Das Leid mit Friedensprozessen, die immer nur in den Krieg führen: Krieg im Westjordanland, Frieden im Kosovo?

Es ist schon verwegen, die blutigen Ereignisse in Cisjordanien mit den nicht weniger blutigen Ereignissen im Kosovo vor dem Nato-Eingreifen vergleichen zu wollen. Doch vergleichen soll man ja, und wenn auch nur, um die Unterschiede herauszustreichen. Die sind zunächst gewaltig. In Rambouillet Anfang 1999 die klare Drohung mit dem Bombenkrieg, um den Unterdrücker, den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic, in die Schranken zu weisen. In Sharm ash Shaich dagegen Appelle an die Vernunft, bei der Gewaltanwendung doch bitte Zurückhaltung zu üben. Zwei «Friedensprozesse» mit völlig unterschiedlichem Ausgang also, denn während in Israel die Arroganz militärischer Macht und die Blindheit palästinensischer Rache die ach so vernünftigen Friedensbemühungen in die Sackgasse geführt haben, wird im Kosovo bald gewählt, und zwar demokratisch, weil vom Westen überwacht. «Rückkehr zur Normalität» könnte die Überschrift eines Kommentars zu den Lokalwahlen vom kommenden Samstag lauten, wäre da nicht noch ein kleiner störender Punkt, winzig eigentlich, aber eben doch nicht ganz unerheblich: Soll diese Normalität wirklich die Form eines unabhängigen, sprich albanischen Kosovo annehmen, so wie es auch noch die gemässigten PolitikerInnen in der formell weiterhin zu Serbien gehörenden Provinz fordern? Oder soll, jetzt, da der Brandstifter Milosevic endlich aus der Belgrader Schaltzentrale entfernt wurde, das Projekt des gemeinsamen Zusammenlebens von AlbanerInnen und SerbInnen in einer autonomen Provinz zu elfter Stunde doch noch wieder belebt werden, so wie es die Uno-Resolution 1244 ganz eindeutig vorsieht? Fragen, welche kein Vertreter der «internationalen Gemeinschaft» heute beantworten mag, um die sich der Westen aber spätestens in zwei Monaten nicht mehr wird herummogeln können. Dann wird in Serbien nämlich ein neues Parlament gewählt, und dann muss der Westen entscheiden, was er will. Entweder finden die serbischen Wahlen auch im Kosovo statt, was die KosovarInnen auf keinen Fall hinnehmen werden, weil das das endgültige Aus ihrer Unabhängigkeitsträume bedeuten würde. Oder der Westen lässt zu, dass die Provinz von den Wahlen ausgeklammert wird, was der formellen Anerkennung einer unabhängigen Republik Kosovo gleichkäme. Anders formuliert: sind die Lokalwahlen vom kommenden Samstag eine Generalprobe für die kosovarische Unabhängigkeit oder doch nur die Grundlage einer Autonomie? Spätestens an diesem Punkt rächt sich, dass der Westen auf der einen Seite immer nur von einem Kosovo im Rahmen Jugoslawiens gesprochen, andererseits aber nichts unterlassen hat, ausgerechnet jene Kräfte zu stärken, die nur die totale Unabhängigkeit wollten. Ein hübsches Dilemma, aus dem so schnell kein Ausweg gedacht werden kann. Ein selbst verschuldetes Dilemma noch dazu, das nur deshalb entstanden ist, weil die MacherInnen der «Pax Americana» glaubhaft machen wollten, man könne den Frieden herbeibomben, ohne das politische Hauptproblem zu tangieren. Ein Dilemma ferner, das den Kosovo wieder zurück in den Krieg zu führen droht.
Ähnliches zeigt sich bei genauerem Hinsehen auch am Scherbenhaufen Nahost. Identisch ist in beiden Fällen, dass die Kernkonflikte in den so genannten «Friedensprozessen» immer als angeblich «unlösbar» ausgeklammert wurden, weil man sich vor den Folgen einer Lösung fürchtete, und das meist aus inneramerikanischen Politüberlegungen. Identisch ist in beiden Fällen auch die Hilflosigkeit vor dem ins Absurde gewachsenen ethnischen Nationalismus.
Im Kosovo und in Israel/Palästina hat der Westen vor den gewaltigen Kräften dieses ethnischen Nationalismus kapituliert. Man hat seit Oslo aufgeregt vom «Friedensprozess» gesprochen, als ob es je so etwas wie Frieden geben könnte, wenn man aus historischen Gründen dem Nationalismus der Israeli vom Anfang an grössere Berechtigung einräumt als dem Nationalismus der Palästinenser. So entsteht Hass und Verzweiflung statt einem Mindestmass an Vertrauen. So führen die angeblichen Friedensprozesse immer nur in den Krieg.
Die «Pax Americana» ist im Kosovo und in Israel gescheitert, das ist eine traurige Tatsache. Mindestens so traurig ist aber, dass es einen europäischen Friedensvorschlag gar nicht gegeben hat und dass alle dann doch wieder gebannt darauf warten, zu erfahren, was der neue amerikanische Präsident wohl unter «Pax» verstehen wird.