Frohen Herzens in den Schlamassel

Der neue Nato-Generalsekretär tönt wie der alte, nämlich kriegerisch. Dafür wird er auch bezahlt, denn immerhin ist er der Chef des grössten Kriegsarsenals der Welt. Der Unterschied ist allenfalls, dass der alte Generalsekretär tatsächlich einen Krieg geführt hat, während der neue diesbezüglich noch ein Anfänger ist. Und so sagte er in der letzten Woche während seines Kurzausfluges in die kosovarische Realität das, was inzwischen in Nato-Kreisen offenbar ein unvermeidbarer Satz geworden ist: «Wir haben den Krieg gewonnen, jetzt müssen wir auch den Frieden gewinnen.» Eine kleine Schar von MedienvertreterInnen hat dies gehört, die Ohren beziehungsweise die Bleistifte gespitzt und den Satz sofort weitergegeben, wohl aus der Annahme heraus, dass das Publikum daheim solche kurzen und kernigen Sätze ganz besonders gerne hört. Und so war, auch ein ganzes Jahr nachdem die Bomberei begann, wieder zufällig niemand da, der Zeit hatte zu fragen, ob «wir» den Krieg dann tatsächlich gewonnen haben und ob der Frieden heute überhaupt noch gewonnen werden kann.

Der Spiessrutenlauf

Der Satz, so kurz und kernig und deshalb mediengerecht er auch erscheinen mag, ist leider falsch im Kosovo-Kontext. Deutschland hatte den Zweiten Weltkrieg verloren, dann aber dank kräftiger Hilfe die ehemaligen Feinde wirtschaftlich bald in den Schatten gestellt, so dass man zu Recht sagen konnte, Deutschland habe den Frieden gewonnen. Doch wer gewinnt in der wirtschaftlich dahinsiechenden Provinz Kosovo? Die Nato etwa, weil sie in Mitrovica nun zwischen den Fronten steht und auf der einen Seite rachsüchtige Kosovarlnnen im Schach halten muss, die nichts anderes wollen, als auch noch die letzte serbische Enklave ethnisch rein, sprich in diesem Fall albanisch, zu machen, während sie auf der anderen Seite mit dem Hass der SerbInnen konfrontiert wird, welche die Nato und die Kfor-Soldaten persönlich für ihre Vertreibung aus der übrigen Provinz verantwortlich machen? «Peacekeeping» lautet das Zauberwort, «den Frieden erhalten». Doch es gab schon lange vor dem Bombenkrieg im Kosovo keinen Frieden mehr, und das, was sich einige Politiker im Westen immer noch unter Frieden im Kosovo vorstellen, ein nettes Nebeneinander von SerbInnen und Kosovo-AlbanerInnen, ist längst zu einer Lüge geworden.

Den Frieden gewinnen, das kann die Nato fürs Erste einmal vergessen. Ihn, beziehungweise das, was davon übrig geblieben ist, zu erhalten, wird ein Spiessrutenlaufen bleiben. Will man die Parallele zum Zweiten Weltkrieg weiter strapazieren, dann erheben höchstens bestimmte kosovarische Kreise Anspruch darauf, den Frieden – ihren Frieden – zu gewinnen. Drogenhändler sind darunter, Waffenschieber sowieso, die manchmal, wenn auch nicht gezwungenermassen, in Personalunion mit der UCK stehen, der Kosovo-Befreiungsarmee. Diese Kräfte haben sich breit gemacht in der Provinz, in der Legalität ein Fremdwort geblieben ist und Rechtssicherheit vom Kaliber der verwendeten Waffe abhängt.

Doktor Bernhard Kouchner, Chef der Unmik, jener zivilen Uno-Behörde, welche das Leben im Kosovo zu einer gewissen Normalität zurückführen will, ist immer noch guter Dinge. Er sagt, in Mitrovica entscheidet sich das Schicksal der «humanitären Intervention», womit er womöglich sogar Recht hat. Nur sieht es schon jetzt sehr danach aus, dass sein persönlicher Krieg, den Frieden mit der Heranbildung einer einigermassen funktionierenden Zivilgesellschaft zu gewinnen, im Grunde verloren ist. Dabei spielt der Westen erneut eine unheilvolle Rolle. Von den mehreren tausend Polizisten, welche die Uno-Mitgliedstaaten zu entsenden versprochen haben, ist gerade erst die Hälfte im Einsatz. Das erinnert an die Monate vor dem Bombenkrieg. Damals hatte der Westen einen letzten Versuch gemacht, mit der Entsendung von 2000 BeobachterInnen einen brüchigen Waffenstillstand zu sichern. Während der von den USA gestellte Chef der Mission, der aus Zentralamerika hinreichend bekannte Diplomat fürs Grobe, William Walker, sich wochenlang Zeit nahm, bevor er aktiv wurde, klemmten die OSZE-Mitgliedstaaten bei der Entsendung der BeobachterInnen, die offiziell Verifikateure genannt wurden. Die Mission ist, rückblickend gesehen, nie voll zum Einsatz gekommen, jedenfalls nicht so, wie es nötig gewesen wäre, um die Gewalt zu stoppen. Erst kurz vor dem Abbruch erreichte die Mission mit gut 1200 Männern und Frauen rund 65 Prozent der vorgesehenen Stärke. Einen Monat später hatten dieselben Staaten, die bei den Friedensoperationen sparten, plötzlich keinerlei Probleme mehr, Milliarden zur Strafaktion gegen Milosevic einzusetzen.

In jenen Tagen wurde man den Eindruck nicht mehr los, dass die ursprüngliche Frage, was der Westen im Kosovo erreichen wollte, sowie die Frage, wie das mit Riesenschritten herannahende Unheil noch abgewendet werden könnte, längst in den Hintergrund geraten war. Es ging offenbar nur noch um das Ansehen des westlichen Bündnisses und um die Bestrafung eines Diktators, und das um jeden Preis. So wurde eine letzte reelle Chance vertan, die Gewalt in Schach zu halten.