Die USA überlassen das Foltern ihren Freunden: Doch lieber nach Guantánamo?
Mohammed Saad Iqbal Madni traf Mitte November letzten Jahres aus Pakistan kommend in der indonesischen Hauptstadt Jakarta ein. Seinen Bekannten sagte der 24-jährige Pakistaner, er komme, um der zweiten Ehefrau seines Vaters eine Erbschaft auszuzahlen. Er schien es damit aber nicht eilig zu haben und mietete sich in einer Billigpension in einem Mittelklassequartier ein, ging in die Quartiermoschee, schaute stundenlang in der Wohnung eines Freundes fern oder verbrachte seine Zeit in Karaoke-Lokalen. Über sein Leben in Pakistan erzählte er nicht viel; die Visitenkarte, die er verteilte, wies ihn als Koranleser eines dortigen Privatradios aus. Anfang Januar aber informierte der CIA den indonesischen Staatssicherheitsdienst, Iqbal sei ein Al-Kaida-Mitglied und habe mit jenem Briten zusammengearbeitet, der im Dezember auf einem American-Airlines-Flug von Paris nach Miami daran gehindert wurde, Sprengstoff in seinen Turnschuhen zu zünden.
Wenige Tage nach dieser CIA-Information bat Ägypten die indonesischen Behörden offiziell um die Auslieferung von Iqbal, der neben dem pakistanischen auch über einen ägyptischen Pass verfügt. Er sei im Zusammenhang mit Terrorismus gesucht - die Anklagepunkte wurden nicht genannt, hätten aber mit dem Turnschuhanschlag nichts zu tun. Am 9. Januar war Iqbal bereits in den Händen indonesischer Geheimagenten, zwei Tage später wurde er in einen nicht gekennzeichneten, in den USA registrierten Jet des Typs Gulfstream V verfrachtet und nach Ägypten geflogen - ohne einen Gerichtstermin gehabt oder einen Anwalt gesehen zu haben.
Ähnlich ging es ein paar Monate zuvor dem jemenitischen Mikrobiologiestudenten Dschamil Kasim Said Mohammed. Letzten Oktober wurde er gefesselt und mit verbundenen Augen am äussersten Ende der Piste des Flughafens von Karatschi und in tiefer Nacht von den pakistanischen Behörden US-Vertretern übergeben und in einem anonymen, in den USA registrierten Gulfstream-Jet nach Jordanien geflogen - ohne jegliches Auslieferungsverfahren. Dschamil war gesucht im Zusammenhang mit dem Anschlag auf den US-Zerstörer Cole im Oktober des Jahres 2000; auch ihm wurde vorgeworfen, ein Agent der al-Kaida zu sein.
All dies meldete die Tageszeitung «Washington Post» und berief sich auf indonesische und pakistanische Regierungsbeamte und Mitarbeiter der dortigen Geheimdienste sowie auf US-Beamte und westliche Diplomaten in diesen Ländern. Letztere begründeten die raschen und geheimen Deportationen nicht nur damit, dass auf diese Weise langwierige gerichtliche Verfahren vermieden worden seien, sondern auch mit der Rücksicht auf lokale Sensibilitäten: Sowohl in Indonesien, wo die Präsidentin Megawati Sukarnoputri mit einer Koalition mit islamischen Parteien regiert, wie auch in Pakistan, wo Präsident Pervez Muscharraf unter starkem Druck der Islamisten steht, machte es sich besser, die Verdächtigten nicht direkt an die USA auszuliefern, sondern an islamische Drittländer wie Ägypten und Jordanien.
Die gleichen Quellen geben unverblümt zu, wie gelegen dieses Verfahren der amerikanischen Seite kommt. Ein US-Diplomat sagte den Journalisten der «Washington Post»: «Dies erlaubt uns, von den Terroristen Informationen mit Mitteln zu erhalten, die auf amerikanischem Boden nicht möglich sind» - also mit Folter und mit Drohungen gegenüber Familienangehörigen. Der gleiche Diplomat erwähnt, solche illegalen Überstellungen von Verdächtigen kämen seit dem 11. September häufig vor, tatsächlich sollen es laut der Zeitung dutzende von Fällen sein. Der Bericht wurde inzwischen von Medien auch in Europa («Spiegel», «Le Monde») verbreitet, trotzdem sah sich die US-Regierung bisher nicht veranlasst, dazu Stellung zu nehmen.
Mangels Informationen ist es für Menschenrechtsorganisationen schwierig, solche Nacht-und-Nebel-Aktionen zum Thema zu machen. Nur wenige Fälle werden bekannt und schaffen es in die Schlagzeilen - einer war die Ausschaffung von sechs Terrorverdächtigen aus Bosnien-Herzegowina im vergangenen Januar (WoZ Nr. 10/02). Sie wurden im Oktober in Bosnien verhaftet, weil sie angeblich extremen islamistischen Organisationen angehörten. Als nach drei Monaten immer noch keine Anklage gegen sie erhoben werden konnte, beschloss der Oberste Gerichtshof Bosniens ihre Freilassung. Ohne Anhörung wurden sie an die Vereinigten Staaten ausgeliefert, was zu heftigen Protesten führte. Das Doppelspiel der USA trieb in diesem Fall seltsame Blüten: Im Rahmen des Dayton-Abkommens zur Beendigung des Bosnien-Kriegs schufen sie die Bosnische Menschenrechtskammer mit weitgehenden Kompetenzen und finanzierten seither deren Tätigkeit zu einem Grossteil. Um die Auslieferung der sechs verdächtigen Algerier zu erreichen, machten sie Druck auf die Behörden, das von ebendieser Menschenrechtskammer erlassene Auslieferungsverbot zu umgehen. «Es ist ein Skandal. Dies untergräbt alles, was die Amerikaner tun und was sie bisher finanziert haben», klagt ein bosnischer Beamter gegenüber der «Washington Post».
Im Vergleich zu Iqbal und Dschamil sind die sechs gut dran: Sie befinden sich in Guantánamo auf Kuba, wo die US-Regierung rund 300 Gefangene aus rund 60 Ländern festhält und 400 weitere Gefängnisplätze baut. Das ist zwar ein rechtsfreier Raum, die Haftbedingungen dort höhnen jedem US-amerikanischen Standard, und die Freiluft-Käfighaltung genügt kaum den Genfer Konventionen. Doch Guantánamo ist Thema der internationalen Medien und der Menschenrechtsorganisationen, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat bisher 250 Gefangene besucht. Es wird wohl, bilateral diskret, die eine oder andere Verbesserung der Haftbedingungen erreichen, und es streitet sich ausnahmsweise sogar öffentlich mit den USA über den Status der Gefangenen. Um Iqbal in Jordanien würde sich das IKRK dann kümmern, wenn seine Delegierten bei dortigen Gefängnisbesuchen auf ihn stossen würden. Dschamil hat Pech, in Ägypten besucht das IKRK keine Gefängnisse.