WOZ-Abstimmungsblog

Die mächtigste Coronademo

Illustration: Ruedi Widmer

Eine deutliche Mehrheit stützt die offizielle Pandemiepolitik. Höchste Zeit, dass der Bundesrat auf die dramatische Entwicklung der Pandemie reagiert, auch in globaler Sicht.

Es war ein schriller wie hässlicher Abstimmungskampf: Die Gegner:innen des Covid-19-Gesetzes riefen so laut «Diktatur» und «Unrechtsstaat», dass einem die Ohren wehtaten, während Politiker:innen, die die Vorlage verteidigten, bedroht wurden. Die grösste Partei des Landes fantasierte eine Spaltung herbei, die sie mit viel Geld über ihre Goal-Agentur selbst befeuerte – und agierte auf der Suche nach Proteststimmen nach Blochers altem Grundsatz: Rechts von der SVP darf es keine politische Kraft geben. Symbolisch für diesen Kurs stand Bundesrat Ueli Maurer, der sich im Trychlerhemd bei den Gegner:innen anbiederte. Ein Land in Geiselhaft.

Wie absurd das Gerede von der Diktatur war, zeigt sich schon allein daran, dass die Schweizer:innen weltweit als Einzige über die offizielle Coronapolitik abstimmen konnten, und das bereits zum zweiten Mal. 62 Prozent von ihnen – die sogenannte schweigende Mehrheit, für die die Gegner:innen stets zu sprechen vorgaben – haben diese Politik nun gutgeheissen, deutlicher noch als beim ersten Votum über das Covid-19-Gesetz im Juni. Und das bei einer historisch hohen Stimmbeteiligung.

Die Spaltung der Gesellschaft in zwei gleich grosse Hälften ist ein Phantom geblieben. Denkbar ist sogar, dass der Lärm erst recht jene zum Abstimmen motivierte, die sozialdarwinistischem Egoismus nichts abgewinnen können. Dass die Spaltung zuletzt real schien, dazu haben auch so manche Medien beigetragen – indem sie faktenfreiem Gerede ungekannte Reichweiten verschafften und antidemokratische Gruppen zu legitimen Diskursteilnehmer:innen adelten: Splittergruppen wie «Massvoll», die das heutige Ergebnis übrigens als «illegitim» und «nicht bindend» betrachten.

Wertvolle Wochen verloren

Die Gemengelage führte schliesslich dazu, dass der Bundesrat inmitten steigender Fallzahlen und Spitaleinweisungen wertvolle Wochen verstreichen liess und sich mit den Kantonen im Abschieben von Verantwortung überbot. Dabei hat es der WHO-Experte Mike Ryan die Tage treffend auf den Punkt gebracht: Der wichtigste Grundsatz des Krisenmanagements sei es, rasch zu reagieren.

Nach dem heutigen Ja zum Covid-19-Gesetz ist es höchste Zeit, dass der Bundesrat diesen Grundsatz beherzigt. Denn dass die Schweiz im Gegensatz zu ihren Nachbarländern auch ohne weitere Massnahmen glimpflich davonkommt – zu dieser Annahme besteht kein Grund. Im Gegenteil: Die Behörden haben nun so lange untätig gewartet, dass wohl nur noch strengere Massnahmen helfen. Mit dem Vertrauen aufs Covid-Zertifikat haben sie die Verantwortung fürs Pandemiemanagement zudem ans Individuum ausgelagert.

Umso mehr gilt es nun, zu wissenschaftsbasierter Politik zurückzukehren: mit der Wiedereinführung von Gratistests, damit die Pandemieentwicklung nachverfolgbar bleibt, sowie mit einer Impf- und Boosterkampagne, die diesen Namen verdient. Und überhaupt mit einer klaren Kommunikation statt mutlosem Lavieren.

Patente freigeben

Es ist ein Zufall, dass sich just dieser Tage die Befürchtungen der Expert:innen mit dem Auftauchen der Virusvariante Omikron bestätigten. Dass es so weit gekommen ist, liegt auch an den Staaten des Globalen Nordens, die Impfdosen horten, während ein Grossteil der Weltbevölkerung leer ausgeht. Und die sich im Interesse der Pharmafirmen gegen die Freigabe von Patenten sträuben. Eine wirksame wie solidarische Coronapolitik darf sich deshalb nicht auf das eigene Land beschränken. Die reiche Pharmaschweiz muss sich endlich für freie Impfpatente einsetzen.