Britannien nach 9/11: Auge um Auge, und die Welt wird blind

Tony Blair ist noch einmal davongekommen. Nur wenige Minuten vor dem Auftritt des britischen Premierministers beim Jahreskongress des britischen Gewerkschaftsbundes TUC, der ihm wegen seiner Privatisierungspolitik öffentliche Ohrfeigen angedroht hatte, knallten in den USA entführte Flugzeuge in das World Trade Center und auf das Pentagon. Der TUC brach den Kongress vorzeitig ab, die vorbereiteten Resolutionen gegen die Labour-Regierung kamen nicht mehr zur Abstimmung. Auch der Labour-Parteitag, der am nächsten Wochenende beginnt, wird nun unter ganz anderen Vorzeichen abgehalten. Ursprünglich hatten Organisationen der britischen Antiglobalisierungsbewegung Massenkundgebungen während des Parteitags geplant; die Polizei des südenglischen Seebads Brighton rechnete mit mindestens zehntausend DemonstrantInnen und massiven Störungen.

Jetzt können die Behörden ihre Einsatzpläne in die Schublade packen. Die Bewegung ist mit anderem beschäftigt, wie etwa ein Treffen verschiedener Ortsgruppen von Global Resistance, Socialist Alliance, Green Party und der britischen Friedensorganisation CND in Manchester zeigte. Statt über den Protest am Labour-Parteitag zu beraten, beschlossen die TeilnehmerInnen eine Kundgebung am kommenden Samstag. Blair müsse seine Unterstützung für US-Präsident George Bush aufgeben, forderte die Versammlung einstimmig. Mit den Milliarden, die der US-Kongress für einen Vergeltungsschlag genehmigte, sollte besser die Armut in der Welt bekämpft werden.

In Manchester wie in anderen britischen Städten wird auch über eine landesweite Demonstration – wahrscheinlich am 29. September – debattiert. Motto: «Auge um Auge, und die Welt wird blind.»

Auch in anderen Ländern formiert sich die Opposition gegen die angekündigte Kriegsallianz nur langsam. Das ist kein Wunder. Sie muss von unten aufgebaut werden, da etablierte Friedensorganisationen und Parteien noch vollauf damit beschäftigt sind, die Anschläge in den USA zu verurteilen. In Deutschland zum Beispiel üben die einst friedensbewegten, jetzt aber mitregierenden Grünen den Schulterschluss mit den USA; dennoch kam es mancherorts bereits zu kleineren Veranstaltungen.

Ausserhalb Europas und der USA mussten soziale Bewegungen weniger Rücksicht auf die von den Medien erzeugte Stimmung nehmen. In Südkorea etwa konnte die Polizei am Montag nur mit Mühe einen Marsch zur US-Botschaft stoppen (14 DemonstrantInnen wurden festgenommen). Zum Protest «gegen den Krieg» und «gegen die unmenschliche, unmoralische und friedensfeindliche Politik der USA» hatten 21 Organisationen aufgerufen, darunter der zweitgrösste Gewerkschaftsbund KCTU.