Irak und Uno: Giftkelch für Annan
Im Irak wird die Beute aufgeteilt. Wahrscheinlich sogar mit dem Segen der Uno.
Mit seiner Entscheidung, die «politischen, technischen und sicherheitspolitischen» Bedingungen für freie, allgemeine und geheime Wahlen im Irak noch bis Mitte dieses Jahres durch eine Uno-Mission prüfen zu lassen, nahm Uno-Generalsekretär Kofi Annan den Giftkelch an, den ihm die US-Regierung angedient hatte. Die Regierung von George Bush erwartet von der Uno-Mission eine Absegnung des Auswahlverfahrens für eine «souveräne» Regierung, das die USA dekretiert haben. Die Regierung soll bis Ende Juni durch eine Nationalversammlung eingesetzt werden, deren Mitglieder von Regionalkonferenzen bestimmt werden, die wiederum von den USA handverlesen werden. «Technisch» und organisatorisch wären allgemeine Wahlen innerhalb der nächsten fünf Monate durchaus machbar. Darauf hat inzwischen selbst ein führender britischer Vertreter der angloamerikanischen Besatzungskoalition (CPA) im Südirak hingewiesen. Die erforderlichen Daten der wahlberechtigten BürgerInnen liegen vor, da bis zum Beginn des Irak-kriegs im März letzten Jahres unter dem ehemaligen Uno-Programm «Öl für Nahrungsmittel» sämtliche EinwohnerInnen des Iraks mit Name, Wohnort und Alter registriert worden sind. Was Wahlen jetzt bedeuten würden, bleibt dabei allerdings eine offene Frage.
Die Behauptung der technischen «Unmöglichkeit» von Wahlen durch CPA-Chef Paul Bremer, den Statthalter Washingtons in Bagdad, ist nur ein Vorwand. Er soll dazu dienen, das zentrale Interesse der Bush-Regierung zu verschleiern: die radikale Privatisierung der irakischen Wirtschaft und den Ausverkauf ihrer lukrativen Teile vornehmlich an US-amerikanische Konzerne – trotz der offensichtlichen Illegalität und Völkerrechtswidrigkeit dieses Vorhabens. Am 19. September letzten Jahres hatte Bremer mit seiner «Order 39» die Privatisierung irakischer Staatsunternehmen verfügt. Die «Order 39» erlaubt ausländischen Unternehmen, bis zu hundert Prozent der Anteile an irakischen Banken, Minen und Fabriken zu übernehmen sowie hundert Prozent der künftigen Profite ausser Landes zu schaffen. Als «kapitalistischen Traum» beschrieb die britische Wirtschaftszeitschrift «Economist» diese Regeln.
Doch Bremers «Order 39» ist nicht nur ein Verstoss gegen die weiterhin gültige irakische Verfassung, die die Privatisierung staatlicher Unternehmen untersagt und Ausländern den Besitz irakischer Unternehmen verbietet. Die Order steht auch in eindeutigem Widerspruch zum Haager Abkommen von 1907 und den Genfer Konventionen von 1949, den beiden (auch von den USA ratifizierten) internationalen Vereinbarungen, die die Rechte und Pflichten von Besatzungsmächten regeln. Diese völkerrechtlich verbindlichen Vereinbarungen verlangen von den Besatzern die «Respektierung» der im besetzten Land gültigen Verfassung und Gesetze «ausser wo dies absolut unmöglich ist». Den Besatzungsmächten ist lediglich die «zeitweise Nutzung und Verwaltung» staatlicher Unternehmen, Immobilien und Liegenschaften gestattet, ohne sie – zum Beispiel durch Privatisierung und Verkauf – «in der Substanz zu verändern». Die Irak-Resolution des Uno-Sicherheitsrates vom Mai 2003 verlangt von der angloamerikanischen Besatzungsmacht ausdrücklich, «ihren Verpflichtungen gemäss internationalem Recht vollständig nachzukommen, einschliesslich und vor allem der Genfer Konventionen und dem Haager Abkommen».
Den Besatzungsmächten im Irak ist die Illegalität ihres Vorgehens durchaus seit langem bewusst. Bereits Ende März 2003 wies der britische Generalstaatsanwalt Lord Goldsmith Premierminister Tony Blair in einem geheimen Memo darauf hin. Die Bush-Regierung müsste damit rechnen, dass eine bis Mitte des Jahres gewählte irakische Regierung Bremers «Order 39» ausser Kraft setzt und bereits erfolgte Privatisierungen und Verkäufe wieder rückgängig macht. Wegen dieser «Rechtsunsicherheit» haben einige US-amerikanische und andere ausländische Konzerne Pläne zum Aufkauf irakischer Unternehmen vorläufig auf Eis gelegt. Das von der Bush-Regierung dekretierte Auswahlverfahren soll hingegen in Bagdad eine nominell «souveräne», de facto aber politisch weiterhin von den USA kontrollierte Regierung installieren. Diese hätte dann achtzehn Monate Zeit, die Verfügungen Bremers in irakisches Recht umzuschreiben und damit Fakten zu schaffen. Diese Fakten könnte die endgültige Regierung, die nach dem US-Zeitplan aus freien Wahlen «spätestens im Dezember 2005» hervorgehen soll, kaum noch ändern.
Dieses Interesse der US-Regierung ist von entscheidender Bedeutung für die Frage, ob die «politischen Bedingungen» für Wahlen existieren. Doch Kofi Annan hat diesen Aspekt auch bei der Bestimmung des Mandats für die Uno-Erkundungsmission völlig ausgespart. Daher ist höchst wahrscheinlich, dass diese Mission – wie von Washington erwartet – die Unmöglichkeit freier Wahlen feststellen und dem von der Bush-Regierung dekretierten Ausleseverfahren den Segen der Uno erteilen wird.