Frontex: Unterdessen in Trapani
Es wird auf lange Zeit eines der mutigsten Referenden bleiben. Mutig, weil es von Menschen lanciert wurde, die nicht über das Stimmrecht verfügen, denen offiziell der Platz des Schweigens zugewiesen ist. Und mutig, weil die klare Niederlage absehbar war: Mit mehr als siebzig Prozent haben die Stimmenden den Ausbau der Schweizer Beteiligung an der europäischen Grenzschutzagentur Frontex angenommen.
Trotz dieser Niederlage wird das Referendum nachhallen. Es hat die tödliche Katastrophe an den europäischen Aussengrenzen und die Mitverantwortung der Schweiz zum Thema gemacht. Und es hat die Asylbewegung, die aus vielen lokalen Gruppen besteht, zusammengeschweisst. Sie war über die Jahrzehnte noch immer dann am stärksten, wenn sie gleichermassen praktischen wie politischen Widerstand gegen die Zumutungen der Asylpolitik geleistet hat.
Schliesslich zeichnete die Frontex-Abstimmung eine Besonderheit aus, die bisher unkommentiert blieb. Die Schweiz ist damit definitiv in der EU angekommen. Sie könnte ihr auch gleich ganz beitreten. Die Institution, über die gestritten wurde, hat ihren Sitz nicht in Basel oder Genf, sondern in Warschau. Mit dem Mantra vom drohenden Schengen-Rauswurf wiederholten die Befürworter:innen zwar noch die eingeübte Darstellung, wonach es um die Nähe und die Distanz der Schweiz zur EU gehe. Tatsächlich aber stellt sich längst die Frage, von welchem Europa wir Teil sein wollen: einem der Solidarität oder einem der Privilegien.
Hier die Geflüchteten, die das Grenzregime am eigenen Leib spürten, unterstützt von Aktivist:innen aus ganz Europa, dort die Wohlstandskinder der Operation Libero, die alle Reisefreiheit der Welt geniessen, gut eingebettet in die Phalanx der bürgerlichen Parteien: Letztlich ging es um eine Klassenfrage.
Ganz im Gestus der Privilegierten sprachen die Befürworter:innen oft von der Verantwortung, die sie durchaus übernehmen wollten. Das können sie nun beweisen: Verantwortung braucht es für die Geflüchteten aus der Ukraine wie aus dem Globalen Süden. Aber auch für alle, die schon da sind. Der unwürdige Status F der vorläufigen Aufnahme, der nicht viel grosszügigere Status S für Kriegsflüchtlinge – sie müssen reformiert werden. Die Schweiz benötigt eine Kategorie des humanitären Schutzes, der Aufgenommene nicht über Jahre prekarisiert. Die Idee einer City Card, erfreulicherweise in Zürich angenommen, schafft die Gelegenheit, mehr für Sans-Papiers zu tun.
Die Auseinandersetzung um das europäische Grenzregime geht derweil diese Woche vor Gericht weiter. Im sizilianischen Trapani sind 21 Seenotretter:innen angeklagt, denen bis zu zwanzig Jahre Haft drohen. Sie haben Zehntausende Geflüchtete im Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet. Die Staatsanwaltschaft behauptet, dass sie in «krimineller Absicht Ausländer zum Zweck der unerlaubten Einreise» transportiert hätten.
Einer der Angeklagten ist der deutsche Rettungssanitäter Sascha Girke. Am Telefon aus Sizilien spricht er von einem politisch motivierten Prozess. «Unsere Fluchthilfe wird kriminalisiert, weil der Staat damit vom absichtlichen Versagen bei der Seenotrettung ablenken kann.» Seitdem das Schiff Iuventa, auf dem Girke im Einsatz gewesen war, beschlagnahmt wurde, haben mehr als 10 000 Menschen auf der zentralen Mittelmeerroute ihr Leben verloren.
Die Angeklagten betonen, sie seien nur die prominentesten Beispiele für die Kriminalisierung. In den Gefängnissen von Italien und Griechenland würden Tausende von Geflüchteten sitzen, die in Europa Schutz gesucht hätten und denen nun Schlepperei vorgeworfen würde. Girke sieht der Vorverhandlung vom Samstag, an der es um formale Fragen geht, mit gemischten Gefühlen entgegen: «Einerseits raubt uns der Prozess viel Lebenszeit. Andererseits spüren wir eine starke Solidarität aus ganz Europa.» Dann fügt er noch an: «Richtigerweise würden nicht wir auf der Anklagebank sitzen, sondern die Verantwortlichen der rassistischen europäischen Grenzabwehr wie der abgetretene Frontex-Direktor Fabrice Leggeri.»
Es klingt wie ein letzter Kommentar zur Frontex-Abstimmung.