Ein Rambouillet mit anderen Mitteln?

Eine Woche nach der Verabschiedung der Kosovo-Resolution des Uno-Sicherheitsrates scheint es, als habe der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic den 78 Tage langen Krieg der Nato gegen Jugoslawien wie eine Art Vorwahlkampf erlebt. Während tausende von Kosovo-SerbInnen das Land ihrer Vorfahren verlassen und die BewohnerInnen des übrigen Landes sich fragen, wie sie in einer gründlich zerstörten Region den nächsten Winter überleben sollen, reiste Milosevic durch Serbien. Die Begeisterung des anwesenden Publikums hielt sich jedoch in Grenzen. Es war offensichtlich, dass die örtlichen Verbände seiner Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) mit Mühe ein paar tausend vor allem ältere BürgerInnen zusammentreiben mussten, die dann auf den örtlichen Marktplätzen den Präsidenten zu bejubeln hatten.

Milosevic sprach dabei von einem schnellen Wiederaufbau des Landes, ohne zu verraten, woher das Geld dafür kommen soll. Er pries die heroischen Taten der jugoslawischen Armee während der vergangenen Wochen, ohne zu erwähnen, dass sich die «heldenhaften Einheiten» ganz aus dem Kosovo zurückziehen müssen und dass Kämpfer der Befreiungsarmee Kosovos (UCK) bereits die eigene Flagge an der jugoslawisch-mazedonischen Grenze gehisst haben.

Worüber überhaupt nicht gesprochen wird, ist die Frage, ob irgendjemand nach diesem Krieg irgendetwas gewonnen hat. Es wird zwar betont, dass die Souveränität und territoriale Integrität des Landes bewahrt bliebe und dass jetzt, im Unterschied zu der in Rambouillet angebotenen Lösung, keine Rede mehr sei von einem Referendum, in dem die Kosovo-AlbanerInnen über die weitere Zukunft der Provinz entscheiden sollen. Die Frage aber, ob dieser «kleine, aber feine Unterschied» so viele Tote und eine so grosse Zerstörung wert war, bleibt in Milosevics Nachkriegsreden unbeantwortet.

Die Unterschiede zwischen Rambouillet und Köln (wo die Aussenminister der sieben grossen Industriestaaten und Russlands sich auf einen Entwurf für die später verabschiedete UN-Resolution einigten) sind eher kosmetischer Natur. Ganz abgesehen davon, dass es sich in beiden Fällen um ein westliches Diktat und keine Verhandlungslösung handelt. Allerdings glaubte Washington in Rambouillet noch, dass die blosse Androhung von Gewalt Milosevic dazu bringen werde, die diktierte Lösung zu akzeptieren.

Jetzt ist der Westen ein bisschen klüger, nicht wegen Belgrad, sondern wegen Moskau. Eine Uno-Resolution wurde verabschiedet, obwohl man vor der Intervention noch behauptet hatte, alles politisch Machbare sei schon unternommen worden. Ein ernsthafter Versuch, eine dauerhafte politische Lösung, die für AlbanerInnen aber auch für SerbInnen gut ist, für den Kosovo herbeizuführen, mit Russland als gleichberechtigtem Partner, wurde allerdings in keinem der beiden Fälle unternommen. Sowohl mit dem Rambouillet-Abkommen als auch mit den Beschlüssen von Köln wird versucht, dem Kosovo formell eine «substanzielle Autonomie» zu verleihen, de facto aber einen Staat für die dort lebende AlbanerInnen zu errichten, an dessen Grenzen jegliche Zuständigkeit Jugoslawiens (beziehungsweise Serbiens) aufhört.

Natürlich verschweigt Milosevic auch dies. Sein Rechnung ist nämlich nicht aufgegangen. So wie der Westen ihn falsch eingeschätzt hat, hat er (vorausschauendes Denken war sowieso nie seine Stärke) auch den Westen nicht verstanden. Milosevic erwartete, dass die westlichen Regierungen Probleme bekommen würden, wenn deren Bevölkerungen das zerstörte Serbien und die abertausenden aus Kosovo vertriebenen AlbanerInnen sähen. Unterschätzt hat er, dass der Krieg gegen die jugoslawische Bevölkerung noch kaum jemanden aus der politischen Klasse des Westens ernsthaft erschüttern konnte. Die vertriebenen AlbanerInnen haben zwar eine Welle der Hilfsbereitschaft hervorgerufen, aber sie wurden gleichzeitig zur Legitimierung des militärischen Handelns gebraucht.

So ist die Kölner Lösung nur eine Umsetzung des in Rambouillet ausgehandelten und von Belgrad nicht akzeptierten Abkommens. Serbien bewahrt auch jetzt keine vollständige Souveränität. Zwar darf sich die Nato nicht mehr, wie in Rambouillet vorgesehen, auf dem ganzen Territorium Jugoslawiens frei bewegen. Falls ein Nato-Protektorat mit dem Segen der Uno im Kosovo bleibt, wird dies vermutlich aber noch kommen. Vorausgesetzt, man baut in der Zwischenzeit die Strassen und Brücken wieder auf, die nach Norden und Westen führen.

Der Rambouillet-Vertrag hätte aber eine Frage anders gelöst. Nämlich die über die Zukunft von Slobodan Milosevic. Es war vorgesehen, ihn noch einmal als «Garanten des Friedens» an der Macht zu lassen, denn an ihn wurden keine Forderungen nach Demokratisierung und Öffnung des Landes gerichtet. Jetzt ist Milosevic plötzlich zum Kriegsverbrecher avanciert, aber nicht, weil er in den letzten Jahren so viel Unheil in Ex-Jugoslawien (mit)angerichtet hat, sondern «nur» als Verantwortlicher für das Geschehen im Kosovo.

Ein Protektorat im Kosovo verhilft Milosevic dennoch auch unter sehr schwierigen Umständen zum Machterhalt. Solange der staatliche Rahmen undefiniert bleibt, in dem das serbische und das albanische Volk zu leben haben, wird sich keine politische Partei (weder die serbische, noch die albanische) ernsthaft demokratischen Fragen widmen dürfen. Die unklare Situation erlaubt Milosevic das verarmte, in seinem Land fast eingeschlossene und unter Sanktionen lebende Volk weiter als Geisel zu behandeln. Ob es die Kraft haben wird, so etwas wie eine Ceausescu-Lösung herbeizuführen, bleibt fraglich. Der Westen würde dem Balkan einen guten Dienst erweisen, wenn er aus dem Kreis der Scheinlösungen im Stile von Rambouillet oder Köln ausbrechen würde und sich der Frage der Zukunft des Balkans ernsthaft stellte.