiter eskaliert, weil das noch gefährlicher und zerstörerischer wäre», so Stoltenberg.  

Wo aber bleibt die Suche nach diplomatischen Auswegen? Innerhalb des Bündnisses sind kaum Ansätze zu finden, die eine möglichst rasche Beendigung des Krieges anvisieren — und etwa eine definitive Absage eines Nato-Beitritts der Ukraine andeuten würden. 

Friedensverhandlungen, die einen künftig möglichen, neutralen Status der Ukraine anstreben – eine Hauptforderung Putins –, müssten echte Sicherheitsgarantien für das Land beinhalten. Dies nämlich war beim Budapester Memorandum von 1994 nicht der Fall. Damals hatte die Ukraine als Kompensation für die Rückgabe aller auf ihrem Gebiet stationierten atomaren Waffensysteme zwar Garantien für die Unverletzlichkeit ihrer Grenzen erhalten. Doch eine mögliche Verletzung ihrer Souveränität wurde in dem Memorandum mit keinerlei Konsequenzen oder Sanktionen belegt. 

Ein Blick in das Dokument, das mit sechs knappen Artikeln allgemeiner wohl kaum gefasst werden konnte, zeigt, wie leichtsinnig und oberflächlich dort mit einem derart heiklen Problem – der geopolitischen Lage der Ukraine und ihrem damals nach den USA und Russland drittgrössten Atomwaffen-Arsenal der Welt – umgegangen wurde. Die spätere Annexion der Krim durch Russland belegt dies eindrücklich. 

Ein zweites Syrien

Auch daher rührt der nach 2014 zunehmend kritische Blick der Mehrheit der Ukrainer:innen auf eine mögliche Neutralität. Ohne echte Sicherheitsgarantien wird diese Option auch künftig kaum akzeptiert werden. Das weiss auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenksi. Er weiss aber auch, dass eine friedliche Lösung für die Ukraine insgesamt und ihre Ostgebiete mit jedem Kriegstag schwieriger wird.

Erkennbar ist, dass Deutschland und Frankreich den Gesprächsfaden zu Putin halten. Sie sind, trotz ihrer Unterstützung für die Ukraine, offenbar stärker an einer vorzeitigen Beendigung des Krieges interessiert als die USA, als Grossbritannien und auch als Polen. US-Präsident Joe Biden hebt in den letzten Tagen immer wieder hervor, Putin könnte bald Chemiewaffen einsetzen, er sei ein Kriegsverbrecher. 

Die britische Aussenministerin Liz Truss sagte zuletzt, sie fürchte eine Einigung nach dem Modell des Minsker Abkommens, das zwischen der Ukraine und Russland unter Vermittlung Deutschlands und Frankreichs vereinbart worden war. Und Polens Aussenminister Zbigniew Rau schreibt in einem Zeitungsbeitrag: «Der einzige Weg, wie die internationale Gemeinschaft Putins Kalkül beeinflussen kann, besteht darin, die Ukraine bis auf die Zähne zu bewaffnen, was bewirken wird, das Putins Ziele unerreichbar werden.»

Würde Raus Plan für einen Sieg konsequent verfolgt, könnte man die Ukraine in einigen Monaten als ein durch 44 Millionen Menschen bewohntes, relativ gut entwickeltes, integriertes Staatsgebiet abschreiben. Und ein zweites, womöglich noch schlimmeres Syrien erwarten – gerade weil das Kräfteverhältnis zwischen Russland und der Ukraine ausgeglichener ist als anfänglich vermutet: durch die westlichen Waffenlieferungen sowie wegen des Kampfwillens der Ukrainer:innen.

Die Frage ist letztlich, was Priorität hat: die Verhinderung von Tod und von Verwüstung – oder die Sicherung geografischen Terrains und politischer Einflusssphäre? Es ist vergleichsweise einfach, Waffen an einen Staat zu liefern und ihn zu einem Kampf bis zum letzten Blutstropfen zu ermuntern. Es ist nicht unser Blut.

Die Lücke des Friedens finden

Womöglich hilft bei der Suche nach einem Hebel zur möglichen Friedenslösung ein Gedanke des Philosophen und Filmemachers Alexander Kluge: «Jedes Verhängnis hat eine Lücke. Wir müssen nach dem Augenblick fahnden, in dem der Krieg stolpert. Auf diese Lücke muss sich die Öffentlichkeit vorbereiten. Wir dürfen sie nicht verpassen. Es ist der Moment, in dem beide Gegner zur gleichen Zeit schwach, zwei gleichzeitig friedensbereit sind.»

Nach einem Monat des verheerenden Krieges senden sowohl Selenski als auch Putin zweideutige, freilich in die Sprache des Kampfes und des Sieges gebettete Signale, dass sie geschwächt sind. Der Nato-Gipfel vom Donnerstag hat gezeigt, dass der Westen diese Signale noch nicht hört.