Frag die WOZ : Wie besetzt man ein Haus?

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«Wie besetzt man ein Haus?»

P. L. per Mail

Das ist eine sehr gute Frage! Zunächst braucht es dafür – so banal wie essenziell – ein leeres Haus. Um ein solches zu entdecken, lohnen sich ausgedehnte Streifzüge: Ein verwilderter Garten, zerbrochene Fenster oder Spuren einer sogenannten Leerkündigung (etwa zurückgelassene Möbel) liefern Hinweise. Auch charakteristische Insignien des Fortschritts – die Profilstangen, die ein Bauvorhaben ankündigen – deuten oft auf ein leer stehendes Objekt: Nicht selten kündigen Besitzer:innen den Mieter:innen bereits lange vor dem Abriss, um den profitablen Neubau mit keiner Sekunde Verzögerung starten zu können, sobald die Bewilligung vorliegt.

Manchmal ist es aber auch nicht ganz so einfach: Einige Eigentümer:innen sind sich der Problematik zumindest teilweise bewusst und achten genau darauf, dass die Hecke säuberlich getrimmt, der Rasen gemäht und das Licht im Haus hin und wieder an ist. Dann hilft: Beobachten. Vielleicht fällt ja auf, dass dasselbe Zimmer stets zur selben Zeit beleuchtet ist. Zudem kann mit einem unscheinbaren Zettelchen in einer Ritze der Eingangstür leicht ermittelt werden, ob diese auch wirklich geöffnet wird oder niemand ein- und ausgeht.

Ist ein Objekt identifiziert, das leer steht und für das weit und breit keine Nutzung in Aussicht steht, eignet es sich vortrefflich: Ein Haus in Zeiten der Wohnkrise dauerhaft leer stehen zu lassen, ist kaum zu rechtfertigen. Nun gilt es noch herauszufinden, wem das Haus gehört. Je nach Kanton gibt es andere Stellen, bei denen das Grundbuch konsultiert und die Eigentümer:innen ermittelt werden können.

Jetzt geht es ans Praktische: Die Besetzung eines Hauses ist zwar in vielen Fällen legitim, aber nicht legal. Auf Details, wie der Zutritt ins Haus gelingt, verzichten wir daher. Im ersten Gespräch nach dem Einzug zeigt sich dann die Haltung der Eigentümer:innen: Es kommt durchaus vor, dass diese es ebenfalls so sehen, dass eine brachliegende Liegenschaft der Gesellschaft keinen Vorteil bringt, und sie die Besetzung akzeptieren, ohne die Polizei zu rufen. Meistens wird das Haus ja sowieso abgerissen, und die Besitzer:innen tragen von einer zwischenzeitlichen Nutzung keinerlei Schaden davon.

In vielen Fällen ist die Identifikation der Eigentümer:innen mit ihrem Besitz aber so stark, dass jede Berührung als persönlicher Angriff empfunden wird – das gilt oft sogar dann, wenn es sich um Angestellte einer Immobilienfirma handelt. Dann hilft es, auf einen Kaffee einzuladen, das eigene Anliegen zu erklären, um so von der Sinnhaftigkeit der Sache zu überzeugen. Fruchtet auch die Charmeoffensive nicht, rufen die aufgebrachten Hauseigentümer:innen meist die Polizei.

Was dann geschieht, ist von Stadt zu Stadt verschieden: In Zürich regelt das «Merkblatt Hausbesetzungen», dass eine polizeiliche Räumung nur unter bestimmten Bedingungen erfolgen darf – etwa wenn eine vertraglich geregelte Neunutzung vorliegt, ein bewilligtes Bauprojekt ansteht, Denkmalschutzgründe oder sicherheitsrelevante Risiken bestehen. Einschlägige Kreise weisen jedoch regelmässig auf Fälle hin, in denen die Polizei geräumt hat, obwohl dafür keine dieser Voraussetzungen gegeben war. In anderen Schweizer Städten gibt es so eine Weisung gar nicht, dementsprechend unzimperlich fällt das Räumungsverhalten der Polizei aus. Manchmal – wie im Beispiel der «Elsi» in Basel – gelingt eine Besetzung erst nach wiederholten Versuchen. Auch wenn die Ordnungshüter in der Regel sehr motiviert sind, besetzte Häuser mit grossem Tamtam zu räumen, ist offenbar auch für sie irgendwann der Punkt erreicht, an dem ihnen ständige Räumungen im Dienst eines jahrelangen Leerstands absurd erscheinen.

Ist die heisse Phase erfolgreich überstanden, fängt das eigentliche Abenteuer an: Wo steht man als Gruppe? Was will man mit dem Haus? Wohnen, Kultur, Politik – ein leeres Gebäude bietet unzählige Möglichkeiten! Frei von ökonomischen Zwängen lassen sich Fragen von Zusammenleben und Gemeinschaft ganz anders verhandeln. Und plötzlich realisiert man: Ohne Miete passt mehr Leben in einen Tag. Und der Kaffee schmeckt besser.

Immer montags beantworten wir in der Rubrik «Frag die WOZ» jeweils eine wirklich (un)wichtige Leser:innenfrage. Noch Fragen? fragdiewoz@woz.ch!