Das war erst der Anfang

Die Überraschung bleibt aus: Eine deutliche Mehrheit stimmt der Beteiligung am weiteren Ausbau von Frontex zu. Die Kampagne der Gegner:innen war trotzdem ein Erfolg.
Was braucht es eigentlich, damit es endlich besser wird? Die Situation an den europäischen Aussengrenzen verschärft sich seit Jahren scheinbar unaufhaltsam. Und man muss diese Krise immer wieder als das benennen, was sie ist: ein Verbrechen von historischem Ausmass. Ausdruck einer Politik, die Tausende Tote nicht nur in Kauf nimmt, sondern als Teil einer perfiden Abschreckungsstrategie versteht.
Auch wenn die Niederlage an der Urne mit rund 72 Prozent für die Gegner:innen des Frontex-Ausbaus überdeutlich war, markiert das Referendum womöglich dennoch eine Zäsur: Es hat endlich wieder eine linke Auseinandersetzung mit dieser Politik auf die ganz grosse öffentliche Bühne gehievt. In seinem Zentrum stand für einmal nicht die Migration als Problem, sondern die Politik der verantwortlichen Staaten und Behörden. Es bleibt zu hoffen, dass die Kampagne eine nachhaltige Diskursverschiebung angestossen hat.
Ein berechenbares Manöver
Der selbstbewussten Linken stand eine ideenlose Befürworter:innenschaft gegenüber. Klar, die SVP und ihre engen Verbündeten lassen sich nicht davon beirren, mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht zu werden. Aber die liberalen und christlich-konservativen Kräfte gerieten doch in Erklärungsnot. Ist es wirklich plausibel, die Menschenrechtsverletzungen des Grenzregimes zu kritisieren und sich trotzdem für dessen weitere Finanzierung einzusetzen?
Stattdessen rückten sie die Europafrage ins Zentrum der Debatte. Ein berechenbares Manöver – aber auch ein erfolgreiches. Der drohende Ausschluss aus Schengen dürfte viele Abstimmende überzeugt haben. Trotzdem war die Nein-Kampagne erfolgreich darin, das angestrengte Lächeln im freundlichen Gesicht des Liberalismus bisweilen als Grimasse erkenntlich zu machen. Die Operation Libero machte mit ihrem missglückten Plakat und dem theatralischen Schreddern eines selbstausgedruckten Schengen-Vertrags jedenfalls eine bemerkenswert schlechte Figur im Abstimmungskampf.
Utopisches Potenzial
Trotz des klaren Ja zum Frontex-Ausbau: Auf der Kampagne der Frontex-Gegner:innen kann man aufbauen. Auf der Vernetzung aktivistischer Kräfte im In- und Ausland, auf der Normalisierung deutlicher Kritik am Grenzregime und auf dem im Abstimmungskampf spürbaren linken Selbstvertrauen. Und dafür ist es höchste Zeit.
Gerade heute wurde medial erstmals über rechte Kritik an der unkomplizierten Aufnahme ukrainischer Geflüchteter berichtet. Die Stimmung droht zu kippen. Auch der Notstand an den übrigen Schengen-Aussengrenzen wird sich weiterhin verschärfen.
Ja, das Frontex-Referendum allein konnte diese Entwicklung nie aufhalten. Auch nicht, wenn es an der Urne Erfolg gehabt hätte. Die Aktivist:innen, von denen viele selbst gar nicht abstimmen durften, haben der erdrückenden Normativität des Faktischen aber eine Alternative entgegengesetzt. Selten hat die Stimmbevölkerung über ein Referendum mit so viel utopischem Potenzial befunden: Sollte es je besser werden, dann ist eine solche Kampagne die Voraussetzung dafür.